Bundesliga

Zum 75. Geburtstag: DDR-Legende Jürgen Croy im Interview

Über Stasi, Terror und WM-Prämien

"Wenn die dich wegholen, streikt meine Belegschaft"

Kein Gegentor gegen Gerd Müller (2. v. li.) und die BRD: Jürgen Croy (liegend), der herausragende Torhüter der DDR-Geschichte.

Kein Gegentor gegen Gerd Müller (2. v. li.) und die BRD: Jürgen Croy (liegend), der herausragende Torhüter der DDR-Geschichte. imago/Horstmüller

Vor 40 Jahren beendete Jürgen Croy seine Karriere als Fußballer. Der Torhüter der BSG Sachsenring Zwickau, in den 70er Jahren einer der weltbesten Keeper, gehört zu den Legenden des DDR-Fußballs. Nach seiner Laufbahn war Croy unter anderem Bürgermeister für Sport, Schule und Kultur in Zwickau.

Herr Croy, an diesem Dienstag werden Sie 75. Wie feiern Sie?

Im ganz kleinen Kreis. Mit meinen Kindern und meiner Schwester. Sie leben immer noch in Ihrer Heimatstadt Zwickau.

Sieht man Sie noch beim FSV Zwickau im Stadion?

In größeren Abständen. Ansonsten verfolge ich den FSV über die Medien. Ich achte die Arbeit von Trainer Joe Enochs - und mit Johannes Brinkies hat der FSV einen sehr guten Torwart.

Sie haben in Ihrer Karriere nur für Zwickau gespielt. Die DDR-Sportfunktionäre wollten aber, dass der Nationaltorhüter für einen Topklub wie Lok Leipzig, Dynamo Dresden oder in Berlin aufläuft?...

Wegen dieser Sache musste ich 1972 auch bei Franz Rydz, dem Vizepräsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes in Berlin antreten.

Und was hat der Ihnen mitgeteilt?

Man erwarte von mir, dass ich zur Saison 1972/73 bei Dynamo Dresden spiele - oder einem anderen Topklub. Wenn ich mich weigerte, sei damit zu rechnen, dass ich zur Armee eingezogen würde und für eineinhalb Jahre in Thüringen oder in Mecklenburg-Vorpommern bei einer kleinen Armee-Mannschaft Sport treiben könnte. Aber für mich kam nicht infrage, dass ich Zwickau verlasse. Meine Familie sollte dort leben, wo sie sich wohlfühlt.

Ehe Sie nach Berlin gefahren sind, gab es eine spezielle Rückendeckung.

Das stimmt. Ein Produktionsleiter der Sachsenring-Werke hat zu mir gesagt: Jürgen, wenn die dich hier wegholen, streikt meine Belegschaft.

Haben Sie diese Karte gespielt?

Nein. Mir blieb noch die Chance, einen Deal einzugehen.

Welchen?

Klaus Sammer und ich waren damals als einzige Nationalspieler des DDR-Kaders kein Mitglied in der SED. Ich habe dann zugestimmt, in die Partei einzutreten und so meinen Verbleib in Zwickau gesichert.

Den Nationalkeeper hätte man nicht so einfach bei einem kleinen Armeeteam versauern lassen.

Jürgen Croy

Haben Sie mal daran gedacht, nachzugeben?

Nein. Einen Trumpf hatte ich auch noch in der Hinterhand. Ich hatte damals schon etliche Länderspiele für die DDR bestritten, und man hätte den Nationalkeeper nicht so einfach irgendwo bei einem kleinen Armeeteam versauern lassen können.

Haben Sie in der Folge noch gezittert, dass man Sie doch einzieht?

Gezittert nicht. Aber man hat mich auf andere Weise spüren lassen, dass ich dem Willen der Funktionäre nicht nachgekommen war.

Und zwar wodurch?

Für die Nationalspieler gab es damals monatliche Zuschüsse aus Berlin. Mir wurden die mal gezahlt und dann wieder ein paar Monate nicht.

Fußballer in der DDR wurden vom Ministerium für Staatssicherheit auch als IM angeworben, um über diesen Hebel Druck auf sie auszuüben. Wurde die Stasi auch bei Ihnen vorstellig?

Natürlich. Bereits 1965, als wir die Junioren-EM gewannen, nahm die Stasi Kontakt zu mir auf. Ich habe eine Mitarbeit aber strikt abgelehnt. In meiner Stasi-Akte habe ich dann über die Gespräche gelesen: Croy ist unreif und feige und kommt für eine Mitarbeit derzeit nicht infrage, stand da. Für mich ist das eine Ehre und Auszeichnung (schmunzelt).

Haben Sie in Ihrer Akte auch noch etwas zu Ihrem verweigerten Wechsel zu einem Topklub gelesen?

Ja. Interessant war dabei, wer die Zuträger der Stasi waren. Glücklicherweise gab es weder in meinem privaten Umfeld noch in der Zwickauer Mannschaft oder im Nationalteam Leute, die mich ausspioniert haben.

