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EURO 2024: Das wilde Klick-Spiel mit der UEFA

Kolumne "Heimspiel - mein Tag bei der EM"

"An error occured. Please retry": Das wilde Klick-Spiel mit der UEFA

Ein bisschen Folter: Das Buchungssystem der UEFA funktioniert selten bis gar nicht.

Ein bisschen Folter: Das Buchungssystem der UEFA funktioniert selten bis gar nicht. imago images/privat

Ich melde mich vom Abgrund … - okay, ganz so schlimm ist es noch nicht. Aber nicht umsonst war Schlafentzug früher eine beliebte Foltermethode.

Seit 23 Jahren bin ich beim kicker angestellt als "Sekretärin der Chefredaktion". Zuständig bin ich für alle großen und kleinen Probleme der Chefredakteure, Reporter und Redakteure. Kleine Probleme wie "Ich muss das Spiel jetzt sehen, das läuft schon, was ist mein Benutzername beim Streamingdienst" werden sofort gelöst - nimm deine Mail-Adresse. Mittelgroße Probleme brauchen ein bisschen Zeit. "Ich bin schon in Kiew gelandet, aber ich habe mein Laptop bei der Kontrolle in Frankfurt liegen lassen." Größere Probleme können manchmal nicht gelöst werden. "Ich bin versehentlich hier in der Redaktion, sollte aber beim Check-in am Flughafen sein. Rufen Sie an, ob sie auf mich warten können!" - nein, können sie nicht.

In all dieser Zeit habe ich die Kollegen während vieler Turniere mit meinem Support begleitet, mal waren sie ganz weit weg, mal ganz in der Nähe und auch schon mal im eigenen Land. Aber diese Europameisterschaft ist ein bisschen wie Folter für mich.

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Schon bei der Akkreditierung für das Europa-League- und das Champions-League-Finale schwant mir Böses. Zwei Tage vor dem Spiel sollen sich Medienvertreter ihre Sitzplätze im Stadion buchen. Dafür hat jede Prioritätsgruppe ein Zeitfenster von einer Stunde. Wir sind in Gruppe A, dürfen also als erste buchen - jeweils um 12 Uhr. Problem: Nicht jeder der akkreditierten Reporter hat auch Zugang zu seinem UEFA-Account. Ein paar von ihnen sind gesperrt. Warum, weiß nur die UEFA. Ich habe einen Account als Corporate-User. Das heißt, ich kann alles für alle Kollegen erledigen, unabhängig davon, ob ihr Account gesperrt ist. Logisch, dass ich die Buchungen übernehme.

Von 15 auf etwa 87 Klicks

Zehn Minuten vor der Buchungszeit erscheint im UEFA-Portal ein Button mit der Aufschrift "Pick Position". Man klickt darauf, der Stadion-Sitzplan öffnet sich, und die Zeit bis zum eigentlichen Start zählt runter. Punkt 12 Uhr kann man die gewünschten Plätze anklicken. Es folgen unzählige Fehlermeldungen: „The seat may have been taken or an error occurred. Please retry.” Egal, was ich anklicke, und obwohl der Platz offensichtlich noch frei ist.

Dieses Spiel spiele ich ungefähr 20 Minuten lang, bis einer der Plätze plötzlich grün wird und ich tatsächlich einen Sitzplatz bekomme - den ich vorher bereits 15 Mal angeklickt habe. Der Puls steigt, was ist mit dem Platz daneben für den anderen Kollegen? Klappt genauso gut oder schlecht, aber es klappt. Und das Ganze soll für die EM auch gemacht werden? Mit bis zu vier Spielen und demnach bis zu zehn Kollegen gleichzeitig? Ja, das ist der Plan.

Mittwoch, 12. Juni, 12 Uhr, die Spannung vorm Eröffnungsspiel steigt. Ich klicke für vier Reporter wild auf die Sitzplätze und erhalte erst einmal die übliche Fehlermeldung. Dann geht gar nichts mehr. Auf einmal heißt es, ich hätte für dieses Spiel gar keine Buchungen gemacht, keiner meiner Kollegen ist akkreditiert. Ich bleibe entspannt. Das war auch schon beim Champions-League-Finale für kurze Zeit so. Tatsächlich geht es ein paar Minuten später weiter - das wilde Klick-Spiel. Nach geschätzt 87 Klicks und insgesamt knapp einer Stunde haben vier Kollegen im Stadion Sitzplätze nebeneinander mit guter Sicht.

