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Tour de France: Die vier Favoriten im Check

Evenepoel nur mit Außenseiterchancen

Pogacars Triumphfahrt oder ein packender Vierkampf? Die Tour-Favoriten im Check

Die drei großen Favoriten bei der 111. Tour de France: Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar und Primoz Roglic.

Die drei großen Favoriten bei der 111. Tour de France: Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar und Primoz Roglic. imago images (3)

Jonas Vingegaard

Als Titelverteidiger ist Jonas Vingegaard eigentlich auch in diesem Jahr der Top-Favorit auf das Gelbe Trikot. Der Däne gilt als einer der besten Kletterer im gesamten Peloton, zudem bewies er im Vorjahr mit seinem Fabel-Zeitfahren nach Combloux seine außergewöhnlichen Qualitäten im Kampf gegen die Uhr. Die Streckenführung der diesjährigen Tour mit anspruchsvollen Bergetappen im Hochgebirge sowie einem Zeitfahren zum Abschluss scheint daher wie gemacht für den zweimaligen Tour-Sieger, der schon vorab ankündigte: "Es wird episch".

111. Tour de France

Doch wie fit Vingegaard an den Start in Florenz geht, ist das große Rätsel im Vorfeld. Zwar zeigte sich der 27-Jährige schon früh in der Saison in Top-Form und dominierte bei der Rundfahrt Tirreno-Adriatico. Doch bei einem Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt im April zog sich der Däne einen Bruch des Schlüsselbeins, mehrerer Rippen sowie Verletzungen an der Lunge zu. Nach einem Monat Pause stieg Vingegaard zwar wieder aufs Rad und absolvierte ein Höhentrainingslager. Doch ob knappe zwei Monate Vorbereitung nach einer schweren Verletzung tatsächlich ausreichten, um in Tour-Form zu kommen, erscheint fraglich - auch wenn sein Team Visma-Lease a Bike vorab betonte, den Dänen nur dann zur Tour zu schicken, wenn er auch um den Gesamtsieg mitfahren kann.

Auch hinter seinem Team steht ein großes Fragezeichen. In den beiden vergangenen Jahren gab die niederländische Equipe im Peloton den Ton an, starke Helfer wie Sepp Kuss, selbst Sieger bei der Vuelta 2023, oder Allrounder Wout van Aert zogen Vingegaard zu zwei Tour-Triumphen hintereinander. Doch in diesem Jahr kämpft die Equipe mit Verletzungen: Van Aert stürzte im März bei Quer durch Flandern schwer und stieg erst vor Kurzem wieder aufs Rad, auch Wilco Kelderman und Christophe Laporte fielen in diesem Jahr bereits aus. Zuletzt musste auch noch Kuss, Vingegaards wichtigster Helfer im Hochgebirge, nach einer Corona-Infektion für die Tour absagen. Zwar gilt der junge US-Amerikaner Matteo Jorgenson (Sieger von Paris-Nizza und Zweiter bei der Dauphiné) als Hoffnung im Team Visma-Lease a Bike, könnte sogar als Kapitän übernehmen, sollte Vingegaard schwächeln. Doch überwiegen aktuell die Sorgenfalten bei der Mannschaft von Sportdirektor Grischa Niermann.

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Tadej Pogacar

Ganz anders sieht es bei Tadej Pogacar aus. Der Slowene, Tour-Sieger von 2020 und 2021, befindet sich in blendender Form. Bereits in der Frühphase der Saison beeindruckte der 25-Jährige beim Rennen Strade Bianche mit einer Solofahrt über 81 Kilometer und gewann auch bei der Katalonien-Rundfahrt sowie beim Monument Lüttich-Bastogne-Lüttich. Sein erster Giro d’Italia wurde für Pogacar im Mai dann zur Triumphfahrt, mit sechs Etappensiegen und 9:56 Minuten Vorsprung konnte dem "Rosaroten Panter" keiner das Wasser reichen. Nun will er bei der Tour de France das historische Double einfahren - einen Triumph bei Giro und Tour schaffte zuletzt Marco Pantani im Jahr 1998.

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Dabei kann der Slowene auf die Mithilfe seines Teams UAE Emirates setzen, das auf dem Papier noch stärker besetzt ist als im Vorjahr: Adam Yates, Dritter bei der Tour 2023, und Joao Almeida dominierten die Tour de Suisse nach Belieben und machten den Sieg unter sich aus. Hinzu kommen unter anderem das spanische Top-Talent Juan Ayuso und Kletterer Marc Soler sowie Allrounder Nils Politt, der nach seinem Triumph im Zeitfahren im Trikot des deutschen Meisters anreist. Viele Edel-Helfer für Pogacar also.

