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Deniz Undav im Interview: "Mein Traum ist, die EM zu spielen"

Brighton-Stürmer im Interview

Undav: "Mein Traum ist es, für Deutschland bei der EM zu spielen"

Blick nach vorne: Deniz Undav (#21).

Blick nach vorne: Deniz Undav (#21). IMAGO/Pro Sports Images

Bevor Brighton & Hove Albion in dieser Woche die Vorbereitung auf die neue Premier- League-Saison wieder aufnimmt, nutzte der Ex-Braunschweiger und -Meppener Deniz Undav die letzten Urlaubstage zu einem Abstecher nach Achim. Dort, im Norden Deutschlands, wohnt seine Familie, rund 100 Kilometer von seinem Geburtsort Varel in Friesland entfernt. Der Angreifer war bestens gelaunt bei einem 30-minütigen Videocall mit dem kicker.

Herr Undav, es ist Anfang Juli, die ersten Transfergeschäfte laufen. Konfrontiert Ihr Berater Sie täglich mit Anfragen, oder kann er sich die Mühe sparen, weil Sie in Brighton bleiben wollen?
Ich bin generell immer offen für alles, aber die Anfragen sind gerade nicht wichtig für mich. Es gilt, in Brighton weiter Fuß zu fassen. Das habe ich am Ende der Saison geschafft. Ich freue mich auf die Vorbereitung, habe schon individuell vorgearbeitet.

Die Frage zielt darauf ab, dass Sie trotz einer sehr starken Quote, wenn man Einsatzzeit und Tore in Relation setzt, kein Stammspieler waren 2022/23. Wie bewerten Sie die Situation?
Mit dem Ende der Saison kann ich zufrieden sein: Fünf Tore in den letzten acht Einsätzen, die Tendenz geht nach oben. Ich hatte zu Beginn Probleme: das neue Land, die beste Liga der Welt, der frühe Trainerwechsel. Da brauchte ich meine Zeit. Aber am Ende konnte ich zeigen, was ich kann. Hätte ich mehr Spiele von Beginn an, wären es noch mehr Tore gewesen.

Kein anderer Spieler mit so wenigen Minuten kommt auf so viele Treffer, nur sechs in der Premier-League-Historie benötigten überhaupt weniger Minuten für mindestens fünf Tore in einer Saison. Wie wichtig sind Ihnen solche Daten?
Solche Statistiken freuen mich, das sind gute Argumente. Aber kaufen kann ich mir dafür nichts mehr, und ich hätte eher lieber mehr gespielt. Dazu braucht man das Vertrauen des Trainerteams, das ich jetzt immer mehr spüre.

War der frühe Wechsel von Graham Potter, der Sie geholt hatte, zu Roberto de Zerbi ein Schock?
Ja, hundertprozentig. In der Woche vorher hatte Potter mir signalisiert, dass ich bald von Anfang an spielen würde. Aber dann lief alles anders, das war ein Schock, ja. Aber so ist das Fußballgeschäft, das ich so aber zum ersten Mal erlebt habe. Ich habe dann ein paar Monate gebraucht, um de Zerbi auch von mir zu überzeugen.

Vor allem in Deutschland suchte man Fehler bei mir.

Deniz Undav

Warum konnte Potter beim FC Chelsea nicht der Trainer sein wie in Brighton?
Er ist wirklich ein sehr, sehr guter Trainer. Ich glaube, zu der Zeit hätte es jeder Trainer der Welt schwer gehabt dort. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass er mit einer etwas anderen Kaderstruktur und mehr Zeit auch dort sicherlich Erfolg gehabt hätte.

Die Ironie am Ende: Chelsea ist nicht dabei international. Wohin führt Brightons Reise in der Europa League, vielleicht zu einem Einbruch in der Liga?
Da mache ich mir keine Sorgen, es wird gut laufen. Natürlich waren die letzten Monate mit Pokal und Liga kräfteraubend, mental und körperlich, aber wir haben uns an den Rhythmus gewöhnen können. Zudem haben wir uns durch Transfers bereits verstärkt und werden dies auch weiter tun.

Alexis Mac Allister jedoch ist weg, Moises Caicedo vielleicht auch. Aber James Milner und Mo Dahoud kommen aus Liverpool und Dortmund. Was ist Ihre Erwartungshaltung an die beiden?
Milner ist erfahren, Dahoud hat auch schon in der Nationalelf gespielt. Die bringen Qualität mit. Adam Lallana nicht zu vergessen, der schon da ist, aber lange verletzt war. Alle werden uns weiterhelfen.

Zurück zu Ihnen: Sie spielten im April gegen die Wolves überragend als Startspieler, erzielten zwei Tore und saßen wenige Tage später gegen Manchester United auf der Bank. Wie weh tat das?
Wenn ich unseren Trainer nicht kennen würde, hätte das an meiner Motivation gekratzt. Aber mir war klar, dass zwei Tore keine Einsatzgarantie fürs nächste Spiel bedeuten, nicht mal fünf - er würde rotieren, wenn er meint, dass das fürs nächste Spiel gegen einen bestimmten Gegner besser passt.

Deniz Undav

Jubel gegen die Gunners: Deniz Undav. IMAGO/Shutterstock

Apropos United: Das knappe Halbfinal-Aus im FA Cup im Elfmeterschießen war Pech, aber Sie haben verwandelt. Der schönste Moment der Saison für Sie?
Nein, nein. Er war zwar wichtig, der Elfmeter, weil ich vorher wenig Selbstvertrauen hatte ...

