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Zwei Sender, ein Team: Wie MagentaTV und RTL die EM produzieren

Ein Blick hinter die Kulissen der beiden Sender in Köln

Zwei Sender, ein Team: Wie MagentaTV und RTL die EM produzieren

Alle 51 EM-Spiele auf einem Sender: MagentaTV zeigt alle Begegnungen der EURO. Hier moderieren Johannes B. Kerner (links) und Ex-Nationalspieler Michael Ballack das Achtelfinale zwischen Spanien und Georgien.

Alle 51 EM-Spiele auf einem Sender: MagentaTV zeigt alle Begegnungen der EURO. Hier moderieren Johannes B. Kerner (links) und Ex-Nationalspieler Michael Ballack das Achtelfinale zwischen Spanien und Georgien. MagentaTV

Eine halbe Stunde vor Sendestart wird es kurz nochmal kompliziert. "RTL Aktuell sendet ein EM-Spezial. Das ist eine Livesendung, vielleicht treffen sie nicht ganz genau 16 Uhr", ruft ein Kollege von Alexander Dechant zu. Der überlegt kurz, lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen. Im Zweifel geht das gemeinsame EM-Programm von RTL und MagentaTV dann eben ein paar Sekunden später los. Nicht unbedingt optimal, aber auch keine Katastrophe.

Dechant ist Leiter Content und sitzt mit seinem Team in einem Büro, das irgendwie seines ist und irgendwie auch nicht: In der Zentrale des Kölner Senders haben sich für die Dauer des Heim-Turniers mehr als 100 Mitarbeiter der Münchner Firma thinXpool TV einquartiert, die für MagentaTV das Programm rund um die 51 EM-Spiele produziert und inhaltlich verantwortet. Das Besondere: Weil RTL und MagentaTV während der EM insbesondere bei 12 Spielen eng kooperieren, arbeiten auch die Produktionsteams Hand in Hand.

Ein buntes, aber gut organisiertes Kuddelmuddel

Dechant sitzt im "dispatcher room", in dem die Live-Redaktion für TV, aber auch die Inhalte beispielsweise für die sozialen Netzwerke aufbereitet werden. Dafür sind unter anderem auch Mitarbeiter der Firma mataracan dort, die für die Sozialen Netzwerke Clips schneiden. Es ist ein buntes, aber gut organisiertes Kuddelmuddel: Die Partien Schweiz - Italien (2:0) und Deutschland - Dänemark (2:0) werden beide bei MagentaTV gezeigt, wo alle EM-Spiele zu sehen sind. RTL überträgt aber auch Schweiz - Italien, Deutschland - Dänemark wiederum ist dagegen dann im ZDF zu sehen. Gar nicht so einfach, das Programm für zwei Sender in einem Haus zu koordinieren: Der Signal vom Italien-Spiel liefert ein RTL-Übertragungswagen, das vom Deutschlandspiel später einer von thinXpool.

Blick in den Maschinenraum: In der Kölner Regie arbeiten Mitarbeiter von thinXpool und RTL Hand in Hand.

Blick in den Maschinenraum: In der Kölner Regie arbeiten Mitarbeiter von thinXpool und RTL Hand in Hand. MagentaTV

Dechant ist deswegen permanent unterwegs: Von seinem Büro im 4. Stock runter in den 1. Stock, wo Beiträge geschnitten werden, wieder hoch in den 4. Stock, in dem Moderatorin Laura Wontorra für die gleich anstehende Übertragung probt. Mit Blick über den Rhein und auf den Dom stehen hier abwechselnd Wontorra und Johannes B. Kerner. Das Studio ist groß, hell, modern - und ohne Senderlogos neutral gehalten. In Berlin haben Moderator Florian König sowie die Experten Steffen Freund und Lothar Matthäus bei gemeinsamen Produktionen aber Mikrofone in der Hand, die beide Logos zeigen.

Nur die Werbung unterscheidet sich

So eng wie bei diesem Turnier haben die Sender noch nicht zusammengearbeitet. MagentaTV hält die Rechte an allen Spielen und zeigt auch alle 51 Partien, RTL, ARD und ZDF sind Sublizenznehmer und zeigen ebenfalls die meisten Partien. Fünf Spiele waren exklusiv bei MagentaTV zu sehen, zuletzt das Duell Österreich - Türkei (1:2).

