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EM 2024: Die Tops und Flops der Gruppenphase

Slapstick, Stimmung, Spanien

Von Potenzialen und Klischee-Brüchen: Die Tops und Flops der EM-Gruppenphase

Bilder der EM 2024: Ein türkisches Eigentor, niederländische Fans und Riccardo Calafiori (re.).

Bilder der EM 2024: Ein türkisches Eigentor, niederländische Fans und Riccardo Calafiori (re.). imago images (3)

Top: Das Flair

Es war den Menschen in Russland und Katar zu gönnen, dass eine Weltmeisterschaft auch mal bei ihnen stattfindet. Schließlich heißt es Weltmeisterschaft, nicht Europa- oder Südamerikameisterschaft. Dass bei einem Turnier in einer großen etablierten Fußballnation aber noch mal ein anderes Potenzial existiert, eine andere Atmosphäre entsteht, was es durch Corona während der EM 2020/21 letztmals wirklich bei der EM 2016 in Frankreich gegeben hat, lässt sich schwer wegdiskutieren. Weil es nicht nur durch die Brille des Gastgebers betrachtet, sondern vor allem von den Fans anderer Nationen zu vernehmen ist - die für die tolle Stimmung oft noch mehr gesorgt haben als die Deutschen selbst.

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Flop: Der Verkehr

Stimmungsdämpfer sind allerdings auch nicht weit. Vor allem der öffentliche Personennahverkehr, worunter Fans und Journalisten gleichermaßen zu leiden haben, weiß längst nicht mehr so zu überzeugen wie noch bei der WM 2006. Was hierzulande vielleicht keinen überraschte, sorgte im Ausland für reichlich (Ärgernis und) Ungläubigkeit: "Die EM 2024 und die deutsche Effizienz: Vergesst alles, was ihr zu wissen glaubtet", titelte etwa The Athletic, nachdem speziell England-Anhänger in Gelsenkirchen ziemlich auf sich allein gestellt gewesen waren. Ob sich die Dinge in der K.-o.-Runde bessern?

Top: Der VAR

Er greift ein, wenn er eingreifen muss, er braucht dafür meistens nicht besonders lang, er hat noch keine grobe Entscheidung herbeigeführt, die einen Spielausgang überschattete: der VAR. Fans der Bundesliga, der Premier League oder von La Liga sind wohl gleichermaßen verwundert, warum das im nationalen Spielbetrieb nicht auch so reibungs- und skandallos ablaufen kann. Dass der größte Aufreger bisher die acht Minuten Nachspielzeit im Spiel Italien gegen Kroatien waren, ist ein gutes Zeichen für die unterstützende Technologie.

Mg Colonia (Germania) 22 06 2024 - Euro 2024 Belgio-Romania foto Matteo Gribaudi Image nella foto: Romelu Lukaku PUBLICATIONxNOTxINxITA

Wieder trifft Lukaku, wieder kassiert der VAR das Tor

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Flop: Slapstick-Eigentore

Nicht erst bei dieser EM fallen tendenziell ungewöhnlich viele Eigentore, dieser Trend hatte sich auch schon bei den vergangenen Turnieren abgezeichnet. In Teilen lässt sich das vielleicht mit ausgeklügelterem Offensivspiel erklären, mit schärferen Hereingaben in gefährlichere Zonen, wo Verteidiger manchmal gar nicht mehr anders können, als den Ball ins eigene Netz zu bugsieren. Doch bei den Eigentoren bei dieser EM war schon so viel Slapstick dabei - Gjasula gegen Kroatien, Akaydin gegen Portugal, Malen gegen Österreich -, dass nur Unkonzentriertheit und mangelnde Abstimmung als Hauptursachen durchgehen.

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Top: Riccardo Calafiori

Bisher begeistern bei der EM 2024 vor allem Mannschaften, also Kollektive. Turniere werden aber immer auch mit einzelnen Gesichtern verknüpft - und bleiben dafür in Erinnerung. Eines der Gesichter dieses Turniers ist bislang der italienische Verteidiger Riccardo Calafiori (22, FC Bologna), der Ausstrahlung und Leistung so sehr vereint, dass ZDF-Experte Christoph Kramer ihn sogar als besten Spieler der EM adelte. Ob der Linksfuß das halten kann, ist fraglich, ob Bologna ihn halten kann, aber auch. Schön, dass nach den Rücktritten von Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci vielleicht der nächste große italienische Verteidiger heranreift.

Riccardo Calafiori

Abräumer, Aufbauspieler, Assistgeber in letzter Sekunde: Riccardo Calafiori (re.). IMAGO/ZUMA Press

Flop: Rafael Leao

Im Schatten von England und Frankreich, Deutschland als Gastgeber und inzwischen auch Spanien gehört Portugal definitiv zu den Titelanwärtern, wenn man die Kader betrachtet. Besonders der Konkurrenzkampf in der Offensive, die noch ein wenig nach ihrer Ausrichtung sucht, ist zwar hart, kein Portugiese bringt aber so das inzwischen essenzielle Tempo mit wie Rafael Leao. Milans Linksaußen hat in seiner Mannschaft wie auch im Turnier das Zeug zum Unterschiedsspieler und durfte die ersten beiden Gruppenspiele auch beginnen. Anders als Joao Felix oder Diogo Jota etwa. Er führte sich dort jedoch nicht als Torschütze oder Vorbereiter ein, sondern als Schwalbenkönig. Der 25-Jährige wurde in beiden Spielen wegen einer Schwalbe verwarnt, sodass er im dritten gleich mal gesperrt war. Das öffnet die Tür für die Konkurrenz.

