Handball

Aufgeblähte WM und Härtefälle: Martin Heuberger im Interview

U-21-Nationaltrainer mit beeindruckender Titelsammlung

Aufgeblähte WM, Geheimnis, Härtefälle: Heuberger im Interview

Erfolgstrainer: Martin Heuberger führte einige DHB-Nachwuchsteams zu Titeln - auch das von Nils Dresrüsse (re.).

Erfolgstrainer: Martin Heuberger führte einige DHB-Nachwuchsteams zu Titeln - auch das von Nils Dresrüsse (re.). imago images (3)

Herr Heuberger, Ihre Erfolgsliste im Juniorenbereich ist lang. Bei Weltmeisterschaften holten Sie mit deutschen U-Teams 2007 Silber, 2009 und 2011 sogar Gold. Wie hoch hinaus kann es im Jahr 2023 gehen?

Natürlich wäre es schön, wenn wir wieder an diese Erfolge anknüpfen könnten. Wir haben mit unserer Mannschaft auch den Anspruch, um eine Medaille mitzuspielen. Da muss aber schon alles passen, das muss man so klar sagen.

Wie man eine Weltmeisterschaft im eigenen Land gewinnt, haben Sie als Co-Trainer 2007 bei der A-Nationalmannschaft vorgemacht. Spielen Ihre Erfahrungen von damals irgendeine Rolle bei der Ansprache an die Klasse von 2023?

Da ist tatsächlich etwas dran. Bei einer Heim-WM sind die Voraussetzungen anders. Die Kulisse ist das eine, die Erwartungshaltung ist andererseits aber auch höher. Insgesamt ist es wahrscheinlich noch mehr Ablenkung für die Spieler, was nicht unbedingt förderlich ist. Mit dieser Thematik haben wir uns intensiv auseinandergesetzt, denn letztlich geht es im Kern immer um Handball und das Team.

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Die U-21-WM findet in zwei Ländern statt - neben Deutschland auch in Griechenland. Bei der Männer-WM 2019 klagten viele über das Gefühl von zwei Turnieren in Deutschland und Dänemark. Die Handball-EM 2025 findet in Kroatien, Dänemark und Norwegen statt. Was halten Sie persönlich von dieser Aufsplittung von Turnieren?

Bei dieser U-21-WM ist es der Tatsache geschuldet, dass Griechenland die U-19-WM vor zwei Jahren gehabt hätte - die aber wegen Corona nicht stattfinden konnte. Es kam die Idee auf, Griechenland jetzt hinzuzunehmen. So kam es zu dieser sicherlich ungewöhnlichen Konstellation. Organisatorisch ist es aber sehr gut gelöst, weil nur die vier besten Teams aus Griechenland am Ende nach Deutschland kommen. Zusätzlich wurde für diese Mannschaften ein Reisetag integriert.

Erstmals werden 32 Mannschaften an einer U-21-WM teilnehmen. In der anhaltenden Belastungsdebatte im Handball werden die immer weiter aufgeblähten Spielpläne kritisiert. Für Ihre Spieler sind es Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Wie stehen Sie dem gegenüber?

Der Modus hat sich zwar etwas verändert, in der Vergangenheit hatten wir bei Weltmeisterschaften aber auch acht Spiele. Bei nun 32 Mannschaften wird man größere Leistungsunterschiede sehen. Andererseits finde ich es nachvollziehbar, dass man den Handball weltweit präsentieren will. So bekommen wir andere Einschaltquoten und Medienpräsenz auch in Ländern, in denen der Handball noch in der Entwicklung steckt.

Das hält mich auch jung, das muss ich wirklich gestehen.

Martin Heuberger

Ihre Beziehung zu den Junioren ist eine besondere, die anhaltende Erfolgsgeschichte spricht für sich. Was ist Ihr Geheimnis in der Arbeit mit Talenten? Und was macht Ihnen besonders Spaß dabei?

Es macht viel Spaß, unsere größten Talente auf ihrem Weg in den Leistungsbereich, bei ihrem Sprung in die Bundesliga zwei Jahre lang zu begleiten. Ich glaube, dass ich trotz des größer werdenden Altersunterschieds weiter einen guten Draht zu den jungen Spielern habe. Das hält mich auch jung, das muss ich wirklich gestehen.

Christoph Steinert sagte in einem DHB-Videointerview jüngst, dass man sich 2011 "immer auf einer Ebene" mit ihnen unterhalten konnte und Sie dafür gesorgt hätten, "dass dieses Miteinander entstehen konnte". Junge Erwachsene von 2011 sind aber nicht mehr zwingend vergleichbar mit denen aus 2023. Hat sich Ihr Ansatz in irgendeiner Weise verändert?

Mein Ansatz ist immer gleichgeblieben: Mentalität steht vor Qualität. Ich lege besonderen Wert darauf, dass der Teamgedanke hochgehalten wird. Aus diesem Grund arbeiten wir auch eng mit einem Sportpsychologen zusammen. Natürlich gibt es Einzelinteressen, jeder darf für sich Erfolge feiern, aber der Teamerfolg steht über allem. Ich glaube, dass ich ein gutes Gefühl und Händchen dafür habe, welche Spieler letztlich zusammenpassen. So konzipiere ich auch meine Kader.

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Was würden Sie sagen: Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es zwischen der Mannschaft von 2011 und der heutigen?

