Int. Fußball

Zehntausende nehmen Abschied von Raciti

Italien stoppt den Profifußball auf unbestimmte Zeit

Zehntausende nehmen Abschied von Raciti

Italienische Polizisten tragen den Sarg des am Samstag getöteten Filippo Raciti.

Italienische Polizisten tragen den Sarg des am Samstag getöteten Filippo Raciti. dpa

Der Samstagabend in Catania hatte mit einer Schweigeminute für Ermanno Licursi begonnen, Funktionär einer Kreisligamannschaft in Kalabrien, den man vor der Kabine zu Tode geprügelt hatte. Der Abend endete in Guerilla-Szenarien und dem Tod des Polizisten Filippo Raciti, 38 Jahre alt, verheiratet, Vater zweier Kinder, getroffen von einem Stein und einer Papierbombe, die Ultras in sein Auto geschleudert hatten.

Zwei Ereignisse von unsäglicher Schande und Absurdität, die ausreichen, um den ohnmächtigen Status quo des italienischen Fußballs zu kennzeichnen. Der Schock sitzt umso tiefer, weil Catania und Palermo, die sich zu 90 Minuten Fußball treffen wollten, zuletzt eigentlich für ein neues, sauberes, erfrischendes Gesicht des Calcio standen.

Doch anstatt feiner Kombinationen, wurde man vor dem Stadion Zeuge von dutzenden Tifosi, die Jeeps und Kleinbusse der Ordnungskräfte mit Stöcken und Steinen attackierten – und mit jener fatalen Papierbombe. Als der Tod Racitis um 22.30 Uhr offiziell verkündet wurde, reagierten die Verantwortlichen mit fassungsloser Wut: "Jetzt reicht’s!", so der kommissarische Leiter des Verbandes, Luca Pancalli. "Das Leben mit 38 zu verlieren, ist unfassbar. Ich habe den Stop jeglichen Fußballs angeordnet. Für wie lange? Auf unbestimmte Zeit. Ich glaube nicht, dass zwei Wochen ausreichen, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen."

Eskalation der Gewalt in Catania

Die hässliche Fratze der Gewalt: Die Verhältnisse in Catania brachten das Fass zum Überlaufen. dpa

Auch die Partien der U21 und A-Nationalelf der kommenden Woche sind ebenso abgesagt wie die Partien des Amateur- und Jugendfußballs. Nie in der Geschichte hatte Italien zu solch drastischen Maßnahmen gegriffen. Zuletzt setzte der Verband einen Spieltag wegen Ausschreitungen vor zwölf Jahren ab, als ein Fan vor der Partie Genua gegen Milan erstochen worden war.

Die Polizei verhaftete am Montag den Stadionverwalter Catanias, der den Ultras geholfen haben soll, Brandbomben und Waffen ins Stadio Massimino geschmuggelt zu haben. Auch dessen Frau und Sohn wurden in Gewahrsam genommen.

"Fußball sollte für ein Jahr gestoppt werden"

Sergio Campana, Präsident der Spielergewerkschaft, schlug längerfristige Maßnahmen vor: "In dem Moment, in dem der Calcio gerade wieder etwas an Glaubwürdigkeit gewinnt, steht man fassungslos vor den Ereignissen in Catania. Der Fußball sollte für ein Jahr gestoppt werden, um sich über all dessen Probleme klarzuwerden." Probleme, die bekannt sind, in Italien jedoch meist ergebnislos zerredet werden.

Am Freitag beim sizilianischen Derby reichten auch die 1500 Sicherheitskräfte nicht aus, um das Chaos zu vermeiden. Bereits vor der Partie hagelte es Feuerwerkskörper und bengalische Feuer aus der Kurve. Das wiederholte sich nach der Führung Palermos in der zweiten Halbzeit. Dabei gab es doch von der Liga die Anweisungen, eine Partie bei solchen Vorfällen sofort abzubrechen. Referee Farina unterbrach jedoch nur für 35 Minuten - zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung, wie später bekannt wurde. Die war da jedoch schon längst verloren gegangen. Für die zeitgleichen Ausschreitungen vor dem Stadion sorgten Catania-Ultras, die auf die Gäste-Fans warteten. Diese erreichten den Platz jedoch erst zu Beginn der zweiten Hälfte, da die Busfahrer sich verfahren hatten. Man nahm die Gefährte unter Beschuss, worauf die Polizei eingriff und der Bürgerkrieg seinen Lauf nahm. Gesetzlose attackierten die Jeeps und Kleinbusse der Ordnungskräfte mit allem, was nicht niet- und nagelfest war.

Italiens Stadien - "gesetzlose Orte"

Am Ende wurden rund 150 Verletzte gezählt, die Polizei nahm bislang 30 Personen fest, darunter zehn Minderjährige. Bis Montag durchsuchte sie auf der Suche nach den Tätern 20 Fan-Clubs sowie Wohnungen von mutmaßlichen Randalierern und beschlagnahmte dabei Sprengkörper, Waffen und Drogen. Catanias Club-Präsident Antonio Pulvirenti nahm seinen angekündigten Rücktritt zurück und erklärte den Randalierern den Kampf: "Ich kann den Verbrechern nicht den Sieg überlassen", so Pulvirenti.

"Absurd, in diesen Stunden über Fußball zu schreieben": Die Homepage von Catania Calcio.

"Absurd, in diesen Stunden über Fußball zu schreiben": Die Homepage von Catania Calcio.

"Catania 21 Uhr – ein Polizist ermordert – der Calcio schließt" titelte die "Gazzetta dello Sport" in großen Lettern. Catanias offizielle Homepage zeigte am Montag noch immer eine schwarze Seite: "Entschuldigt, aber uns erscheint es wirklich absurd, in diesen Stunden über Fußball zu schreiben. Unsere Gedanken sind ausschließlich bei den Angehörigen des Beamten Raciti. Er wollte Sicherheit garantieren und verlor sein Leben – bei einem Fußballspiel."

"Die Stadien sind mittlerweile gesetzlose Orte", resümierte ein niedergeschlagener Renzo Ulivieri, Bologna-Coach und Präsident der Trainervereinigung. "Die Ideologie dieser Tifosi ist es, in den Kampf gegen die Polizei zu ziehen. Hier muss nun der Staat eingreifen." Sportministerin Melandri kündigte an, diesen Krebs herausschneiden zu wollen, während Innenminister Amato betonte: "Unter den momentanen Bedingungen werde ich keinen meiner Polizisten mehr in ein Stadion schicken."

Dennoch gibt es Stimmen aus den Clubs, die sofort wieder spielen wollen. "Wenn ein Flugzeug entführt wird, jagt man den Täter, schließt aber doch nicht gleich den gesamten Flughafen", klagte Cagliaris Präsident Massimo Cellini.

Zur Chronistenpflicht: Palermo siegte durch ein fragwürdiges Tor 2:1.