Bundesliga

SC Freiburg: Größte Herausforderung liegt nicht bei Schuster

Kommentar zur Streich-Nachfolge beim SC Freiburg

Mut zur Lücke - die größte Herausforderung liegt nicht bei Schuster

Folgt in Freiburg auf Christian Streich: Julian Schuster.

Folgt in Freiburg auf Christian Streich: Julian Schuster.

Julian Schuster wollte für seine zweite berufliche Laufbahn keine Zeit verschwenden. Zwei Tage nach dem Ende seiner Spieler-Karriere im Mai 2018 stürzte er sich in die Trainerausbildung und startete zur Saison 2018/19 auch gleich in der neu geschaffenen Funktion als Freiburger Verbindungstrainer. Seitdem arbeitet er als Förderer der Top-Talente und Bindeglied zwischen Profi- und Nachwuchsbereich verstärkt im Trainerteam des Bundesligisten mit.

Schuster ging das Risiko ein, Körper und Geist nach der fordernden Spielerzeit zunächst keine Erholungspause zu gönnen. "Irgendwann werde ich eine Auszeit nachholen", sagte er im März 2019. Dazu wird es erst einmal nicht kommen. Dafür scheint sich Schusters Aufwand karrieretechnisch voll auszuzahlen. Seit Februar 2024 ist er Inhaber der Pro-Lizenz - und steigt im Sommer mit 39 Jahren und ohne jegliche Cheftrainer-Erfahrung direkt zum Bundesligatrainer auf. Und das auch noch als Nachfolger von Christian Streich.

Typisch Freiburg - aus Erfahrung

Es ist eine typische Freiburger Entscheidung, diese größtmögliche Bürde mit Bordmitteln meistern zu wollen. Sie entspricht der ureigenen SC-Philosophie, in erster Linie eigene Talente zu (be-)fördern. Beste Erfahrungswerte stützen diesen Ansatz. Streich, Sportvorstand Jochen Saier, Sportdirektor Klemens Hartenbach oder die langjährigen Streich-Assistenten Lars Voßler und Patrick Baier - sie alle haben sich erst durch jahrelange Arbeit im Verein für Schlüsselpositionen qualifiziert, waren bereits mit den Strukturen vertraut, Vertrauensverhältnisse konnten über Jahre entstehen. Wie bei Schuster, seit 2008 auch beim SC sozialisiert.

Überzeugung und Geduld: Der Novize soll sich in Ruhe entwickeln

Die Entscheidung zeugt auch von Mut zur Lücke. Jene Lücke, die Streich als charismatische Persönlichkeit und Gesicht des Vereins hinterlässt, ist ohnehin nicht komplett zu füllen. Das erkennen die Entscheider um Saier an und haben keinen erfahrenen Cheftrainer und Frontmann verpflichtet, der Streich auf allen Ebenen ersetzen soll - und damit wohl zwangsläufig scheitern würde.

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Stattdessen soll sich ein selbst weitergebildeter, loyaler Novize kraft Überzeugung und Geduld der Verantwortlichen im ruhigen SC-Umfeld entwickeln und in erster Linie sportlich wirken. Mutmaßlich wird er weniger mit dem populären Vorgänger verglichen werden als ein andernorts profilierter und erfolgreicher Fußballlehrer.

Schuster wird gar nicht erst versuchen, Streich zu kopieren. Auch wenn er 2019 im kicker verriet, dass Streichs Persönlichkeit talentierte Mitspieler zu unterhaltsamen Imitationen verleite. Bei Streichs teilweise grenzüberschreitendem Verhalten in der Coachingzone wäre das sowieso nicht empfehlenswert.

Er hatte eine beachtliche Spielerkarriere: Julian Schuster.

Er hatte eine beachtliche Spielerkarriere: Julian Schuster. imago images/Fotostand

Empathischer Spielerbessermacher - da ist Schuster einiges zuzutrauen

Zugleich überzeugt Streich als Spielerbessermacher mit empathischer Menschenführung - in diesem Punkt ist Schuster einiges zuzutrauen. Der vierfache Familienvater ist ein aufgeweckter Geist, angenehmer Kommunikator, vertritt wie Streich klare Werte und hat ein ebenso aufrichtiges Interesse an den Menschen, mit denen er zu tun hat. Hinzukommt seine fachliche Expertise, die er erst als jahrelanger Kapitän unter dem ihm sehr verbundenen Streich und dann als Kollege anreicherte.

Bundesliga-Karriere dank strategischem Talent

Mit Blick auf seine deutlichen Defizite in puncto Athletik und Tempo schaffte es Schuster nur dank seines strategischen wie analytischen Talents und seines Arbeitseifers, der ihn etwa zu einem gefährlichen Standardschützen machte, zu einer beachtlichen Bundesligakarriere. Gute Voraussetzungen für eine Trainer-Laufbahn.

Dass der Neustart dennoch und trotz der Unterstützung eines Großteils des bisherigen Trainerteams wohl nicht reibungslos und ohne Durststrecken verlaufen wird, haben die Chefs einkalkuliert. Ähnlich handelten sie vorigen Sommer, als sie Eigengewächs Noah Atubolu ohne Bundesligaspiel zum Stammkeeper beförderten und ihn seitdem trotz gelegentlicher Fehler und Rückschläge in seinem grundsätzlichen Vorankommen stärken.

Welche Risiken es gibt und wer die größte Herausforderung meistern muss

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Die Schuster-Beförderung birgt aber natürlich auch Risiken, vor allem durch die komplett fehlende Erfahrung als hauptverantwortlicher Trainer einer Mannschaft. Auch wenn bereits lobende Worte aus dem Kreis der Profis zu vernehmen sind, stellen sich diese Fragen: Wie werden die neun früheren Mitspieler im Kader (Ginter, Günter, Grifo, Gulde, Höfler, Höler, Kübler, Lienhart, Philipp) im Alltag mit ihrem neuen Chef klarkommen, vor allem dann, wenn er sie auf der Bank schmoren lässt? Wie die bisher eng von Schuster begleiteten Talente? Das alles wird spannend zu beobachten sein.

Die größte Herausforderung durch die Zäsur muss aber der kontinuierlich gewachsene, zum etablierten Mitglied der oberen Bundesligahälfte aufgestiegene Verein meistern. Wie will er sich künftig öffentlich positionieren? Wortgewaltig für die eigenen Werte einstehen? Wer tritt neben Schuster mehr in den Fokus? Fast die gesamte Außendarstellung hat bisher Streich mit viel Strahlkraft übernommen. Das birgt die Gefahr, künftig zumindest von außen beliebiger und langweiliger wahrgenommen zu werden. Was den Verantwortlichen allerdings wohl weniger wichtig ist als die Philosophie, aus sich selbst heraus zu wachsen. Zumindest dazu passt die Personalie Schuster ideal.

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