Football - UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2024 - Group F - Turkey v Portugal DORTMUND, GERMANY - Saturday, June 22, 2024: Referee Felix Zwayer shows Portugal s Rafael Leao a yellow card for diving during the UEFA Euro 2024 Group F match between Turkey and Portugal at the Westfalenstadion. (Photo by David Rawcliffe Propaganda) DORTMUND Westfalenstadion NORTH RHINE-WESTPHALIA GERMANY PUBLICATIONxNOTxINxUK Copyright: xDavidxRawcliffex P2024-06-22-Turkey_Portugal-23

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Top: Spanien in neuem Gewand

Calafiori erinnert bereits an Paolo Maldini oder Alessandro Nesta? Da freut sich das nostalgische Fußball-Herz. Zumal sich auch bei der WM in Katar bewiesen hat, dass es sich lohnt, wenn man als Nationalmannschaft seiner fußballerischen Identität treu bleibt: Argentiniens Triumph 2022 ähnelte dem zuvor letzten von 1986 von der Herangehensweise enorm.

Es kann aber auch schön sein, wenn sich ein Schwergewicht ob der Qualitäten im Kader ein bisschen neu erfindet. Die Spanier, plötzlich Top-Favorit, bestechen zwar weiterhin durch Positionsspiel und Kontrolle, sie haben sich in Richtung Angriffsdrittel mehr denn je aber auf das Flügelspiel ausgerichtet. Die jungen Himmelsstürmer Nico Williams und Lamine Yamal zählen bisher zu den besonders erfrischenden Erscheinungen bei dieser EM.

UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2024: Spanien - Italien; 20.06.2024 Nico Williams (Spanien, 17) UEFA EURO 2024: Spanien - Italien; Stadion AufSchalke, Gelsenkirchen am 20.06.2024 *** UEFA EURO 2024 Spain Italy 20 06 2024 Nico Williams Spain, 17 UEFA EURO 2024 Spain Italy Stadion AufSchalke, Gelsenkirchen on 20 06 2024 Copyright: xBEAUTIFULxSPORTS Meuselx

Williams macht alles richtig - und trifft doch nur die Latte

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Flop: Southgate und Deschamps

Auf zwei große Favoriten konnten sich vor dem Turnier eigentlich alle einigen, beide sind wenig überraschend auch in die K.-o.-Runde eingezogen. Was Gareth Southgate bei den Three Lions und Didier Deschamps mit Les Bleus aber weiterhin spielerisch aus wahrlich atemberaubendem Spielerpotenzial rausholen - oder vielmehr nicht -, ist fast schon tragisch. Und dass sie ab dem Achtelfinale mutiger werden, ist ja nun wirklich nicht zu erwarten.

Gareth Southgate manager of England England Training, UEFA European Championship, EM, Europameisterschaft 2024, Group C, Football, Spa & Golf Resort Weimarer Land, Blankenhain, Germany, 21 Jun 2024 EDITORIAL USE ONLY No use with unauthorised audio, video, data, fixture lists, club league logos or live services. Online in-match use limited to 120 images, no video emulation. No use in betting, games or single club league player publications. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxGRExMLTxCYPxROUxBULxUAExKSAxONLY Copyright: xDavexShopland Shutterstockx 14543929a

Southgate verteidigt sich: "Trifft bei mir auf taube Ohren"

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Top: Die "Kleinen"

Es gibt sie ja nicht mehr, das ist schon länger bekannt. Aber der Fußball ist an der Spitze der Nationalmannschaften aktuell nicht nur enger zusammengerückt, weil "die Kleinen" sich dorthin gemauert haben. Anders als vor allem bei der EM 2016 versuchen einige Underdogs auch in aktiver Rolle zu überzeugen. EM-Neuling Georgien etwa riss den neutralen Zuschauer nicht erst beim Sieg über Portugal mit, Albanien schoss das schnellste Tor der EM-Historie. Die Gruppensieger Österreich und Rumänien landeten nicht zufällig auf Platz 1. Biedere Spiele waren an den ersten beiden Gruppen-Spieltagen die große Ausnahme.

Georgia v Portugal: Group F - UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2024 Jemal Tabidze, Gabriel Sigua and Khvicha Kvaratskhelia of Georgia and team mates celebrate after winning the UEFA EURO 2024 group stage match between Georgia and Portugal at Arena AufSchalke on June 26, 2024 in Gelsenkirchen, Germany. Gelsenkirchen Arena AufSchalke Germany Germany PUBLICATIONxNOTxINxUK Copyright: xRichardxSellers Sportsphoto APLx 14043001

Emotionen Pur: Georgien feiert den Sensationssieg nach Abpfiff

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Flop: Die möglichen Probleme am 3. Spieltag

Dass am dritten Spieltag dann mehr aufgepasst und kalkuliert wurde, weil es etwa möglich war, ohne eigenen Sieg weiterzukommen, ist genau so wenig ein exklusives Problem eines Formats, in dem vier von sechs Gruppendritten weiterkommen, wie die Möglichkeit, dass sich zwei Mannschaften zum gemeinsamen Achtelfinal-Einzug quasi auf ein Ergebnis einigen können. Doch all das wird wahrscheinlicher. Weil der Slowakei und Rumänien im gegenseitigen Duell jeweils ein Punkt für das Achtelfinale reichten, befürchtete mancher ein zweites Gijon. Doch von einem Nichtangriffspakt konnte keine Rede sein, beide Mannschaften spielten über weite Strecken voll auf Sieg. Dass es das Remis am Ende dennoch gab, ist Zufall. Der Modus bleibt dennoch Geschmackssache.

Niklas Baumgart

Sechs Nationen dabei: Die kicker-Elf der EM-Gruppenphase