Jede Mannschaft hat ihren eigenen Charakter, dabei Stärken und Schwächen. Damals war die Erwartungshaltung gar nicht so groß, weswegen der Titelgewinn umso überraschender kam. 2011 war es ein verschworener Haufen, der sehr fokussiert auf diese WM war und sich innerhalb des Turniers extrem gesteigert hat. In diesem Jahr zählen wir sicherlich zum Favoritenkreis, einige Spieler sind bereits in der Bundesliga Leistungsträger. Die Voraussetzungen sind andere, die Erwartungshaltung ist entsprechend größer. Das bedarf auch eines anderen Umgangs mit der Situation.

Über Einzelspieler sprechen Trainer nicht gerne, aber besonders die Entwicklung von Renars Uscins ist schon bemerkenswert. Auch bei der A-Nationalmannschaft hat er begeistert. Kann Uscins zum Schlüsselspieler bei dieser WM werden?

Renars hat eine sehr gute Entwicklung genommen seit seinem Wechsel von Magdeburg nach Hannover. Er hatte beim SCM nicht die Möglichkeit, sich in der Bundesliga zu präsentieren. Deswegen war der Wechsel folgerichtig. Unter Christian Prokop hat er einen großen Schritt gemacht und viele Spielanteile bekommen. Auch der Bundestrainer Alfred Gislason ist auf ihn aufmerksam geworden, so dass er im April bereits zwei Länderspiele bei den Männern bestritten hat. Ich will es aber nicht nur an Renars festmachen. David Späth war beispielsweise eine entscheidende Figur im Pokal-Final-Four für die Rhein-Neckar Löwen. Justus Fischer hat wie Renars in Hannover begeistert. Es sind viele Top-Talente da, die das Zeug haben, später A-Nationalspieler zu werden.

Insgesamt sind wir sehr zufrieden, weil wir locker noch zwei, drei andere Spieler bedenkenlos hätten dazunehmen können.

Martin Heuberger

Durchaus besonders ist die Konstellation im Kader mit sechs Linkshändern. Welche Vorteile versprechen Sie sich womöglich dadurch?

Das ist mehreren Umständen geschuldet. Mit Nils Lichtlein haben wir einen Linkshänder auf der Mitte, was natürlich außergewöhnlich ist. Viele andere Nationen - und auch wir in der Vergangenheit - haben immer Rechtshänder auf der Mitte. Nils hat eine hohe Spielintelligenz und Spielfähigkeit, ein starkes Eins-gegen-eins und ein gutes Zusammenspiel mit den Kreisläufern. Von ihm verspreche ich mir einiges. Wegen der Verletzungssorgen auf halbrechts wollte ich noch einen Back-up haben. Ich wollte reagieren können, wenn Renars Uscins oder Max Beneke nach ihren Verletzungen Probleme bekommen. Die doppelte Besetzung auf Rechtsaußen ist ja eine gewöhnliche Maßnahme.

Mit einem Blick auf den Kader: Auf welcher Position drängten sich besonders viele Spieler auf, also wo gab es Härtefälle?

Diese Härtefälle gab es in der Tat. Felix Eißing hätte es auf Rechtsaußen genauso verdient mitzufahren. Er hat bei TUSEM Essen eine starke Rückrunde gespielt, bei der Maßnahme im April hatte sich Felix aber zuvor verletzt - gegen Ägypten haben dann andere ihre Chance genutzt. Mats Grupe ist bei den Torhütern zu nennen, er war auf einem ähnlichen Niveau wie Lasse Ludwig. Doch Lasse hat bei den Füchsen in einer wichtigen Phase absolut überzeugt. Robert Timmermeister hat sich leider gerade erst einen Bänderriss zugezogen, er war zuletzt auch immer wieder bei uns dabei. Er ist ein starker Abwehrspieler und ganz feiner Kerl. Für ihn persönlich ist es auch bitter, weil es sein erstes Turnier im Juniorenbereich gewesen wäre. Insgesamt sind wir sehr zufrieden, weil wir locker noch zwei, drei andere Spieler bedenkenlos hätten dazunehmen können. Das spricht in der Breite für diesen Doppeljahrgang.

Wie darf man sich die Informationsbeschaffung auf die drei deutschen Vorrundengegner Algerien, Lybien und Tunesien vorstellen?

Wir haben Videomaterial vorliegen, weil diese drei Teams letztes Jahr den Afrika-Cup gespielt haben, aber auch aktuelle Bilder aus dem April. Ich sage aber, ohne überheblich sein zu wollen: Wir müssen uns erstmal auf uns und unsere Leistung fokussieren. Die Gegner sollen sich auf uns einstellen müssen. Wir wollen in diesen drei Vorrundenspielen möglichst schnell in eine gute Form kommen, denn in der Hauptrunde warten vermeintlich schwerere Gegner auf uns.

Zum Abschluss noch: Wen zählen Sie bei der WM zu den Favoriten?

Es gibt bei dieser WM auch in der Breite sehr viele Mannschaften, die zum Favoritenkreis zählen. Wenn Portugal mit den Costa-Brüdern kommt, die schon bei der Männer-WM in der A-Nationalmannschaft Leistungsträger waren, dann ist das eine sehr starke Truppe. Spanien ist mit seinen drei Talenten von European-League-Finalist Granollers sicher vorne mit dabei. Dänemark mit Thomas Arnoldsen, der unserer A-Mannschaft Anfang März größere Probleme bereitet hat, und Ungarn schätze ich ebenfalls richtig stark ein. Ägypten, das haben wir im April gesehen, ist individuell sehr gut aufgestellt. Für uns muss wirklich alles zusammenpassen, Glück brauchst du im Verlauf eines solchen Turniers auch immer.

Interview: Maximilian Schmidt

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