Int. Fußball

Sebastian Sons: "Nicht überheblich gegenüber Saudi-Arabien"

Interview mit Experte Sebastian Sons

"Wir sollten nicht überheblich werden gegenüber Saudi-Arabien"

Cristiano Ronaldo bei seiner Vorstellung bei Al Nassr im Januar 2023.

Cristiano Ronaldo bei seiner Vorstellung bei Al Nassr im Januar 2023. IMAGO/MB Media Solutions

Cristiano Ronaldo, Neymar, Karim Benzema und viele mehr: alles Fußballstars, die dieses Jahr in die Saudi Pro League gewechselt sind und nun auf der arabischen Halbinsel für Furore sorgen. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar erschien, ist heute Realität - und es sollen noch weitere Top-Spieler folgen. Saudi-Arabien entwickelt sich immer mehr zum ernsthaften Konkurrenten für die westliche Fußballwelt. Diese Entwicklung wird mit der designierten Vergabe der WM 2034 gekrönt. Der Islamwissenschaftler und Nahost-Experte Dr. Sebastian Sons begleitet und beobachtet den Golfstaat seit vielen Jahren.

Herr Sons, Saudi-Arabien ist als Fußball-Land immer weiter auf dem Vormarsch, holt immer mehr Stars in die heimische Liga. Können Sie uns diesen Boom erklären?

Aus saudischer Perspektive sind das Bestandteile eines großen Plans, das Land bekannter zu machen und der jungen Gesellschaft dort neue Möglichkeiten zu bieten. Die Saudis sind ein fußballbegeistertes Volk, und entsprechend bieten eine starke Liga und die Ausrichtung der WM 2034 die perfekte Möglichkeit, die eigene Bevölkerung enger an die politische Führung im Land zu binden, Nationalstolz zu entwickeln und Arbeitsplätze zu schaffen.

Letztendlich spielt Saudi-Arabien aber nach den Regeln, welche die FIFA vorgibt.

Dr. Sebastian Sons

Ist die Entwicklung für die westliche Fußballwelt bedrohlich?

Irgendwann möchte Saudi-Arabien mit dem europäischen Fußball konkurrieren. Letztendlich spielt Saudi-Arabien aber nach den Regeln, welche die FIFA vorgibt. Da geht es viel um Geld, Kommerzialisierung und neue Märkte. Das Land ist ein finanzstarker Markt, der neue Angebote für neue Zielgruppen schaffen möchte. Die Kritik des Westens an einer solchen Entwicklung finde ich doppelzüngig: Auf der einen Seite wird immer wieder die moralische Dimension des Fußballs betont, auf der anderen Seite wird das Geld aber von allen Beteiligten mitgenommen.

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Zuvor sind Länder wie China und Indien in die Fußball- Offensive gegangen - und schnell gescheitert. Was macht Saudi-Arabien nun anders?

Die Saudis haben aus den Fehlern der anderen gelernt und eine entsprechend langfristige Strategie auf die Beine gestellt. Das Land befindet sich in einem fundamentalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozess. Es gibt einen hohen Druck, diese Veränderungen auch langfristig durchzusetzen. Das vom Kronprinzen Mohammad bin Salman verkündete Wirtschafts- und Modernisierungsprojekt "Vision 2030" zur Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl steht über allem, muss erfolgreich werden. In dem Rahmen soll die Sportindustrie so lukrativ werden, dass viele Jobs entstehen, die hohe Jugendarbeitslosigkeit im Land verringert wird. Insofern ist im Vergleich zu den genannten Ländern deutlich mehr Druck hinter dieser Fußball-Offensive.

Mit welchen Folgen für die Bundesliga?

Für die Liga selbst keine direkten, aber für die Spieler: Die Bundesliga hat sich zu einer Ausbilderliga entwickelt, die ihre besten Akteure haupt- sächlich an die Premier League oder andere finanzstarke Ligen weiterverkauft. Diese könnten zukünftig auch nach Saudi-Arabien wechseln. Es gibt viele junge Talente, die für den finanz- starken saudi-arabischen Markt sehr interessant werden könnten.

