Bundesliga

"Selbst Guardiola wäre für Schalke kein Heilsbringer"

Interview: Alexander Baumjohann über die zweite Karriere und seine Ex-Klubs

"Selbst Guardiola wäre für Schalke kein Heilsbringer"

Will nach dem Studium in seine zweite Karriere starten: Alexander Baumjohann.

Will nach dem Studium in seine zweite Karriere starten: Alexander Baumjohann. imago images/AAP

Als sein Herzensklub Schalke am Dienstag im DFB-Pokal bei der TSG Hoffenheim gastierte und mit 1:5 unterging, stand Alexander Baumjohann am anderen Ende der Welt für das Spiel früh auf. Der einstige Bundesliga-Profi (Schalke, Gladbach, Bayern, Kaiserslautern, Hertha), der nach einem Abstecher in die brasilianische Heimat seiner Ehefrau Tatiane (Coritiba FC, EC Vitoria) 2018 in die australische A-League gewechselt war, hat die Bundesliga genau im Blick - und seine Ex-Klubs ganz besonders. Im kicker spricht Baumjohann über das Duell zwischen Hertha BSC und Schalke am Sonntag, den Trainerwechsel bei den Königsblauen, den Investoren-Zoff in der Hauptstadt, den Höhenflug von Union, seinen Ex-Klub FC Bayern und die eigene Zukunft.

Bestens vorbereitet für die zweite Karriere

Herr Baumjohann, wie lautet derzeit Ihre Berufsbezeichnung: aktiver Profi ohne Verein, Ex-Profi oder Sportmanager?

Eine Kombination aus allem. Ich bin nach meinem Abschied von Sydney FC seit über einem Jahr raus aus dem Fußball. Die Tür habe ich noch nicht zugeschlagen, aber zu 99 Prozent ist meine aktive Karriere vorbei. Ich habe mich in den letzten eineinhalb, zwei Jahren viel mit meiner Zukunft befasst, ein internationales Sportmanagement-Studium abgeschlossen, vor drei Wochen mein Zertifikat in Football-Management bei der UEFA abgeschlossen und viel Networking betrieben. Ich habe viele Gespräche geführt und bin gut darauf vorbereitet, jetzt meine zweite Karriere zu starten und hoffentlich bald ins Management eines Klubs einzusteigen.

In Down Under oder in Europa?

Zwei australische Vereine - darunter mein Ex-Klub Sydney FC - haben Interesse, aber das Organigramm hier hat im Normalfall keinen Sportdirektor, wie man ihn in Europa kennt. Für den Start in meine Management-Karriere wäre Australien dennoch der perfekte Ort, mittel- oder langfristig will ich nach Europa zurück.

Warum ging es als Spieler nicht weiter?

Ich habe mich in meinem letzten Spiel für Sydney FC am Meniskus des rechten Knies verletzt. Das war nichts Dramatisches, aber dadurch war ich längere Zeit raus. Sonst wäre womöglich ein Wechsel nach Japan zustandegekommen, das hätte mich gereizt. Einiges, was sich in der Vergangenheit an Möglichkeiten auftat - in Indien, China oder Saudi-Arabien -, wollte ich meiner Familie nicht antun.

Falls wirklich Schluss ist, bleibt eine Karriere wie eine Achterbahnfahrt. Haben Sie das rausgeholt, was an Talent drin war?

Klar hätte es hier und da besser laufen können. Aber ich habe bei tollen Klubs und auf drei Kontinenten Fußball gespielt. Ich hatte viele Höhen und Tiefen, aber bin komplett mit mir im Reinen. Ich spreche mittlerweile vier Sprachen, gerade lerne ich noch Italienisch. Ich kann in den Spiegel schauen und auf viele tolle Momente zurückblicken.

Rückblickend betrachtet: Wo sind Sie mal falsch abgebogen?

Alexander Baumjohann, Louis van Gaal

Bekam bei den Bayern unter Louis van Gaal nur selten eine Chance: Alexander Baumjohann. imago sportfotodienst

Wenn ich eine Sache anders machen könnte, wäre es das Kapitel Bayern. Ich bin mit 22 von Gladbach nach München gegangen und hätte bei Bayern mehr Geduld haben müssen. Ich bin nach einem halben Jahr schon wieder weitergezogen. Wenig später wurde Jupp Heynckes, der einer meiner größten Förderer und bis heute mein größter Mentor im Fußballbereich ist, Trainer. Unter ihm hätte ich vermutlich mehr Chancen gehabt als unter Louis van Gaal. Aber ich wollte damals unbedingt zu Schalke, meinem Kindheitsverein, zurück.

Wie breit war Ihr Sportmanagement-Studium angelegt?

Sehr breit. Es ging über 15 Monate mit ganz unterschiedlichen Themen, die teilweise über den Fußball hinausgingen: Management, Marketing, Human Resources, Psychologie, Finanzen, Sportrecht. In meiner Hausarbeit habe ich mich mit dem Einfluss das Salary Cap auf den australischen Fußball beschäftigt. Das Zertifikat bei der UEFA war dann eher fußballspezifisch, Ivan Rakitic war auch in meinem Kurs.

Sie hatten viele Manager. Wer hat Sie am meisten geprägt?

Rudi Assauer und Horst Heldt fand ich auf Schalke sehr beeindruckend, auch Max Eberl in Gladbach. Und Ralf Rangnick, den ich auf Schalke als Coach hatte, hat auch in der Rolle als Trainer immer ganzheitlich gedacht und gearbeitet.

