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Von Salary Cap bis Mixed Teams: Göttlichs Wünsche für den "anderen Fußball"

Präsident des FC St. Pauli bezieht Stellung

Von Salary Cap bis Mixed Teams: Göttlichs Wünsche für den "anderen Fußball"

Oke Göttlich: "Frauenfußball nicht komplett dem freien Markt überlassen."

Oke Göttlich: "Frauenfußball nicht komplett dem freien Markt überlassen." IMAGO/Philipp Szyza

Bevor Oke Göttlich beim "Hamburg Sports Summit" am Donnerstag seine Gedanken zum Frauenfußball äußerte, war er zunächst um eine selbstkritische Einordnung bemüht. "Unsere Frauenfußballaktivitäten sind organisiert im Amateurbereich. Wir haben momentan weder infrastrukturell noch finanziell die Möglichkeit, den Frauenfußball so weiterzuentwickeln, wie wir a) es uns wünschen würden und b) es dem FC St. Pauli sehr gut zu Gesicht stehen würde", sagte der Präsident des Bundesliga-Aufsteigers auf der Konferenzbühne in der Hamburger Elbphilharmonie. Und solange dem FC St. Pauli die "realpolitischen Möglichkeiten fehlen" würden - aus Sicht von Göttlich mangelt es vor allem an Platz für Trainingsoptionen -, "werden wir uns auch nicht völlig verheben können". Der Klub sei aber "in Gesprächen, wie wir das besser leisten können".

Anschließend gab Göttlich dann einige Gedankenanstöße für den professionellen Frauenfußball. So wünscht sich der 48-Jährige, der auch Mitglied des Präsidiums der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist, unter anderem ein durchgängiges und sanktioniertes Financial Fair Play, Kader- und Gehaltsobergrenzen sowie einen "integren und faireren Wettbewerb, in dem die Medienerlöse gerecht verteilt werden". Ebenfalls hofft Göttlich, dass die nationalen Fußballligen künftig nicht darunter leiden, dass internationale Wettbewerbe mit Finanzmitteln von Geldgebern aus Herkunftsländern geflutet werden, "wo es schwierig ist nachzuverfolgen, woher das Geld kommt". "Das haben wir ja schon im Männerfußball", kann sich Göttlich eine Spitze nicht verkneifen.

Was Governance- und Compliance-Strukturen angeht, haben wir gerade im internationalen Männerfußball riesige Defizite.

Oke Göttlich, Präsident, FC St. Pauli

Auch wenn der Frauenfußball "unterprivilegiert finanziert" sei, dürfe er nicht "komplett dem freien Markt überlassen" werden, meint Göttlich. Er sagt: "Wir sehen im Männerfußball, wohin das führt. Was Governance- und Compliance-Strukturen angeht, haben wir gerade im internationalen Männerfußball riesige Defizite und das ist etwas, wo ich mir vom Frauenfußball auch eine Vorreiterrinnenrolle wünsche - auch innerhalb der Gremien des DFB und auf Sicht vielleicht auch der DFL."

"Warum gibt es eigentlich keine Mixed Teams?"

Bei der Veranstaltung, die von der gemeinnützigen Netzwerkorganisation "FUSSBALL KANN MEHR" in Kooperation mit der Stadt Hamburg ausgerichtet wurde, brachte Göttlich dann noch einen ganz anderen, unkonventionellen Gedanken zur Sprache. "Warum denken wir im deutschen Fußball immer in Männer oder Frauen? Warum gibt es eigentlich keine Mixed Teams und keine eigene Liga dafür?", stellt der Präsident des Kiezklubs bei seinem Vortrag als Fragen in den Raum. "Ich würde mir sehr wünschen, dass Hamburg Vorreiter für Mixed Teams und einen entsprechenden Ligawettbewerb wird", sagt Göttlich.

Bessere Debattenkultur dank Frauenquote

Während der Aufbau einer Struktur für professionellen Frauenfußballs beim FC St. Pauli wie von Göttlich beschrieben derzeit noch stockt, ist der Klub in anderen Bereichen rund um das Thema Diversität schon deutlich weiter. Und zwar deutlich weiter, als alle anderen Klubs im deutschen Profifußball. So arbeitet der FC St. Pauli bereits seit Jahren an einer besseren gender-paritätischen Besetzung seiner Gremien und Führungsebenen.

Im September 2021 führte der damalige Zweitligist beispielsweise als erster Profiverein eine Frauenquote ein und nahm eine entsprechende Satzungsänderung vor. Demnach sollen Vereinsgremien wie der Aufsichtsrat, das Präsidium, der Ehrenrat und der Wahlausschuss mindestens mit 30 Prozent Frauen besetzt sein. Der Status quo knapp zweieinhalb Jahre später: Im fünfköpfigen Präsidium des Klubs sitzen nicht 30 Prozent, sondern 60 Prozent Frauen. Neben Präsident Oke Göttlich und Jochen Winand zählen Luise Gottberg, Hanna Obersteller und Esin Rager zu den Vizepräsidentinnen. Ähnlich sieht es im siebenköpfigen Aufsichtsrat des FC St. Pauli aus. In dem Gremium sind seit Dezember 2022 vier Frauen - darunter mit Sandra Schwedler die erste weibliche Aufsichtsratschefin innerhalb der Bundesliga und 2. Bundesliga überhaupt.