Das bedeutet dann nichts Gutes für den Stellenwert des deutschen Fußballs …

Man muss den Kontext sehen. Grundsätzlich ist die Saudi Pro League ein Gegenmodell zum europäischen Fußballmonopol und somit auch zum deutschen Fußball. Als islamisches Land will Saudi-Arabien aber vor allem auch Spieler anlocken, die einen religiösen Bezug zum Land haben wie etwa Karim Benzema. So sollen Einheimische die Möglichkeit haben, die großen Stars in ihrer Heimat zu sehen - nach dem Motto: Das gibt es nicht nur bei Real und Barcelona, sondern nun auch bei Al-Hilal und Al-Nassr!

Es gehen kaum Spieler aus der Bundesliga in die Saudi Pro League. Wieso?

Erstens ist sie aus sportlichen Gründen nicht so stark im Fokus der arabischen Bevölkerung. Dort schaut man vor allem auf die englische Premier League und deren Stars. Zweitens herrscht in Deutschland generell eine größere Skepsis gegenüber Saudi-Arabien als Fußballnation. Drittens ist die Anzahl muslimischer Top-Stars in der Bundesliga nicht so hoch. Natürlich geht es den Spielern in erster Linie ums Geld, aber der kulturelle und spirituelle Aspekt spielt bei vielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

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Cristiano Ronaldo hat finanziell ausgesorgt und ist kein Muslim. Welchen Anreiz gab es wohl für ihn?

Ronaldo hat in Europa nahezu alles erreicht und kann in Asien nun völlig neue Zielgruppen ansprechen und seine Marke weiter stärken. So hat er sehr spät in seiner Karriere noch mal einen Boom um seine Person ausgelöst, den es in Europa in dieser Form wohl nicht mehr gegeben hätte.

Wie kann man sich das Leben als Fußballer in Saudi-Arabien vorstellen?

Man kann dort in einer Blase leben - muss es aber nicht. Im Gegensatz zu Katar ist Saudi-Arabien ein sehr großes, heterogenes und facettenreiches Land mit vielen Kultur- und Freizeitmöglichkeiten. Das Land hat sich in den letzten zehn Jahren stärker als zuvor geöffnet, investiert in den Tourismus und die Unterhaltung. Man sieht mittlerweile z. B. auch Frauen ohne Schleier auf der Straße. Aber noch immer ist es ein konservatives Land, wo es Regeln gibt, an die man sich halten sollte - das gilt auch für Fußballer aus dem Ausland.

Gibt es dort eine richtige Fankultur?

Es gibt eine große Begeisterung für den Fußball, insbesondere für die Stars. Es gibt aber auch eingefleischte Fangruppierungen, die hinter den Klubs stehen. Die Rivalitäten zwischen den vier Traditionsklubs aus Riad, Al-Hilal und Al-Nassr, und aus Dschidda, Al-Ittihad und Al-Ahli, sind groß. Die Derbys sind hitzig, die dort gelebten Emotionen authentisch.

Ist es denn richtig, eine WM in Saudi- Arabien stattfinden zu lassen?

Als Fußballfan habe ich für die Politik der FIFA generell wenig Verständnis. Es gab schon bei den letzten Vergaben deutliche Hinweise auf Korruption - gerade auch bei der WM in Katar. Letztlich führt diese Entwicklung dazu, dass sich die Fans hierzulande immer mehr vom Fußball abwenden. Dies sehen die Fans auf den anderen Kontinenten aber ganz anders, Gianni Infantino macht das schon sehr geschickt. Das Land hat jedenfalls ein Recht, das Turnier auszutragen. Und wir sollten in unserer Haltung nicht überheblich werden gegenüber Saudi-Arabien - das ist uns schon bei der WM in Katar um die Ohren geflogen.

Dieser Artikel erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 28. Dezember 2023 (auch als eMagazine erhältlich).

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