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EM 2024 - kicker-Kolumne Heimspiel: Frieden hat einen Preis

Kolumne "Heimspiel - mein Tag bei der EM"

Frieden hat einen Preis

Die ukrainischen Fans gedachten am Mittwochabend Nazarii Hryntsevich, einem von vielen Fans der Ukraine, der im Krieg starb.

Die ukrainischen Fans gedachten am Mittwochabend Nazarii Hryntsevich, einem von vielen Fans der Ukraine, der im Krieg starb. IMAGO/Sportpix

Passender könnte der Text nicht sein. "Schtsche ne wmerla Ukrajiny ni slawa, ni wolja", heißt es in der ukrainischen Nationalhymne. "Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben." Als das Lied am Donnerstagabend durch die Stuttgarter Arena schallt, tippt mich der Kollege an. "Stell dir mal vor, der Putin hat Erfolg. Dann ist das das letzte Turnier der Ukraine", sagt er. Und ich kann ihm nicht widersprechen. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, weil ich weiß, dass der Kollege recht hat.

Wenige Minuten nach Anpfiff entrollen die ukrainischen Fans ein Banner, das das Bild eines jungen Mannes zeigt: Nazarii Hryntsevich, Spitzname "Grenka". Er war einer der jüngsten Soldaten, die das Asovstal-Stahlwerk in Mariupol monatelang gegen Russland verteidigten, ehe er in Gefangenschaft geriet. Nach seiner Rückkehr aus dieser kämpfte er weiter und starb im Mai 2024. Sein Konterfei gewählt haben die Macher des Plakats, weil Hryntsevich auch leidenschaftlicher Fan von Niva Vinnytsia war, einem Drittligisten.

Portraits von 182 gefallenen Fans bilden das Konterfei

Hryntsevichs Gesicht auf dem Banner besteht wiederum aus den Einzelportraits von 182 weiteren, im Krieg gefallenen Ukrainern, die Ultra-Bewegungen "ihrer" Fußballklubs angehörten. Darüber halten Fans ein Plakat mit den Worten: "Peace has a price. Thousands of football fans have been killed in the war since february 2022.” Also: “Frieden hat einen Preis. Tausende Fußballfans sind getötet worden seit Februar 2022." Seit Putin den Befehl zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine erteilt hat.

Dass Hryntsevich offenbar Teil der Brigade Azov war, soll hier nicht unerwähnt bleiben, weil Teile dieser Einheit zumindest umstritten sind wegen möglicher Bezüge zu Bandera-Faschisten. Eine sehr diffuse Situation mit für mitteleuropäische Journalisten schwer zu beurteilender Quellenlage. Für die zentrale Botschaft dieser Aktion aber ist das in meinen Augen irrelevant: Hryntsevich war - das gilt genauso für die russischen Toten, die Putin in diesem Krieg verheizt - Mensch, Sohn, Freund. Wie alle anderen, die in diesem sinnlosen Gemetzel sterben. Und er war Fußballfan. Vielleicht stünde er jetzt gerade hier in einem gelben Trikot in der Untertürkheimer Kurve und sänge "U-Kra-I-Na." Wenn Frieden wäre. Aber Frieden hat seinen Preis.

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Der letzte Auftritt bei einem Turnier? Ich hoffe, es kommt anders.

Da entdecke ich eine Fahne mit der Aufschrift "XAPKIB." Charkiw. Ich denke an meine Dienstreise 2018 zurück in die Metropole, als dort die TSG Hoffenheim in der Champions League auf Schachtar Donezk traf. Weil im Donbass bereits mehr oder minder Krieg ausgebrochen war, wich Schachtar nach Charkiw aus. Damals habe ich erstmals Mykhailo Mudryk spielen sehen in der U 19 der Gastgeber. Technisch Zucker. "Der wird es in eine große Liga schaffen, wenn er einigermaßen klar bleibt", dachte ich mir.

Heute ist er nicht dabei, verletzt. Und heute tobt der Krieg in Charkiw, während das Spiel vor sich hinplätschert. Ein paar Chancen zum Schluss für die Ukrainer, nachdem zuvor die Belgier dominant waren, aber nicht zwingend. Die Roten Teufel sind weiter, die Ukraine nicht. Nur wegen des Torverhältnisses. Die Worte des Kollegen kommen mir in den Sinn. Der letzte Auftritt bei einem Turnier? Ich hoffe, es kommt anders.

Benni Hofmann

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