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Im Wissen, dass die Einführung einer Frauenquote auch nicht gänzlich unkritisch gesehen werden kann, ist Göttlich inzwischen von selbiger überzeugt. "Ich habe auch in meinen Anfangsjahren schon versucht, Frauen in Führungspersonen fürs Präsidium zu gewinnen, aber das war kaum möglich. Es lag, wie ich jetzt für mich im Nachhinein festgestellt habe, auch daran, dass es keine Quote gab. Die von mir angesprochenen Frauen hatten damals nämlich die Sorge, dass sie allein in einem männlich dominierten Gremium seien könnten", führt der Präsident aus. "Durch die Quote und durch mehr Engagement von Frauen in unseren Ämtern und Gremien ging die Entwicklung auf einmal total schnell, wir haben seitdem eine wirklich verbesserte Zusammenarbeit und Debattenkultur."

Frauen im Profifußball stark unterrepräsentiert

Abseits des FC St. Pauli sind mit Frauen besetzte Führungspositionen im deutschen Profifußball nach wie vor rar gesät. Gemäß einer Studie von "FUSSBALL KANN MEHR" aus dem Jahr 2023 sind nur drei Prozent aller Führungspositionen in der Bundesliga und 2. Bundesliga mit Frauen besetzt.

Mit Tanja Gönner schaffte es in diesem Jahr immerhin auch beim VfB Stuttgart eine Frau an die Aufsichtsratsspitze - auch wenn diese nur als Übergangslösung gilt. Beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig steht derweil mit Nicole Kumpis seit Frühjahr 2022 eine Frau als Präsidentin ganz oben. Kumpis wurde bei den Niedersachsen im Januar 2024 mit 71 Prozent der Stimmen für eine Amtszeit von weiteren drei Jahren wiedergewählt.

Verzicht auf fünf Millionen Euro Werbeeinnahmen pro Jahr

Der FC St. Pauli fasst seine sozialen und gesellschaftlichen Überzeugungen unter dem Claim "Ein anderer Fußball ist möglich" zusammen. Dabei wandelt der Aufsteiger in der Fremdwahrnehmung stets auf einem schmalen Grat. Die einen bejubeln den Klub für seine kontroverse Haltung gegenüber dem Establishment, die anderen halten einige symbolische Aktionen für scheinheilig und werfen den Hamburgern gerade in Sachen Kommerzialisierung eine gewisse Doppelmoral vor - Verbot für sexistische Werbung hier, jahrelange Werbung für Sportwettenanbieter oder aktuell für die Spielbank Hamburg da.

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"Wir verzichten aus Haltungsgründen jedes Jahr auf circa fünf Millionen reine Werbeeinnahmen", ordnet Göttlich ein. "Ich bin sehr froh, dass unsere Mitglieder sehr viele Themen bei uns anstoßen und dass wir auch gemeinschaftlich Kritik am Fußballsystem üben, an dem wir selbst teilnehmen", sagt er und weiß: "Teilweise wird uns vorgeworfen: Wenn Ihr immer gegen das System seid, warum macht Ihr da dann überhaupt mit?" Die Antwort: "Weil es durch uns hoffentlich nicht ganz so schlimm ist, als wenn wir nicht da wären. Und deswegen freuen wir uns auch, dass wir Teil der DFL und der Bundesliga sind, und dass wir unsere Themen dort auch weiter vorstellen und vorschlagen können."

"Jeden Tag für 50+1 kämpfen"

Mit Haltung und dem Einstehen für gesellschaftliche Werte allein, kann der FC St. Pauli es aber auch nicht allen Menschen rechtmachen - und schon gar nicht in die Bundesliga aufsteigen. "Uns wurde viele Jahre nachgesagt, dass der FC St. Pauli sich um alles andere, außer um den sportlichen Erfolg kümmert", wirft Göttlich ein. Aus seiner Sicht können soziales Engagement und erfolgreicher Profifußball aber durchaus miteinander im Einklang stehen. "Der FC St. Pauli ist ein Stadtteilverein, der communitybasiert mit dem sportlichen Erfolg und einer Konzentration auf Leistung eine Plattform schafft, für die wir mit unseren Werten und unseren symbolhaften Maßnahmen ein Weg aufmachen, um Progressivität vorzuleben, um Menschen zu empowern, um Diversität und Integration zu leben und um gegen Faschismus zu kämpfen", sagt er.

Der jüngste sportliche Aufstieg in die Bundesliga ohne ausgegliederte Profiabteilung und ohne Investoren geklappt hat, ist für Göttlich folglich der ultimative Beweis, dass der vom FC St. Pauli ausgerufene "andere Fußball" nicht nur auf dem Blatt Papier, sondern auch in der Realität möglich ist. Und genau das sei auch "unsere Motivation, jeden Tag alles zu geben, um für 50+1 und einen mitgliedergeführten Verein zu kämpfen".

Henning Eberhardt

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