Die nächsten beiden Spieltage mit jeweils drei Spielen gleichzeitig, lassen sich genauso schleppend buchen - man gewöhnt sich an alles. Ich plane meine freien Tage um 12 Uhr herum, damit ich die Zeit vor dem Laptop verbringen kann, für Nutzung am Handy ist das Buchungstool nicht gemacht. Kollegen anderer Medien lamentieren derweil, weil es anstrengend ist, wenn sie für sich selbst eine Buchung machen müssen. Ey, fragt mich mal!

Österreich hat noch eine Überraschung parat

Am Abend vor der vierten Buchung schreibt mich einer der Reporter an: "Hast du gesehen, dass morgen die Sitzplatzbuchung schon um neun Uhr ist?" Äh, nein?! Ich habe nur gecheckt, ob wir bei allen Spielen wieder Prio A haben und nicht auf die Uhrzeit geachtet. Boah nee, Samstag um 9 Uhr vorm Laptop… Ich stelle mir einen Wecker, damit ich nicht verschlafe. Mit Mitte Vierzig schlafe ich immer noch gerne lange. Aber die Angst vor dem Verschlafen ist zu groß, ab 6 Uhr bin ich hellwach. Erst mal Kaffee und dann warten, bis es neun ist. Ab dieser Buchung gilt: Prioritätsgruppe A muss um 9 Uhr buchen. Auch an eigentlich freien Tagen. Und wir sind fast immer Prio A. Außer manchmal …

Tag vier des Wahnsinns. Ich traue meinen Augen kaum, der erste Klick, und mein Platz ist grün. Nächster Kollege auch auf Anhieb. Auf einmal läuft es. Konnte die UEFA etwa ihre Probleme beseitigen? Nicht ganz. Das Spiel Österreich vs. Frankreich öffnet für uns laut Mail wie alle Spiele um 9 Uhr, im Portal steht auf dem Button, dass man uns erst um 12 Uhr freischaltet. Ich aktualisiere dieses Spiel minütlich. Tatsächlich geht mein Buchungsfenster um 9.52 Uhr auf, acht Minuten vor Ablauf der Zeit. Wenigstens auch hier wieder: Picked Position auf den ersten Klick.

Konzert? Flohmarkt? Der Laptop ist immer dabei

Auch beim Konzertbesuch ist das Laptop nicht weit: Dagmar Reißinger-Greim und Sandra Löhlein (re.), Sekretärinnen der kicker-Chefredaktion.

Auch beim Konzertbesuch ist das Laptop nicht weit: Dagmar Reißinger-Greim und Sandra Löhlein (re.), Sekretärinnen der kicker-Chefredaktion. privat

Es kommt der Tag des zweiten Deutschland-Spiels. Mit zwei weiteren Partien zeitgleich. Es geht nichts mehr. Bis 9.50 Uhr habe ich erst für zwei von acht Kollegen einen Sitzplatz. Bei den anderen tut sich nichts, für manche lässt sich nicht mal das Fenster öffnen. Es beginnt der Wettlauf mit der Zeit. 10 Uhr und nur zwei Sitzplätze. Aber: Ich kann nach Ablauf der Stunde doch noch weiterklicken. Um 10.16 Uhr habe ich alle eingetütet. Hurra! Dass die Plätze doppelt gebucht waren, und die Kollegen vor Ort auf ein mittleres Chaos stießen, erfahre ich erst viel später.

So eine Heim-EM ist schon etwas Besonderes. Und besondere Ereignisse erfordern nun mal besondere Maßnahmen. Das Laptop ist auch an freien Tagen mein ständiger Begleiter. Ob im Hotel bei der Konzertreise oder auf dem Stand am Flohmarkt für den Tierschutz, wo man mir mein Arbeitsgerät prompt als Schnäppchen abschwatzen will. Gebucht wird von überall. Aber dass ich wochenlang nicht ausschlafen kann, weil ich Angst vorm Verschlafen habe und deswegen täglich spätestens ab 6.30 Uhr herumgeistere - das verzeihe ich dir nicht, liebe UEFA!

Immerhin haben sich meine Englischkenntnisse erweitert: „The seat may have been taken or an error occurred. Please retry” - diesen Satz beherrsche ich inzwischen tatsächlich im Schlaf.

Sandra Löhlein

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  • Vom 14. Juni bis zum 14. Juli schaut ganz Fußball-Europa auf Deutschland: Die EM 2024 bringt nicht nur hochklassigen Fußball, sondern auch zahlreiche Geschichten abseits des Rasens - und der kicker ist mittendrin.
  • In unserer EM-Kolumne berichten die kicker-Reporter von ihren Erlebnissen im Stadion, über Buntes und Kurioses aus den Gastgeberstädten und über die Stimmung in Deutschland während der Heim-EM.