Baumjohann glaubt an den nächsten Münchner Titel

Die Bundesliga ist an der Spitze aktuell so spannend wie lange nicht. Wie überrascht sind Sie?

Ein bisschen schon. Als Fußballfan freut es mich, dass Union und Freiburg die Liga spannend machen. Beide sind der Beweis dafür, was mit guter Arbeit, gesunder Planung und Kontinuität möglich ist. Ich habe allerdings meine Zweifel, dass Union das über die komplette Saison durchziehen kann.

Warum?

Irgendwann schlägt normalerweise die Doppelbelastung durch. Ich glaube, dass Union spätestens nach der WM etwas einbrechen wird. Aber das ändert nichts daran, dass sie mit einem Super-Trainer und einem guten Management tolle Arbeit leisten. Sie haben Leipzig und Dortmund geschlagen, das spricht für sich.

Wer wird Meister?

Bayern. Davon bin ich fest überzeugt.

Ihr Ex-Klub hatte zwischenzeitlich Probleme, scheint aber wieder in der Spur zu sein. Können Sie die Kritik, die an Julian Nagelsmann aufkam, nachvollziehen?

Nein. Ich glaube, dass Bayerns Kader in dieser Saison in der Breite so stark ist wie lange nicht. Und dass manche Nagelsmann als Trainer-Azubi abkanzeln, halte ich für Schwachsinn. Man sollte aufhören, auf seinem Alter rumzureiten. Er leistet seit über sechs Jahren in der Bundesliga Super-Arbeit: in Hoffenheim, in Leipzig und jetzt in München. Natürlich hat Bayern den Anspruch, mit diesem Kader jedes Spiel zu gewinnen. Aber man sollte etwas Geduld mitbringen. Ich glaube, dass es für den FC Bayern keinen besseren Trainer gibt als Julian Nagelsmann.

"Schalke braucht mehr Bodenhaftung"

Schalke hat sich am Mittwoch von Trainer Frank Kramer getrennt. War das nach diesem Saisonstart alternativlos?

Die Leistung beim 1:5 in Hoffenheim im Pokal war desaströs, danach musste etwas passieren. Für Frank Kramer tat’s mir dennoch leid. Ich glaube, er hatte nie wirklich eine echte Chance angesichts der Skepsis, die ihm vom ersten Tag an entgegenschlug. Schalke ist immer noch einer der Klubs, bei denen die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit am meisten auseinandergeht. Wenn man ehrlich ist: Für viel mehr reicht es mit diesem Kader und angesichts der finanziellen Mittel nicht. Selbst Guardiola wäre für Schalke kein Heilsbringer. Schalke - und damit meine ich vor allem das Umfeld - braucht mehr Bodenhaftung und Realitätssinn. Bis der Klub irgendwann mal wieder um einstellige Tabellenplätze mitspielen kann, wird es länger dauern. Aktuell geht es nur um den Ligaerhalt, der wird schwer genug.

Packt Schalke den Klassenerhalt?

Das wünsche ich dem Klub. Schalke ist mein Herzensklub. Der zweite Abstieg in drei Jahren wäre bitter. Es gibt vermutlich schon noch ein paar Teams, mit denen Schalke - wenn die Leistung passt - in der Liga sportlich mithalten kann. Aber viele sind es nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass Buyo (Mike Büskens, d. Red.) im Sommer weitergemacht hätte, weil er in der Rückrunde große Euphorie reingebracht hat. Schalke braucht Typen wie ihn, die so eine emotionale Bindung zum Verein haben.

Büskens gehört zum Team von Interimstrainer Matthias Kreutzer, der das Spiel bei Hertha am Sonntag verantworten wird. Kann Schalke aus dem Trainerwechsel Kraft ziehen?

Klar kann das ein paar Prozentpunkte freisetzen, aber die Spieler sind ja dieselben. Hertha hat den besseren Kader. Trotzdem erwarte ich ein enges Spiel.

Hertha bekommt für die Spielweise unter dem neuen Trainer Sandro Schwarz regelmäßig Lob, aber hat erst acht Punkte. Wie gefährlich ist das?

Natürlich lauert da eine Gefahr. Am Ende geht’s um Punkte, für das Lob kannst du dir nichts kaufen. Mit den vielen Unentschieden sind sie bisher nicht vorangekommen.

Investor Lars Windhorst will seine Anteile verkaufen. Kommt dann Ruhe rein?

Ich hoffe es für Hertha. Die Geschichte mit Hertha und Windhorst zeigt, warum unter der bestehenden 50+1-Regelung in Deutschland nicht mehr Investoren in den Fußball einsteigen. Du gibst viel Geld, hast aber eigentlich nichts zu sagen. Das ist aus Investoren-Sicht ein Problem. Dass es bei Hertha in der Konstellation irgendwann Stress gibt, war vorprogrammiert. Diese Partnerschaft lief von Anfang an nicht gut. Aber man sollte nicht nur Windhorst an den Pranger stellen. Fakt ist, dass Hertha von seinem Geld enorm profitiert hat - und mit diesem Geld viele falsche Entscheidungen getroffen hat.

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Hertha BSC und "die richtigen Leute": Neue Identität ohne Windhorst?

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Wie geht das Spiel am Sonntag aus?

Unentschieden. Ich glaube dennoch, dass Hertha im Laufe der Saison in der Tabelle Stück für Stück etwas nach oben klettern wird, und drücke Schalke die Daumen für den Klassenerhalt.

Steffen Rohr