In der Praxis heißt das, dass sich das Programm auf RTL und MagentaTV rund um das Spiel Italien - Schweiz nur bei der Werbung unterscheidet. Wenige Sekunden nach 16 Uhr - die Livesendung ist doch erstaunlich pünktlich fertig - gehen RTL und MagentaTV auf Sendung, nach der Partie entkoppeln sich beide Sender wieder. RTL zeigt dann wieder sein gewohntes Programm, weil die Rechte für das Deutschland-Spiel beim ZDF liegen. MagentaTV dagegen sendet einfach weiter und in Köln-Deutz wird später über den Einzug ins Viertelfinale gejubelt.

Ein einzigartiges Konzept auf Twitch

Dechant verfolgt den Sendestart in der Regie der RTL-Zentrale. "Wer hier eigentlich für wen arbeitet, ist für den Außenstehenden nur noch schwer nachzuvollziehen", sagt er und lacht. Die Crew von thinXpool wird verstärkt von RTL-Leuten, außerdem kommen freie Mitarbeiter dazu, die sich beide Unternehmen teilen. Insgesamt werkeln 500 Menschen an so einem Sendetag am Programm, ab 8.30 Uhr werden bis nach Mitternacht Beiträge geschnitten, Highlight-Szenen gepostet und Schalten beispielsweise nach Dortmund organisiert, wo die Deutschen an dem Tag spielen. Auch die sogenannten Ad-hoc-Clips, oft Tore oder spektakuläre Rettungsaktionen, und die Zusammenfassungen, die auch auf kicker.de zu sehen sind, kommen aus der gemeinsamen Zentrale in Köln.

Das schnelle Ausspielen von Spielszenen im Netz gehört zu Senderstrategie, besonders knifflig ist dabei die Übertragung der sogenannten Reaction Show. Hier verfolgt das Podcast-Trio von Calcio Berlin gemeinsam mit Hertha-Profi Fabian Reese ausgewählte Spiele und streamt das Ganze unter anderem auf Twitch. Live-Bilder dürfen in der Show nicht gezeigt werden, wohl aber die Ad-hoc-Clips. Ein vermutlich bislang einzigartiges Konzept.

Zufrieden mit den ersten Zahlen

Ein Jahr lang haben beide Redaktionen am Gesamtkonzept gearbeitet und sich dafür ordentlich Know-How ins Team geholt. Ein paar Meter entfernt vom Studio, in dem Wontorra und Michael Ballack bereits aufs Turnier gucken, sitzt Jan Henkel. Er ist für die taktischen Analysen zuständig und wird später erklären, was auf dem Platz gut und was schlecht lief. Allein ist er dabei nicht: 13 Analysten stehen ihm zu Seite, darunter einige hauptberuflich für Bundesligisten tätige Scouts. "Wir haben ein Team, das bei jedem Bundesligisten arbeiten könnte", sagt Henkel. Übertrieben ist das nicht.

Ex-Augsburg-Trainer Manuel Baum (links) und Ex-Nationalspieler Skhodran Mustafi analysieren die Taktik.

Ex-Augsburg-Trainer Manuel Baum (links) und Ex-Nationalspieler Skhodran Mustafi analysieren die Taktik. MagentaTV

Der Aufwand ist groß, doch das Konzept kommt an. Mehr als 43 Millionen Zuschauer verfolgten allein die Vorrundenspiele bei MagentaTV, das Exklusivspiel Ungarn - Schweiz sahen 2,3 Millionen Menschen. Arnim Butzen, TV-Chef der Deutschen Telekom, die hinter MagentaTV steht: "Unsere Programmstrategie für die EURO geht voll auf. Unsere drei Kanäle mit dem klassischen Kommentar, der Taktik-Analyse für Fußball-Feinschmecker und der Social-Reaction-Show werden von den Zuschauern sehr gut angenommen." Schweiz - Italien sehen bei RTL 10,07 Millionen Fans in der Spitze, beide Sender zeigen sich mit den Zahlen spürbar zufrieden.

Und Dechant? Der ist auch happy, schwitzt aber schon wieder wegen eines anderen Problems. Wenn es in Berlin Verlängerung geben sollte, muss Plan B greifen. RTL sendet dann einfach weiter, MagentaTV zeigt einerseits die Verlängerung und steigt auf einem zweiten Kanal in die Deutschland-Vorberichterstattung ein. Im Internetzeitalter ist das ein wenig Organisationsaufwand, aber gut machbar. Früher hätte man sich für das eine oder das andere im linearen Fernsehen entscheiden müssen. Die Schweizer erledigen das Thema mit ihrem Sieg aber souverän.

Jim Decker