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EM 2024 | Kommentar: Deutschlands bitteres Aus - und Hoffnung für die Zukunft

Kommentar zum Viertelfinal-Aus der DFB-Elf

Kampf, Pech, Fehleinschätzungen: Ein bitteres EM-Aus - und Hoffnung für die Zukunft

Hängende Köpfe beim DFB-Team: Das EM-Aus gegen Spanien ist bitter.

Hängende Köpfe beim DFB-Team: Das EM-Aus gegen Spanien ist bitter. imago images

Wow, welch ein Kampf - und welch ein tragisches Ende für die deutschen Träume vom großen Erfolg bei der Heim-EM. Nach 120 Minuten voller Höhen und etlicher Tiefen muss sich das DFB-Team aus dem Turnier verabschieden - unter dem aufmunternden Applaus des Publikums, das die Leistung ihrer Mannschaft in den vergangenen Wochen angemessen honorierten. Die Spanier allerdings waren am Freitagabend in Stuttgart zunächst lange Zeit die bessere, später in der Verlängerung dann die glücklichere Mannschaft - und gehen nun als Turnierfavorit ins Halbfinale.

Das Wichtigste vorab: Auch wenn es zum erhofften Turniersieg im eigenen Land nicht reichte, die EM ist aus Sicht des deutschen Fußballs kein Misserfolg. Das DFB-Team hat sich in den vergangenen Wochen voller Frische und Einheit präsentiert und eine lange nicht erlebte Begeisterung hervorgerufen. Das ist ein Verdienst der Spieler, die sich nahbar gaben und Teamgeist vorlebten. Es ist aber vor allem auch das Verdienst von Bundestrainer Julian Nagelsmann, der im Frühjahr die Zeichen der Zeit erkannte und daraus die richtigen Schlüsse zog.

So wie zuvor konnte es nicht weitergehen: Der radikale Wandel in der Personalauswahl und der damit einhergehende Imagewechsel des lange Jahre so ermatteten Teams hat den Boden bereitet für die kommenden Jahre, die der 36-Jährige mindestens bis zur WM 2026 noch mitprägen wird.

EM, Viertelfinale

Zwei Fehleinschätzungen mussten korrigiert werden

Dass jetzt bereits im Viertelfinale Schluss war - und damit früher als sich die Deutschen gewünscht haben - lag auch am Spielplan dieser EM: Die Paarung gegen Spanien wäre eines Endspieles würdig gewesen, auch wenn beide Teams im direkten Duell nicht an ihr oberstes Leistungsniveau heranreichten. Besser als diese beiden Mannschaften hatte sich im Turnier zuvor keine andere Nation gezeigt. Die Spanier allerdings, die auch das elfte Pflichtspiel in Serie gewannen, waren in Stuttgart das insgesamt bessere, weil reifere Team. Auch weil Deutschland erst nach dem Rückstand in der 52. Minute mutig agierte, ehe in der Verlängerung beiden Teams die Kräfte schwanden und die Spanier mit ihrem zweiten Tor den glücklicheren und effektiveren Moment erwischten.

Zur Wahrheit gehört nach diesem am Ende die Zuschauer von ihren Sitzen reißenden Spiel: Der bislang in seinen Entscheidungen so treffsichere Nagelsmann hatte diesmal nicht das richtige Händchen: Weder die Aufstellung von Leroy Sané, der für Tempo in den Umschaltmomenten sorgen sollte, noch die Nominierung von Emre Can für die Startelf, der Robert Andrich ersetzte, gingen im ersten Durchgang auf. Beide Fehleinschätzungen erkannte der Bundestrainer und korrigierte sie in der Halbzeitpause. Diese Reaktionsfähigkeit zählt fraglos zu den größten Stärken Nagelsmanns. Doch der zuvor immer in der Startelf stehende Andrich benötigte nach seiner Einwechslung Zeit, um ins Spiel zu finden. Was sich beim 0:1 bitter rächte.

Fußball UEFA EURO 2024 Viertelfinale Spanien - Deutschland am 05.07.2024 in der Stuttgart Arena in Stuttgart

Toni Kroos ( Deutschland ) enttäuscht

Foto: Revierfoto

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Spanien bot Möglichkeiten, Deutschland nutzte sie nicht

Zumal Nagelsmann zur Pause nicht alle nötigen Wechsel vornahm: Um nicht noch mehr zu ändern, ließ er den gelb-vorbelasteten David Raum auf dem Feld. Mit der Folge, dass der Außenverteidiger in der Entstehung der spanischen Führung zu zaghaft gegen Spaniens Wunderkind Lamine Yamal agierte.

Bitter ist das Aus auch deshalb, weil Spanien durchaus Möglichkeiten für die deutsche Mannschaft bot. Die Räume in den Halbfeldern waren da, wurden von den DFB-Kickern aber zu unsauber bespielt. Statt auf Spielkultur, die die deutsche Mannschaft in diesem Turnier bereits geboten hatte, setzten die Deutschen zunächst auf Härte. Erst nach dem Rückstand - und damit viel zu spät und entgegen des zuvor aufgebauten Selbstverständnisses - fing Deutschland mit dem Fußballspielen an.

Umständlich blieben die Angriffsbemühungen im letzten Drittel oft dennoch - was auch dem immensen Druck geschuldet gewesen sein dürfte, der nun auf den deutschen Kickern lag. Erst als der zur Pause eingewechselte und die Mannschaft durch seine Unberechenbarkeit massiv belebende Florian Wirtz zwei Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit zum - jetzt verdienten - Ausgleich traf, keimte noch einmal neue Hoffnung auf. Die sich in der ausgeglichenen Verlängerung allerdings nicht erfüllen sollte, weil Spanien bei der Chancenverwertung schlicht effektiver war als das DFB-Team.

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Trauriges Karriere-Ende für Kroos

Vor allem Toni Kroos, dessen grandiose Karriere mit der Niederlage gegen Spanien endete, wird das Aus nach hartem und leidenschaftlichem Kampf schmerzen. In der zweiten Hälfte der Verlängerung plagten ihn Krämpfe, aber Aufgeben war keine Option für den Routinier, der sich trotz der Schmerzen durchbiss und auch noch den letzten deutschen Freistoß in den spanischen Strafraum schoss. Aber auch vielen anderen im deutschen Kader, die die Heim-EM als bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere erlebt haben, weil ihr Weg an die Spitze bislang nicht nur geradlinig verlief. Profis wie Raum, Andrich, Maximilian Mittelstädt, Deniz Undav oder Niclas Füllkrug bildeten das Rückgrat des Teams, das von hervorragenden Individualisten wie Kroos, Ilkay Gündogan oder Jamal Musiala geprägt wurde.

Kroos hört sicher auf. Auch bei Manuel Neuer, Thomas Müller und Kapitän Gündogan ist ein Ende der Nationalmannschaftskarriere denkbar. Doch angst und bange muss den deutschen Fans um ihre wieder liebgewonnene Nationalmannschaft trotzdem nicht werden. Nagelsmann hat durch seine Personalentscheidungen und spielerischen Vorgaben die Weichen für die Zukunft gestellt. Jetzt kann es nur ein Ziel geben: Bei der nächsten WM, die in zwei Jahren in Kanada, Mexiko und den USA stattfinden wird, nach zwei Enttäuschungen 2018 und 2022 muss Deutschland wieder über die Gruppenphase hinauszukommen. Die Wiederbelebung bei der Heim-EM darf in diesem Fall als Verpflichtung angesehen werden.

Bilder zum Spiel Deutschland gegen Spanien