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Ralf Kellermann vom VfL Wolfsburg im kicker-Interview

Über Brands Formtief und den Generationenwechsel

Wolfsburg-Boss Kellermann im Interview: "Nicht davon träumen, dauerhaft die CL zu gewinnen"

Kommt noch nicht in Tritt: Jule Brand (re.) durchläuft derzeit ein Formtief - was auch Ralf Kellermann missfällt.

Kommt noch nicht in Tritt: Jule Brand (re.) durchläuft derzeit ein Formtief - was auch Ralf Kellermann missfällt. imago images, Getty Images

Herr Kellermann, wie ist die deutliche Überlegenheit der Bayern am Sonntag zu erklären?

Das knappe Ergebnis spiegelt nicht die Kräfteverhältnisse an diesem Tag wider. Es ist in den letzten vier Spielen gegen Bayern, von denen jeder zwei gewonnen hat, immer so gewesen, dass die Siegermannschaft klar dominiert hat, auch wenn die Ergebnisse das so nicht ausgesagt haben. Das ist schon auffällig. Die Basics, die zum Spiel gehören, haben am Sonntag bei uns gefehlt, auch taktisch haben wir die Vorgaben nicht zu hundert Prozent umgesetzt. Bayern hatte frühe Ballgewinne, ihre Standards waren gefährlich und bei uns waren einige Spielerinnen weit unter Normalform. Für die ersten 60 Minuten gibt es keine Ausreden, auch nicht die personellen Ausfälle, die wir hatten.

Der VfL hat drei Spiele in Serie nicht gewonnen.

Das Aus in der Champions League tut sehr weh, aber wir haben es abgehakt und wir müssen nach vorne blicken. Paris FC war speziell im Rückspiel die bessere Mannschaft. Aufgrund der kurzen Vorbereitungsphase im Sommer sind aktuell keine Automatismen da und die Leichtigkeit ist ein wenig verlorengegangen. Darüber hinaus gab es in den vergangenen Wochen ständig Nebengeräusche. Aber das alles ist mir zu einfach als Erklärung. Immerhin: Wir haben sechs Spieltage hinter uns, haben gegen alle Spitzen-Teams gespielt und liegen einen Punkt hinter den Bayern.

Hört sich nicht so schlecht an.

Ja. Die nackten Zahlen in der Liga sind also okay. Aber die Art und Weise, wie wir uns die 13 Punkte erspielt haben, abgesehen vom ersten Spiel gegen Leverkusen, ist nicht unser Anspruch. Wir haben es nicht geschafft, unser Potenzial immer abzurufen. Das haben wir in der Vergangenheit deutlich besser gemacht. Meine Forderung an die Mannschaft und das Trainerteam ist, dass wir jetzt bis zur Winterpause alle vier Liga-Spiele gewinnen, im DFB-Pokal die nächste Runde erreichen und dass in den Spielen auch eine Entwicklung erkennbar ist.

Außerdem muss die Zeit, die wir durch das Aus in der Champions League haben, so genutzt werden, dass die Spielerinnen wieder auf dem Level agieren, wo sie hingehören. Es gibt genug Arbeit. Ich habe die volle Überzeugung, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Wenn uns das gelingt, können wir mit einem positiven Gefühl in die Winterpause gehen. Wichtig ist auch, dass unser Trainer Tommy Stroot demnächst seinen Fußballlehrer-Lehrgang abgeschlossen hat und uns dann wieder in vollem Umfang zur Verfügung steht. Das ist für eine Mannschaft wichtig.

Auffällig ist, dass sie sich körperlich nicht gegen ihre Gegenspielerinnen durchsetzen kann.

Ralf Kellermann über Jule Brand

Ist die WM noch in den Köpfen?

Damit geht jede Spielerin anders um. Aber klar ist: So, wie wir uns das alles erhofft haben, nämlich die WM möglichst schnell abzuhaken, hat so nicht funktioniert. Und die Entwicklung beim DFB rund um die Nationalmannschaft war immer Thema bei den Spielerinnen.

