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Wie Eintracht Frankfurt Nachhaltigkeit messbar machen will

"Die Wirtschaft ist dem Fußball zehn, zwölf Jahre voraus"

Wie Eintracht Frankfurt Nachhaltigkeit messbar machen will

"Verständnis für Müllvermeidung schaffen": Die Frankfurter Eintracht will an vielen Stellen nachhaltiger werden.

"Verständnis für Müllvermeidung schaffen": Die Frankfurter Eintracht will an vielen Stellen nachhaltiger werden. imago/snapshot

Kein normaler Mensch käme auf die Idee, per Flugzeug von Frankfurt nach Freiburg zu reisen. Der ICE fährt die Strecke in gut zwei Stunden, auch per Auto oder Bus ist der Breisgau flott zu erreichen. Trotzdem ist es bei der Eintracht wie auch bei vielen anderen Klubs längst Usus, solche Dienstreisen per Flugzeug zu bestreiten. Das ist nur einer von vielen Gründen, weshalb der Profifußball in der Öffentlichkeit bisher nicht den Ruf genießt, besonders nachhaltig zu sein.

Verkehrschaos bei der An- und Abreise zu den Stadien, Unmengen an Müll, demolierte Züge, Privatjetflüge der Spieler, Chartermaschinen für die Fans zu internationalen Spielen - die Liste ist lang. Inzwischen findet jedoch ein Umdenken statt, das dokumentiert auch die Entscheidung, Nachhaltigkeitskriterien in die Lizenzierungsordnung der DFL aufzunehmen.

Auch bei Eintracht Frankfurt steht das Thema seit einigen Jahren weit oben auf der Agenda, am Donnerstag stellte der Klub sein Konzept vor. Schon Anfang 2021 entwickelte die Eintracht zusammen mit Partnern ein digitales Tool, das 600 Nachhaltigkeitskriterien in den Bereichen Umwelt, soziale Verantwortung und Unternehmensführung (ESG) misst.

20 Mitarbeiter aus den verschiedenen Abteilungen arbeiten mit diesem Tool und haben ihr eigenes Aufgabenpaket zu bewältigen, in Magdalena Jeckel stellte der Klub zudem eine Projektmanagerin für die ESG-Strategie ein. Jedes Jahr wird ein ESG-Rating erstellt, so der Fortschritt gemessen. Im Fokus stehen die übergeordneten Themen Umweltbewusstsein, soziales Engagement, Antidiskriminierung, Fans und Mitglieder (Einbindung, Identifikation) und Innovation.

Man könne nicht 200 Bäume in Kanada pflanzen und behaupten, man sei CO2-neutral

Bei der Eintracht weiß man, dass es nicht damit getan ist, ein paar nette nachhaltige Projekte auf die Beine zu stellen und sich anschließend vor der Kamera auf die Schulter zu klopfen. "Wir müssen Nachhaltigkeit messbar machen. Nur so können wir dem Vorwurf des Greenwashings entschieden entgegentreten", sagt Vorstandsreferent Philipp Heßberger. Man könne nicht 200 Bäume in Kanada pflanzen und dann behaupten, man sei CO2-neutral, sagt Vorstandssprecher Axel Hellmann. Das sei "eine Frage der Ehrlichkeit".

Die umfangreiche Datenerhebung soll für einen ehrlichen, ungeschönten Blick in den Spiegel sorgen. "Die Brutalität der Meter, die wir machen müssen, drückt sich in den Messergebnissen und Fakten aus - und die sind nicht gut für Eintracht Frankfurt", räumt Hellmann ein. Er weiß: "In der Wirtschaft ist man dem Fußball zehn, zwölf Jahre voraus. Was wir hier sagen, ist keine Raketenwissenschaft. Wir hinken im Fußball hinterher. Andererseits sind wir bei Feldern wie sozialem Engagement und Anti-Diskriminierung der Wirtschaft voraus gewesen. Denn diese Themen sind in unserer DNA und Klub-Historie seit 1899 verankert."

Insgesamt steht die Eintracht beim Thema Nachhaltigkeit jedoch noch am Anfang. Wenn man die Anstrengungen mit der Besteigung des Mount Everest vergleicht, hat es der Klub mittlerweile ins Basislager geschafft und alle nötigen Vorbereitungen getroffen, der harte Aufstieg steht aber noch bevor. "Das wird nicht drei Jahre, sondern eine Generation dauern und den Klub möglicherweise für immer begleiten", ahnt Hellmann.

Wir sind nicht der grünste Klub der Bundesliga, und wir werden wahrscheinlich auch nie der grünste Klub der Bundesliga werden.