... was man dem Schuss nicht ansah.
Ja, danke. Aber das Tor gegen Arsenal war mein schönster Moment. Damit habe ich dazu beigetragen, City zum Meister zu machen.

Aber Pep Guardiola hat noch nicht angerufen ...?
Nein, aber ein paar City-Spieler haben sich danach tatsächlich bedankt, als wir gegen sie gespielt haben.

Könnte eine Ursache für Ihre lange Anlaufzeit sein, dass Sie in Belgien bei Saint-Gilloise sehr vom Umschaltspiel aus defensiver Haltung profitierten, als Sie auch Torschützenkönig wurden, während Brightons Herangehensweise eher proaktiv ist mit viel Ballbesitz?
Das stimmt, ja. Vor allem aber war ich die Intensität, die Körperlichkeit nicht gewohnt. Neun Kilometer in England sind intensiver als elf in Belgien. Hinzu kommt, dass ich nicht mehr der Beste war, sondern ein guter Spieler von vielen. Ich will Belgien nicht kleinreden, aber es ist vielleicht Top 8 oder 9. Und England hat die beste Liga der Welt.

Ihr Mitspieler Pascal Groß sagt, ihm imponiert Ihr Weg, wie Sie sich hochgearbeitet haben. Empfinden Sie es selbst auch so, dass Sie gegen einige Widerstände ankämpfen mussten?
Nicht einige, sondern sehr viele! Ich habe immer nur gehört: "Deniz, du bist gut, aber ..." Vor allem in Deutschland suchte man Fehler bei mir. Das gibt es im Ausland so nicht. Da werden gute Spieler akzeptiert, solange sie gute Leistungen bringen und sich auch gut benehmen. In Deutschland hat bis auf meinen U-19-Trainer in Havelse, Stefan Gehrke, keiner so richtig an mich geglaubt.

Also nur die Schuld der anderen?
Nein, überhaupt nicht. Ich muss mir auch selbst ankreiden, dass ich mein volles Potenzial nicht erkannt und dann auch nicht ausgeschöpft habe. Aber selbst, als ich es dann geschafft hatte, in Belgien zum Beispiel, wurde das auch abgewertet in Deutschland. Mir wurde auch nicht zugetraut, dass ich es in Brighton schaffe. Die ersten Monate haben sich alle bestätigt gefühlt. Aber mittlerweile kann man ja nicht mehr meckern. Wenn Sie meine Mitspieler von früher oder jetzt fragten ...

Ich sage allen offen die Wahrheit, rede nie hintenherum.

Deniz Undav

... bekämen wir was als Antwort?
Dass ich ein Witzbold in der Kabine bin, aber dass ich in jedem Training fokussiert bin und hundert Prozent gebe. Das wissen die nicht, die mich kritisieren.

Groß lobt Ihre Torjägerqualitäten, aber auch das Auge für die Mitspieler. Sehen Sie sich selbst als halber Zehner oder Vollstrecker?
Meine Lieblingsrolle ist der klassische Neuner. Aber ich bin keiner, der blind aufs Tor schießt. Ich bereite auch gerne vor.

Trainer Roberto de Zerbi legt viel Wert auf Taktisches. Haben Sie dafür auch ein Faible, oder sind Sie eher der Praktiker, der Theorieeinheiten nicht so sehr mag?
Nein, die sind voll mein Ding. Ich liebe taktische Inhalte, weil ich ja auch gerne aus der Tiefe komme. Ich will einbezogen werden. Ich lerne gerne vom Trainer, von meinen Mitspielern.

Wünschen Sie sich vom Trainer auch Erklärungen, wenn Sie nicht spielen?
Manchmal brauche ich ein Gespräch, ja. Aber nicht, um mich in den Arm nehmen zu lassen. Man kann mich auch kritisieren, sogar anschreien, das kam auch schon vor, damit kann ich umgehen. Das mag ich. Weil ich umgekehrt auch so bin: Ich sage allen offen die Wahrheit, rede nie hintenherum.

Im kicker-Interview im Januar 2022 haben Sie gesagt, dass Sie in fünf Jahren in einer Top-Liga spielen und Nationalspieler sein wollen. Das mit der Premier League klappte dann schon nach einem halben Jahr. Haben Sie den Karriereplan daher geändert hinsichtlich der Nationalelf? Wie ist Ihr Traum, da Deutschland eh bei der EM ist, vielleicht aber auch die Türkei, und für beide dürften Sie spielen?
Mein Traum ist es, bei der EM zu spielen. Ich habe meine Tore gemacht. Ich muss meine Leistung bringen. Vielleicht kriege ich die Chance, für Deutschland zu spielen. Das wäre mein Traum. Darauf arbeite ich noch härter hin.

Dazu müssten Sie natürlich Stammspieler werden. Würden Sie einen Wechsel, vielleicht auch einen Schritt zurück, in Kauf nehmen, um das zu erreichen? Oder sind Sie selbstbewusst genug zu sagen, dass Sie das auch in Brighton schaffen, sich zu empfehlen?
Meine Ziele sind ganz klar, mich in Brighton durchzusetzen und dadurch Nationalspieler zu werden. Aber wenn zum Beispiel ein Bundesligist anfragt, bei dem ich die Aussicht auf noch mehr Einsatzzeit habe, könnte man das in Erwägung ziehen. Da bin ich offen.

Jetzt haben Sie sich so auf Deutschland festgelegt. Einen Anruf von Stefan Kuntz, dem Nationalcoach der Türkei, würden Sie aber auch nicht wegdrücken?
Nein, ich würde natürlich rangehen (schmunzelt).

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