In Ihre aktive Zeit fielen auch die Bronzemedaille bei Olympia 1972, der Sieg gegen die Bundesrepublik bei der WM 1974 sowie der Olympia-Sieg 1976. Was war Ihr Karriere-Highlight?

Alle drei Ereignisse. Von der Wertigkeit her ist die WM allerdings am höchsten einzuschätzen.

Jürgen Croy, Joachim Streich, Jürgen Sparwasser

Drei ganz große des DDR-Fußballs: Jürgen Croy, Joachim Streich und Jürgen Sparwasser (v. li.). imago/Otto Krschak

Besonders der 1:0-Sieg gegen die Bundesrepublik in Hamburg ist in die Geschichte eingegangen. Ihre Nachbereitung war kurios.

Das stimmt (lacht). Wir waren in Quickborn 30 Kilometer nördlich von Hamburg untergebracht und nach dem Sieg gegen die BRD natürlich bester Stimmung. Mit zwei, drei Spielern haben wir die Sicherheitsleute überredet, uns mal nach St. Pauli zu fahren, weil wir unbedingt mal die Reeperbahn sehen wollten. Als wir wieder in Quickborn ankamen, ging schon die Sonne auf. Die Grenzschutzbeamten haben uns in Empfang genommen und sagten: "Seid ihr verrückt? Wo kommt ihr denn her? Heute Nacht hat es hier eine Bombendrohung gegeben." Man sagte uns, dass wir durch den Hintereingang ins Teamhotel müssten. Wir haben uns erst mal auf die Terrasse gesetzt, und nach zehn Minuten kam ein Verbandsfunktionär raus und hat zu uns gesagt: "Mensch Jungs, das war ein großer Abend gestern. Euch geht es sicher auch so wie mir, ihr könnt auch nicht schlafen."

Die BRD-Profis bekamen für den WM-Titel 70 000 Mark. Und Sie?

Ein Zehntel - in D-Mark. Das Geld wurde uns bei einem Empfang direkt nach der WM in Berlin bar ausgezahlt. Die Funktionäre haben sich am nächsten Tag aber überlegt, dass wir mit dem Geld eventuell protzen würden. Also sollten wir es zurückzahlen.

Und? Haben Sie?

Nein. Am Tag nach dem Empfang waren wir Spieler in Berlin noch in einem Kaufhaus für Diplomaten, und da habe ich einen Teil des Geldes für einen Swimmingpool ausgegeben. Ich habe einfach gesagt, ich habe nichts mehr von dem Geld. Der Pool befindet sich übrigens immer noch in meinem Garten in Zwickau (lacht).

An die Olympischen Spiele 1972 haben Sie abseits des Sports weniger gute Erinnerungen. Die DDR-Mannschaft wohnte im olympischen Dorf gegenüber dem Gebäude, in dem die Geiselnahme der israelischen Sportler durch Terroristen stattfand.

Das war sehr beängstigend. Wir konnten die Terroristen auf dem Balkon gegenüber ja sehen - und die uns auch. Am Tag, als die Geiselnahme auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck das entsetzliche Ende nahm, waren wir nachmittags zu unserem Zwischenrundenspiel gegen Ungarn gefahren. Und als wir zurückkamen, fuhren gerade die Busse mit den Terroristen und den Geiseln ab.

1989 wurden Sie zum besten Spieler der DDR-Geschichte gewählt. Was bedeutet Ihnen das?

Ich betrachte das als eine ganz große Auszeichnung. Gerade, weil wir so tolle Fußballer hatten wie etwa Peter Ducke, Hans-Jürgen Kreische, Joachim Streich, Dixie Dörner oder Jürgen Sparwasser.

Es wäre kein Problem für mich gewesen, erster Aufbauspieler zu sein.

Jürgen Croy

Nach Ihrem Karriereende waren Sie auch von 1984 bis 1988 Trainer in Zwickau, später Funktionär. Kam ein Job im Profifußball nach der Wende für Sie nie in Betracht?

Das hätte bedeutet, zwei Jahre im Osten zu wohnen, zwei Jahre im Süden und dann zwei im Westen. Das wollte ich meiner Familie nicht zumuten.

Haben Sie es manchmal bedauert, dass Sie nicht 30 Jahre jünger sind und so die Chance verpasst haben, nach der Wende in der Bundesliga zu spielen und viel Geld zu verdienen?

Nein. Innere Zufriedenheit ist für mich wichtiger als Geld.

Von einem Torhüter wird heute verlangt, fast wie ein Feldspieler zu agieren. Wäre das auch ein Torwartspiel für Sie?

Ich war technisch gut und konnte das Spiel lesen. Es wäre kein Problem für mich gewesen, erster Aufbauspieler zu sein. Primär sollte ein Torwart aber seine Kiste sauber halten.

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