SGE-Vorstandsreferent Philipp Heßberger

Wo sieht sich die SGE aktuell? "Wir sind beim Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten mit Sicherheit nicht führend. Wir sind nicht der grünste Klub der Bundesliga, und wir werden wahrscheinlich auch nie der grünste Klub der Bundesliga werden", sagt Heßberger, betont aber: "Bei der Strategie und Methodik sind wir führend. Das kann ich selbstbewusst und voller Überzeugung sagen, weil ich selbst Teil der Kommission Nachhaltigkeit der DFL sein darf und auch in einem Gremium der ECA sitze, das sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Da bekomme ich mit, was auf nationaler und internationaler Ebene passiert."

Wie groß der CO2-Fußabdruck der Eintracht ist, vermag er noch nicht zu beziffern, an dem Thema werde aber mit Hochdruck gearbeitet. "Das müssen wir in Relation zu anderen Vereinen und Industrien setzen und dann klare Ziele definieren. Wir müssen schauen, wo wir den CO2-Ausstoß reduzieren können, und wo es nicht möglich ist, müssen wir uns über die Kompensation Gedanken machen", sagt Heßberger.

Schon ab der neuen Saison droht noch mehr Verkehrschaos

Bei manchen Themen wie der Müllvermeidung seien schnelle Fortschritte möglich, glaubt Hellmann. Speziell bei infrastrukturellen Herausforderungen ist jedoch viel Geduld und Hartnäckigkeit gefragt, da hier auch die Stadt Frankfurt eine wichtige Rolle spielt. Da geht es zum Beispiel um Themen wie bessere Radwege zum Stadion, ein beleuchtetes Fahrradparkhaus, ein Parkhaus für Autos oder auch eine bessere Erreichbarkeit für die per Bus anreisenden Gästefans.

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Um den Bussen nach der Abfahrt von der Autobahn einen Umweg - Stau inklusive - zu ersparen und sie direkt hinter dem Gästebereich zu parken, müssten 40 Bäume gefällt werden. Das wäre in einer nicht immer rational regierten Stadt wie Frankfurt schon ein mittelschwerer Skandal, selbst wenn die Bäume an anderer Stelle neu gepflanzt werden würden.

Generell müssten die Kapazitäten bei der An- und Abfahrt um zehn bis 15 Prozent erhöht werden, fordert Hellmann. Das betrifft auch den öffentlichen Nahverkehr. Da das Stadion derzeit von 51.500 auf etwa 60.000 Plätze ausgebaut wird, droht schon ab der neuen Saison rund um die Spiele noch mehr Verkehrschaos. Hellmann betont: "Die Stadt wird entscheidend mithelfen müssen, wenn ihr das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist."

Bei allen Bemühungen, mehr Nachhaltigkeit zu erreichen, wird sich der Klub allerdings auch immer wieder mit Zielkonflikten konfrontiert sehen - und diese nicht immer lösen können. Ein Beispiel ist das Auswärtsspiel beim FC Barcelona im Europa-League-Viertelfinale der vergangenen Saison. "Immer wenn wir über Barcelona reden, leuchten die Augen aller Beteiligten. Jeder sagt: 'Wow, diese weiße Wand, die ihr ins Camp Nou mitgebracht habt, ist gigantisch.' Zur Wahrheit gehört aber auch, dass 35.000 Menschen nicht mit dem Fahrrad da runter gefahren sind. Das war überhaupt nicht nachhaltig", sagt Hellmann.

Hellmann will "nicht den Oberlehrer markieren"

Wenn man so denke, komme man schnell zu der Frage: "Ist es nicht besser, gar keine Zuschauer mehr zu haben? Wenn wir wollen, dass Fußball ein Live-Ereignis bleibt, das die Menschen in den Stadien emotional begeistert, müssen wir akzeptieren, dass es Zehntausende geben wird, die mobil sein müssen."

Ein anderer Zielkonflikt betrifft die zu Beginn erwähnten Flugreisen zu nationalen Auswärtsspielen. "Muss es mit dem Flieger zum Auswärtsspiel nach Freiburg gehen? Im Vorstand haben wir darüber eine Debatte geführt. In Zukunft wollen wir das eigentlich vermeiden, es sei denn, der Termindruck verlangt das", erklärt Hellmann.

Wichtig ist ihm, nicht "den Oberlehrer zu markieren", vielmehr müsse "ein Verständnis für Müllvermeidung, Energieeffizienz und Mobilitätsverhalten" geschaffen werden. Angelehnt an die umstrittenen staatlichen Maßnahmen während der Coronapandemie sagt der Vorstandssprecher: "Ich glaube nicht an eine vom Staat oktroyierte Strategie, die die Menschen innerlich ablehnen. Das hat schon bei COVID nicht funktioniert. Da war es kurz davor, die Menschen zu spalten." Nachhaltigkeit dürfe außerdem nicht vom Portemonnaie abhängen: "Das wird nicht funktionieren, nicht in der Politik und nicht im Fußball."

Unterstützt wird die Eintracht von einem Nachhaltigkeitsbeirat, dem unter anderen der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, die Wirtschaftsweise Veronika Grimm und der am Max-Planck-Institut tätige Nobelpreisträger Benjamin List angehören.

Julian Franzke

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