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Das FIFA-Prinzip: Friss oder stirb

Experte sieht Mustervertrag für Frauen-WM 2027 "sehr problematisch"

Das FIFA-Prinzip: Friss oder stirb

Mit Belgien und den Niederlanden hat sich Deutschland um die Ausrichtung der Frauenfußball-WM 2027 beworben: Das Turnier wirft aber bereits seine Schatten voraus.

Mit Belgien und den Niederlanden hat sich Deutschland um die Ausrichtung der Frauenfußball-WM 2027 beworben: Das Turnier wirft aber bereits seine Schatten voraus. IMAGO/Schüler

Obgleich der DFB erst kürzlich offiziell seine gemeinsame Bewerbung mit den Niederlanden und Belgien um die Ausrichtung der Frauenfußball-WM 2027 verkündet hat, wirft das mögliche Heimturnier bereits seine Schatten voraus. Dem kicker liegt der FIFA-Mustervertrag für Trainingsstätten vor. Diesen müssen Betreiber von Sportanlagen, die 2027 eine der 32 Nationen beherbergen möchten, im Vorfeld der Bewerbung unterzeichnen. Teile davon haben es in sich. Vor allem kommunale Bewerber dürften schwerlich in der Lage sein, das 89-seitige Dokument guten Gewissens zu unterzeichnen.

Denn gleich an mehreren Stellen lässt sich die FIFA erhebliche Rechte gegenüber dem Gastgeber einräumen. So etwa in Artikel 15.4., wo es heißt: "Die FIFA kann von Zeit zu Zeit geänderte Versionen der Austragungsbedingungen herausgeben (…), um die Visionen, Ziele und/oder Strategien der FIFA für den Wettbewerb und/oder die neuesten internationalen technologischen und kommerziellen Entwicklungen zu berücksichtigen (…)." Heißt: Ein Trainingsstättenbetreiber weiß teils erst in Zukunft, was konkret er bereitzustellen hat, und hätte in der Folge einer solchen Änderung der sogenannten "hosting requirements" maximal 30 Tage Zeit, um die FIFA über finanzielle Folgen der Änderung in Kenntnis zu setzen in der Hoffnung, dass diese ausgeglichen werden.

Lambertz: "Schätze eher, dass es auf ein ,take it or leave‘ hinauslaufen wird"

Nur ein Beispiel, das Dr. Paul Lambertz insgesamt als kritisch erachtet: "Was auffällt ist, dass es viele Regeln gibt, die unklar formuliert sind. Dies kann im Falle des Streits über Rechte und Pflichten aus dem Vertrag zu erheblichen Diskussionen führen. Eigentlich ist der Ratschlag immer, dass man vor Abschluss des Vertrages alle Unklarheiten beseitigt, um genau solch eine Situation später zu vermeiden."

Der Fachanwalt für Sportrecht wagt "die Prognose, dass die FIFA nicht oder wen nur im geringen Umfang bereit ist, Teile des Vertrags zu ändern. Ich schätze eher, dass es auf ein ,take it or leave‘ hinauslaufen wird." Also auf das Prinzip "Friss oder stirb". In der Tat heißt es dann auch in Artikel 3.1.2., dass der Mustervertrag zu vollziehen ist "ohne wesentliche Abweichung von der Vorlage, die von der FIFA an den gastgebenden Verband während des Bewerbungsverfahrens ausgegeben wurde".

Lambertz kann den Weltverband durchaus verstehen: "Im derzeitigen Stadium geht es der FIFA darum, alle Eckdaten so vereinbaren, dass im Falle des Zuschlages alles schon steht. Anders kann bzw. sollte man den Vergabeprozess auch nicht organisieren. Erst die Bewerbung, in der schon alles rechtlich festgezurrt ist, und dann die Vergabe." Jenes Prozedere ist bei Sportgroßveranstaltungen keine Seltenheit. Der Düsseldorfer Jurist findet den Vertrag "nach meiner Erfahrung im Großen und Ganzen branchenüblich".

Selbstverständlich kann man über einzelne Punkte diskutieren, aber wer sich als Trainingsstätte bewirbt, weiß, worauf er sich einlässt." Etwa darauf, dass er jegliche Steuererklärung die Trainingsstätte betreffend der FIFA vorab zur Genehmigung vorlegen muss, wie aus Artikel 27.3. hervorgeht. "Als sehr problematisch" erachtet Lambertz dies und stellt klar: "Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob eine Kommune sehenden Auges einen Vertrag mit rechtswidrigen und unklaren Regeln eingehen will oder den Vertrag erst gar nicht unterzeichnet. Ich würde mir wünschen, wenn letzteres der Fall wäre und nicht vor der großen FIFA gekuscht wird."

FIFA kann Trainingsgelände unter Eigenverwaltung stellen

Denn die genannten Punkte sind nicht die einzigen Sonderstellungen, die sich der Weltverband freizeichnen lässt. So steht beispielsweise in Artikel 39.1.: "Wenn die FIFA zu irgendeinem Zeitpunkt während der Vertragslaufzeit feststellt, dass der Betreiber des Trainingsgeländes, aus welchem Grund auch immer (einschließlich eines Ereignisses Höherer Gewalt), einer seiner Verantwortlichkeiten oder Verpflichtungen nicht nachkommt, kann die FIFA die ihr angemessen erscheinenden Maßnahmen ergreifen, um diese Nichterfüllung zu beheben oder zu verhindern oder um die Auswirkungen einer solchen potenziellen Nichteinhaltung zu beheben oder zu verhindern."

Darunter auch "die Übernahme und/oder die Ernennung einer Drittpartei, um die vollständige oder teilweise Kontrolle und/oder Verantwortung für die Verantwortung oder Verpflichtung und/oder die vollständige oder teilweise Vorenthaltung der Erfüllung und/oder die Erfüllung der eigenen Verantwortlichkeiten oder Verpflichtungen der FIFA aus diesem Vertrag zu übernehmen". Zu Deutsch bedeutet dieses Juristenkauderwelsch: Der Weltverband kann bei Verstößen das Gelände nach einer Fristsetzung schlicht unter Eigenverwaltung stellen.

Der DFB erklärte auf Anfrage, dass er mit 34 Betreibern von Trainingsanlagen im Austausch stehe. "Hinsichtlich der Vertragsgestaltung befinden wir uns aktuell mit allen Stakeholdern in Gesprächen", ließ der Verband zudem wissen. Für Betreiber der öffentlichen Hand dürfte eine etwaige Bewerbung verwaltungstechnisch mit Blick auf die Anforderungen der FIFA zu Drahtseilakten führen.

Benni Hofmann