Gibt es denn jetzt auch die Gelegenheit, Spielerinnen eine Pause zu geben?

Die Frage ist ja, ob sie überspielt sind oder nicht in die Automatismen kommen. Gewechselt haben wir ja schon in den Bundesligaspielen. Wichtig ist: Die Spielerinnen, die im Sommer zu uns gekommen sind, haben weitere Schritte nach vorne gemacht. Das erhöht die Optionen für Tommy.

Was ist mit Jule Brand los? Sie stagniert offensichtlich.

Sie hat keine Konstanz in ihren Leistungen. Sie deutet immer wieder ihr Potenzial an, hat aber noch keinen Weg gefunden, das Potenzial verlässlich auf den Platz zu bringen. Ihr fehlen auch die Erfolgserlebnisse. Auffällig ist auch, dass sie sich körperlich nicht gegen ihre Gegenspielerinnen durchsetzen kann. Man darf auch nicht vergessen, dass sie mit 21 Jahren noch sehr jung und das erst ihre zweite Saison auf diesem Niveau ist. Wenn Jule eine Top-Spielerin werden will, muss sie hart an sich arbeiten und zu 100 Prozent für den Fußball leben. Bei all dem, was alles auf sie einprasselt, ist das nicht so einfach. Wir helfen Jule bestmöglich, aber ihr Umfeld können wir nicht beeinflussen.

Haben Sie die Befürchtung, dass der Zug international ohne den VfL Wolfsburg abfährt?

Die Zahl der Vereine, die den Frauenfußball jetzt so pushen, wie wir das schon seit Jahren machen, ist in Deutschland und Europa rasant gewachsen. Der Pool an Spielerinnen ist aber nicht gewachsen. Von daher ist es eine extreme Herausforderung, Spielerinnen mit einer gewissen Qualität zu bekommen. Das war aber in den letzten Jahren auch schon so. Es geht natürlich um wirtschaftliche Dinge, aber auch um die Strahlkraft der europäischen Top-Klubs, die einhergeht mit den infrastrukturellen Voraussetzungen.

Mit diesem Kader können wir Meister werden und grundsätzlich in der Champions League ins Viertelfinale einziehen.

Ralf Kellermann

Klingt nach einer großen Herausforderung.

Ja, das ist es. Jeder, der sich auskennt, der weiß, dass wir in den letzten zehn, elf Jahren mit den Möglichkeiten, die wir haben, nahezu das Optimum herausgeholt haben. Ich bin weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen, weil wir aktuell eine gute Mannschaft haben und wir konkurrenzfähig sind. Mit diesem Kader können wir Meister werden und grundsätzlich in der Champions League ins Viertelfinale einziehen. Aber keiner sollte davon träumen, dass wir dauerhaft die Champions League gewinnen. Das ist unrealistisch.

Sie haben aber auch einige Top-Spielerinnen, die schon über 30 Jahre alt sind. Macht Ihnen das Sorgen?

Nein. Aber es ist eine riesige Herausforderung. Wir haben Augen und Ohren offen, um auf alles vorbereitet zu sein und für adäquaten Ersatz zu sorgen - auch aus den eigenen Reihen. Lena Oberdorf, Ewa Pajor, Lena Lattwein und Merle Frohms bringen alles mit für Führungsrollen in einer Mannschaft. Und häufig rücken ja auch Spielerinnen in den Vordergrund, wenn andere nicht mehr da sind.

Der DFB sucht einen Trainer und einen Sportdirektor. Ist es auch möglich, dass Sie den VfL verlassen?

Ich werde nicht mehr als Trainer arbeiten und hätte auch nicht die nötige Fußballlehrer-Lizenz. Es gibt keinen Kontakt zum DFB für die Position des Sportdirektors. Ich fühle mich extrem wohl beim VfL Wolfsburg, habe hier alles über die Jahre mit aufgebaut und nehme die jetzige Herausforderung, wieder in die Erfolgsspur zurückzufinden, gerne an.

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