Es scheint, als könnte sich Pogacar nur selber schlagen. Zwar stand sein Gesamtsieg beim Giro im Grunde schon nach der ersten Woche fest, doch dürften die drei Wochen in Italien trotzdem Kraft gekostet haben, auch weil der Slowene sich immer wieder zu neuen Solo-Ausritten hinreißen ließ. Nur etwas mehr als ein Monat blieb dem 25-Jährigen zur Regeneration, bevor nun die nächste, noch anspruchsvollere Grand Tour ansteht. In der Vergangenheit hatte Pogacar wiederholt versucht, nach der Tour de France noch Weltmeister zu werden, kam jedoch kurz nach den Strapazen einer dreiwöchigen Rundfahrt nicht mehr an seine Bestform heran. Damit ein solcher Einbruch bei der diesjährigen Tour nicht passiert, hat der Slowene nicht nur sein Training extra auf diese Doppelbelastung abgestimmt. Auch sein Rennprogramm im Frühjahr war weit weniger umfangreich als in den vergangenen Jahren. Nachwirkungen könnte allerdings eine kürzlich überstandene Corona-Erkrankung haben, die Pogacar erst am Donnerstag vor dem Tour-Start öffentlich machte.

Primoz Roglic

2020 war Primoz Roglic kurz davor, die Tour de France zu gewinnen, sein Landsmann Pogacar entriss ihm jedoch im Zeitfahren an der Planche des Belles Filles noch das Gelbe Trikot - am vorletzten Tag. Danach stand der Slowene bei seinem alten Team Jumbo-Visma (heute Visma-Lease a Bike) im Schatten von Vingegaard. Daher wechselte Roglic zum neuen Jahr zu Red Bull-Bora-hansgrohe und soll für die deutsche Equipe nun den ersten Tour-Titel einfahren. Es ist die letzte Grand Tour, die dem 34-Jährigen noch fehlt, nach seinem Triumph beim Giro 2023 und seinen drei Vuelta-Titeln (2019-2021).

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Doch die Saison läuft noch nicht optimal für Roglic: Bei Paris-Nizza offenbarte das neu zusammengestellte Team noch Abstimmungsprobleme, bei der Baskenland-Rundfahrt stürzte der 34-Jährige und musste mit Prellungen pausieren. Beim Criterium du Dauphiné holte Roglic nun zwar den ersten Titel mit seinem neuen Rennstall, offenbarte jedoch am Berg einige Schwächen und verteidigte das Gelbe Trikot am Ende mit knappen acht Sekunden Vorsprung. Es sind also Zweifel angebracht, ob Roglic bei der Tour de France der große Sprung gelingt. Auch, weil auf der 9. Etappe nach Troyes teilweise auf Schotter gefahren wird - ein Untergrund, der dem Slowenen nicht unbedingt liegt, weshalb sein Teamchef Ralph Denk leise Kritik an der Streckenführung der Veranstalter anmeldete.

Auch wird sich zeigen müssen, ob sich das nominell stark besetzte Team klaglos hinter dem neuen Kapitän einreihen wird. In Jai Hindley ist der Giro-Sieger von 2022 und Tour-Kapitän des Vorjahres (inklusive eines Tages im Gelben Trikot) zum Edel-Helfer degradiert, auch Alexander Vlassov hätte die Klasse zum Gesamtklassement-Fahrer. Zieht das Team an einem Strang und unterstützt einen Roglic in Top-Form, so kann es jedoch bis auf das Treppchen gehen für den Slowenen.

Remco Evenepoel

Als möglicher zukünftiger Tour-Champion gilt Remco Evenepoel, bei seinem ersten Start bei der Großen Schleife in diesem Jahr hat das belgische Wunderkind allerdings nur Außenseiterchancen - und wird sich wohl auch auf einzelne Etappensiege konzentrieren.

Remco Evenepoel vom Team Soudal-Quick-Step

In Frankreich als Etappenjäger unterwegs? Remco Evenepoel. IMAGO/Belga

Zum einen ist sein Team Soudal-Quick-Step, vom exzentrischen Geschäftsführer Patrick Lefevere als "Wolfsrudel" bezeichnet, im Vergleich mit den Top-Mannschaften von Visma, UAE, Red Bull oder auch Ineos Grenadiers nominell zu schwach besetzt. Fahrer wie Yves Lampaert oder Mikel Landa haben ihre Klasse zwar in einzelnen Rennen schon bewiesen, ihren Kapitän Evenepoel über drei Wochen gegen alle Attacken abzuschirmen, ist allerdings ungleich schwerer.

Zudem fehlt es Evenepoel noch an Konstanz in seinen Leistungen. Bei der Spanien-Rundfahrt im vergangenen Jahr gewann der 24-Jährige, der in seiner Heimat bereits mit Eddy Merckx verglichen wird, einerseits drei Etappen und sicherte sich die Bergwertung. Allerdings verlor er nach einem Einbruch auf der 13. Etappe auch ganz 27 Minuten im Gesamtklassement und beendete die Vuelta schließlich als Zwölfter. Auch in dieser Saison zeigte der Belgier bei Paris-Nizza sowie bei der Dauphiné, wo er das Zeitfahren gewann, ein ähnliches Auf und Ab, zog sich zudem bei der Baskenland-Rundfahrt im April einen Schlüsselbeinbruch zu. Auch an seinen Fähigkeiten im Hochgebirge wird immer wieder gezweifelt. So ist es wahrscheinlicher, dass der amtierende Zeitfahr-Weltmeister bei der ein oder anderen Tour-Etappe auf dem Treppchen steht, als dass Evenepoel am 21. Juli in Nizza in Gelb einfährt.

Valentin Fackler

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