Champions League

Enttäuschung, aber auch Stolz - und eine Verpflichtung für die Zukunft

Kommentar: Dortmunds Weg ins Finale zeigt, was in der Mannschaft steckt

Enttäuschung, aber auch Stolz - und eine Verpflichtung für die Zukunft

Frust nach dem verlorenen Finale gegen Real Madrid: Nico Schotterbeck, Marcel Sabitzer und Julian Brandt (v. li. n. re.).

Frust nach dem verlorenen Finale gegen Real Madrid: Nico Schotterbeck, Marcel Sabitzer und Julian Brandt (v. li. n. re.). IMAGO/PA Images

Gregor Kobel ahnte es vielleicht schon, als er sich in der 66. Minute auf die Brust klopfte und damit seinen Mitspielern signalisierte, den Glauben an sich weiter aufrecht zu erhalten. Am Ende jedoch war die Final-Maschine Real Madrid zu stark für einen lange Zeit tapfer und stark aufspielenden BVB, dem spätestens nach einer Stunde die Kräfte ausgingen. Wie 2013 verlor die Borussia ein Finale, das auch in die andere Richtung hätte ausschlagen können.

Den ganzen Tag über verströmten die Dortmunder Fans in der englischen Hauptstadt jene Zuversicht, die BVB-Trainer Edin Terzic und seine Spieler Julian Brandt und Nico Schlotterbeck am Tag vor dem Finale bereits ausgestrahlt hatten. Selbstbewusst, optimistisch, regelrecht in sich ruhend präsentierten sich die drei Dortmunder gegenüber den Dutzenden Medienvertretern. Die mehr als 50.000 mitgereisten Anhänger nahmen den Ball dankend auf, verwandelten den Hyde-Park in eine überwiegend gelbe Partyzone und waren auch abends im Wembley-Stadion der lautstärkere Block.

Dortmunds Weg war geprägt von einer spielerischen und taktischen Reife

Spielbericht

Kein Wunder: Die elf Borussen auf dem Rasen zeigten, warum Terzic tags zuvor ein so gutes Gefühl hatte. Die Dortmunder präsentierten sich keineswegs wie der krasse Außenseiter, als der sie vorher galten. Sie waren gut vorbereitet, agierten geschlossen, brachten den Ball immer wieder gefährlich in die Hälfte der Madrilenen. Sie strahlten durch ihre Körpersprache aus, dass sie nicht nur gekommen waren, um Real beim Stemmen des Henkelpotts zuzuschauen, sondern um ihn selbst in den Londoner Nachthimmel zu recken.

"We're back in town to steal the crown" stand vor dem Anpfiff als Teil einer riesigen Choreo über dem Dortmunder Block, der von einer gigantischen Krone verdeckt war. Zu deutsch: Wir sind zurück in der Stadt, um die Krone zu stehlen. Es war eine schöne Anspielung auf die Londoner Kronjuwelen, aber natürlich auch auf die Königlichen aus Madrid. Doch der BVB spielte an diesem Abend nicht wie ein Dieb, der sich nimmt, was ihm nicht zusteht. Wie er auch nicht zufällig in dieses Endspiel eingezogen war. Sowohl der Auftritt gegen Real vor allem in den ersten 45 Minuten als auch der Weg ins Finale war geprägt von einer spielerischen und taktischen Reife, die sich die von Terzic und seinen Assistenten angeleiteten Dortmunder von Spiel zu Spiel mehr zulegten. Von einer mannschaftlichen Geschlossenheit, die mit jedem Erfolgserlebnis wuchs. Und von dem Gefühl, jeden schlagen zu können, wenn die Parameter aus Einsatz, Mut und natürlich auch Glück stimmen.

Das Happy End bleibt Wunschdenken

Man sah das bei Marcel Sabitzer, der zu Saisonbeginn schwer in seine Rolle beim BVB fand, inzwischen aber zur Keimzelle des Dortmunder Mittelfeldfelds geworden ist. Oder bei Nico Schlotterbeck und Mats Hummels, diesem so selbstbewussten Innenverteidiger-Duo, das vor Kraft strotzt und gelungene Grätschen wie Tore feiert. Oder bei Julian Ryerson, dem ebenso leidenschaftlich die Linie rauf- und runterrennenden 2024er-Update von Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer aus der 2013er-Elf. Der Norweger steht dabei exemplarisch für diese Dortmunder Mannschaft, die individuell sicher nicht zur Creme de la Creme dieses Wettbewerbs zählte, aber im Saisonverlauf über sich hinauswuchs und die eigenen Grenzen verschob. Zunächst in der Gruppe nach dem Fehlstart in Paris, später dann im Viertelfinale gegen Atletico Madrid und besonders im Halbfinale gegen PSG.

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4:0 Chancen zur Halbzeit. Für den überraschend starken BVB gegen ein Real, das kein Mittel fand gegen Dortmunds Mix aus kühl-kalkulierter Taktik und brodelnder Leidenschaft. Allein: Es fiel kein Tor in den ersten 45 Minuten. Und je länger das Spiel lief, desto mehr schwanden die Kräfte. Die BVB-Fans spürten, dass ihr Team nach einer Stunde wirkte wie ein Boxer, der alles in einen vorzeitigen Knock-Out gesetzt hat, den Gegner aber nicht zu Fall bringen konnte. Vor einem Jahr noch hatten die Anhänger ihre Mannschaft aufgefangen nach der verpassten Meisterschaft gegen Mainz, ehe sich mit Verzögerung Wut und Frust breitgemachten hatten. Es dauerte, bis das abgekühlte Verhältnis wieder Normaltemperatur erreicht hatte. Erst der 4:2-Erfolg im Viertelfinal-Rückspiel brachte die emotionale Versöhnung, die nun mit dem Happy End in der Champions League enden sollte.

Doch das war Wunschdenken. Denn am Ende bewies Real, warum es seit 1983 kein internationales Finale mehr verloren hat. Weil es Stürme und Schläge mit einer stoischen Ruhe aushält, die man nicht lernen kann, sondern sich durch Erfolge in Serie aneignet. Etwas, das der BVB nicht hat und das diesmal den zwar kleinen, aber entscheidenden Unterschied machte.

Die Arbeit muss beginnen, sobald der erste Schmerz abgeschüttelt ist

Die Enttäuschung ist groß nach dieser Niederlage, die ähnlich bitter ist wie die 2013 gegen den FC Bayern. Auch, weil die Dortmunder erneut den Gegner am Wickel hatten, ihn aber wieder losließen. Weil Marco Reus in seinem letzten Spiel für den BVB der große Triumph versagt und damit das Märchen unvollendet blieb. Doch irgendwann darf sich Stolz einstellen über das Erreichte - und die Gier, es zu wiederholen.

Fragen nach der nötigen Mentalität sind dem BVB in dieser Saison nie gestellt worden, wohl aber die nach der Qualität. Wie gut diese Mannschaft sein kann, sah man in der Champions League und auch in der ersten Stunde in Wembley. Sie wird in Zukunft zeigen müssen, dass sie diese Klasse auch in der Liga - gegen Heidenheim oder St. Pauli, gegen Leverkusen oder Stuttgart - abrufen kann. Also im Alltag, der nicht so feierlich daherkommt wie das Endspiel der Königsklasse. Wembley ist eine Verpflichtung. Die Arbeit muss beginnen, sobald der erste Schmerz abgeschüttelt ist.

Bilder zum Champions-League-Finale 2024 zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid