Schon am Mittwochvormittag, also nur einen halben Tag nach dem türkischen 2:1-Sieg im Achtelfinale über Österreich, hatte die UEFA ein Untersuchungsverfahren gegen Merih Demiral eröffnet.
Nun, am Freitag, kommunizierte sie das Strafmaß von zwei Spielen in UEFA-Wettbewerben: Der 26 Jahre alte Innenverteidiger muss also im Viertelfinale gegen die Niederlande am Samstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) zuschauen und wäre auch gesperrt, sollte die Türkei im Turnier ins Halbfinale vorrücken.
Demiral habe "die allgemeinen Verhaltensgrundsätze nicht eingehalten, die grundlegenden Regeln des guten Benehmens verletzt, Sportereignisse für Kundgebungen nicht-sportlicher Art genutzt und den Fußballsport in Verruf gebracht", begründete die UEFA ihre Entscheidung am Freitag.
Laut Demiral steckte "keine versteckte Botschaft" dahinter
Demiral hatte beim Torjubel mit beiden Händen den Wolfsgruß gezeigt, das Handzeichen der "Grauen Wölfe", also den Anhängern der nationalistischen und rechtsextremistischen Ülkücü-Bewegung. Dabei drückte er die Mittel- und Ringfinger auf die Daumen, die Zeigefinger und kleinen Finger waren ausgestreckt.
Laut dem Bundesverfassungsschutz wird die Geste unter anderem genutzt, um politische Gegner öffentlich zu provozieren. In Deutschland ist sie nicht strafbar, aus der Politik kamen in der Vergangenheit aber schon Forderungen nach einem Verbot. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen", schrieb etwa Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Mittwoch bei X. Die EM "als Plattform für Rassismus" zu nutzen, sei "völlig inakzeptabel".
"Natürlich bin ich sehr glücklich, dass ich zwei Tore geschossen habe", hatte der Abwehrmann von Al-Ahli hinterher erklärt: "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die auch diese Geste gemacht haben."
Allerdings habe "keine versteckte Botschaft" dahintergesteckt. "Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste", sagte der 26-Jährige. "Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin. Es wird hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, die Geste zu zeigen."
Kölner Jurist Prof. Dr. Orth hält Sperre für "richtig und alternativlos"
Als "richtig und alternativlos" bezeichnet Prof. Dr. Jan F. Orth die Sperre für den Innenverteidiger. "Aus guten Gründen untersagen die Disziplinarregeln der großen internationalen Sportverbände und auch des IOC die Ausnutzung ihrer sportlichen Wettbewerbe zur Platzierung jeglicher sportfremden Meinungsäußerung. Dies gilt ganz unabhängig von ihrem Inhalt, weil die Verbände zu Recht Wert darauf legen, dass bei ihren Veranstaltungen allein der Sport im Fokus steht."
Auch die Höhe der Sperre hält der Beisitzer des DFB-Bundesgerichts und Schriftleiter der juristischen Fachzeitschrift Sport und Recht für "angemessen, weil der Spieler nach wohl ganz überwiegender Auffassung mit dem 'Wolfsgruß' auf die unappetitliche Ideologie einer rechtsextremen Gruppe verweist. Das ist wider die Werte des Sports und kann in die Strafzumessung ohne Weiteres einfließen." Die UEFA-Disziplinarkommission hat ihre Entscheidung auf Artikel 11, Absätze b) und c), gestützt.
"Diese verbieten beleidigendes Verhalten oder eine andere elementare Verletzung der Anstandsregeln", erklärt der Kölner Jurist. "Dass darüber hinaus ein diskriminierendes Verhalten im Sinne von Artikel 14 des UEFA-Disziplinarreglements vorliegt wie 'Rassismus und anderes diskriminierendes Verhalten', wird man ohne weitere Umstände durch bloßes Zeigen des Grußes nicht ohne Weiteres annehmen können."
Erst fehlte Bardakci gesperrt, dann Akaydin, jetzt Demiral
Demiral startete als Reservist in die EM, ersetzte dann erst zum Abschluss der Gruppenphase gegen den Tschechien (2:1) den gelbgesperrten Abdülkerim Bardakci, ehe er im Achtelfinale anstelle des dann gelbgesperrten Samet Akaydin auflaufen durfte. Nun könnte Nationaltrainer Vincenzo Montella also wieder auf seine ursprüngliche Innenverteidigung bauen.
In der Vorrunde hatte die UEFA schon den Albaner Mirlind Daku für zwei Spiele gesperrt, nachdem dieser im Anschluss ans Remis gegen Kroatien nationalistische und diffamierende Gesänge angestimmt hatte.