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EM 2024: Arda Güler: Wenn Floskeln veralten

Über Türkeis neues Toptalent

Arda Güler: Wenn Floskeln veralten

Links bei der Real-Vorstellung, rechts auf Händen getragen: Arda Güler.

Links bei der Real-Vorstellung, rechts auf Händen getragen: Arda Güler. imago images (2)

Eine Frage zu Arda Güler? Carlo Ancelotti zögerte nicht lang. Ernste Miene, Augenbraue hoch, dann quollen beim Italiener reflexartig die Standardfloskeln hervor. Und die klangen monatelang in etwa so: "Arda Güler ist ein Spieler mit großer Zukunft. Er muss noch viel lernen und geduldig sein. Seine Zeit wird kommen."

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Doch wer weiß, was gewesen wäre, wenn: Wenn Arda Güler sich nicht kurz nach seinem Wechsel zu den Königlichen im August 2023 einer Meniskus-Operation hätte unterziehen müssen. Wenn er sich nicht kurz vor dem Comeback einen Muskelfaserriss zugezogen hätte. Und wenn seine Konkurrenten im offensiven Mittelfeld nach der Genesung vielleicht mal geschwächelt hätten.

Es waren keine leichten ersten Monate bei Real, und so blieb Arda Güler nichts anderes übrig als das zu tun, was Ancelotti verlangte: geduldig sein. Als Real Madrid als Meister feststand, kam der dribbel- und vor allem abschlussstarke Kreativspieler vermehrt zu Einsatzzeiten und ließ sein Potenzial regelmäßig aufblitzen. Ende Januar 2024 feierte er sein Ligadebüt, holte in seinem zweiten Kurzeinsatz einen Elfmeter heraus, erzielte im vierten sein erstes Tor (bei gerade mal fünf Minuten Spielzeit). In seinen letzten fünf Saisonspielen traf er fünfmal, beim 4:4 in Villarreal gelang ihm der erste Doppelpack. Von Ancelottis Floskelsätzen hatte plötzlich nur noch der erste Relevanz.

Tränen bei der Mutter und ein "Frühstart"

Er ist ein besonderer Typ, dieser Arda Güler, das war schon bei seiner Vorstellung in Madrid im Juli 2023 klar geworden. Seine bei der Pressekonferenz anwesende Mutter weinte vor Stolz, als ein Einspieler ihres Sohnes gezeigt wurde. Arda grinste breit, wischte ihre Tränen weg und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Als Präsident Florentino Perez eine seiner berühmt-berüchtigten Antrittsreden schwang, missverstand der Türke eine Unterbrechung, betrat viel zu früh die Bühne und stand etwas verloren neben dem Präsidenten. Und als er dann selbst das Wort ergriff, sagte er, dass er bei Real "eine Legende" werden wolle.

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Große Worte eines damals recht schüchtern wirkenden 18-Jährigen mit eher schmalen als breiten Schultern. Und eher eine Ausnahme. Nicht nur fußballerisch erinnert Arda Güler an einen Spieler, der auch türkische Wurzeln hat, auch bei Real Madrid spielte, auch kein Typ für die große Show war. Da verwundert es auch nicht weiter, dass Arda Güler über Mesut Özil sagte, die beiden seien "wie Brüder". Für eine kurze Weile spielten die beiden Filigran-Techniker mit den begnadeten linken Füßen sogar bei Fenerbahce zusammen.

"Arda! Er ist sehr schüchtern"

Ins Rampenlicht muss Arda Güler eher gezerrt werden. Bei der Siegesfeier nach dem Champions-League-Sieg in Madrid schnappte sich Ancelotti das Mikrofon und sagte, er wollte jetzt mal einen "sehr interessanten Jungen" vorstellen. "Arda! Er ist sehr schüchtern. Na los!" Er schlug sich gar nicht so übel. "Hallo, Madridistas. Wir sind wie eine Familie, danke für alles“, sagte er lachend. Und verschwand wieder in der zweiten Reihe.

Sicherlich eine aus der Euphorie entstandene Szene. Aber würde man jemanden so präsentieren, den man bald wieder loswerden will? Real baut auf den Hochbegabten, den man nicht von ungefähr dem FC Barcelona weggeschnappt und mit einem Sechsjahresvertrag ausgestattet hat. 20 Millionen Euro überwies Real an Fenerbahce, auch keine Kleinigkeit.

Der erste EM-Auftritt wird Madrid bestärkt haben, alles richtig gemacht zu haben. Man of the Match beim 3:1 gegen Georgien, ein Tor wie ein Gemälde, 118 km/h schnell - das Ganze in seinem ersten EM-Spiel überhaupt, und das übrigens für das schwächste Team der EM 2021. Für die WM in Katar hatte sich die Türkei gar nicht erst qualifiziert.

Bleibt der "Goldjunge" auf dem Boden?

Es ist ein Hype, der seine Gefahren birgt, gerade bei einem so sensibel wirkenden Typen wie Arda Güler. Dass sie ihn in der Türkei schon "Goldjunge" nennen, dass der Guardian über ihn schreibt: "Arda Güler bringt den Donner, während die Türkei den Sturm überlebt", dass er mit 19 Jahren und 114 Tagen der jüngste Spieler wurde, der bei seinem EM-Debüt ein Tor erzielte und damit Cristiano Ronaldo überholte, damit muss man erst einmal umgehen können.

Im Moment muss man sich jedoch keine Sorgen machen, dass ein Arda Güler die Bodenhaftung verliert. "Mir geht es nicht um persönliche Erfolge", sagte er über den Rekord. Und: "Ich habe immer von diesem Tor geträumt. Ich wollte die Menschen hier glücklich machen." Das Tor widmete er brav seinem Nationaltrainer Vincenzo Montella zu dessen 50. Geburtstag.

Auch Ancelotti weiß natürlich, was er an dem jungen Türken hat. Wenn er mal die Floskeln weglässt, klingt das nämlich so: "Arda Güler hat eine Gabe", sagte der Italiener einmal. "Der Ball liebt ihn."

Christoph Laskowski

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