Nationalelf

Ottmar Walter: "Du wirst sowieso nicht so gut wie der Fritz"

Zum 100. Geburtstag des Bern-Weltmeisters

"Ottmar, du wirst sowieso nicht so gut wie der Fritz"

Weltmeister-Brüder: Ottmar (li.) und Fritz Walter.

Weltmeister-Brüder: Ottmar (li.) und Fritz Walter. picture-alliance / dpa

Es ist nicht immer leicht, der kleinere Bruder zu sein. Man soll die Klamotten des Älteren auftragen, dessen Befehle befolgen und natürlich zu ihm aufschauen. Aber das Nacheifern kann man sich eigentlich spätestens dann sparen, wenn das Bruderherz als deutsches Jahrhunderttalent im Fußball gilt und der eigene Vater beim ersten Länderspiel des Erstgeborenen auf der Tribüne sitzt, sich zum Jüngeren herüberbeugt und sinngemäß sagt: "Ottmar, es ist doch eigentlich sinnlos, dich zu quälen, du wirst sowieso nicht so gut wie der Fritz."

Was dieser Satz im Kopf des 16-jährigen Ottmar Walter angerichtet hat, glaubt Hagen Leopold zu wissen: "Das hat ihn ins Mark getroffen." Umso unglaublicher ist der Fortgang dieser Geschichte, die seit diesem Sonntag (und mindestens bis 30. März) in der Sonderausstellung "100 Jahre unser Ottes" im Stadtmuseum in Kaiserslautern in elf Abschnitten ausgebreitet wird. Sie zeigt Ottmar Walter als Weltmeister von 1954 Seite an Seite mit seinem Bruder Fritz und als Legende des 1. FC Kaiserslautern, sie thematisiert das Verhältnis der beiden Brüder, sie spart aber auch die schwierigen Lebensphasen und den späteren Selbstmordversuch nicht aus.

In der Westkurve soll es eine Choreo geben

Der Rekordtorjäger des FCK (295 Tore in 274 Oberligaspielen) wäre an diesem Mittwoch 100 Jahre alt geworden, am kommenden Sonntag soll es vor dem Spiel gegen Osnabrück einen Bannermarsch der Lauterer Fans durch die Stadt geben sowie eine Choreo in der Westkurve. "Ich wollte Ottmar aus dem Schatten des Überbruders hervorholen", betont Leopold, der als Kurator tief in die Lebensgeschichte der Walters eingetaucht ist und wie schon 2020 bei der Ausstellung "100 Jahre unser Fritz" Objekte aus seiner privaten Sammlung präsentiert.

Doch zurück zu jenem fatalen Satz von Vater Ludwig, dem Gastwirt der FCK-Vereinskneipe. Als er ausgesprochen wurde, am 14. Juli 1940 beim 9:3-Sieg gegen Rumänien in Frankfurt, zu dem Debütant Fritz Walter drei Tore beisteuerte, war Deutschland mitten im Krieg. Und obwohl Ottmar wegen seiner beiden älteren Brüder Fritz und Ludwig "nicht zur Wehrmacht gemusst hätte, meldete er sich freiwillig für die Marine", erzählt Leopold. "Ottmar musste sich sein ganzes Leben beweisen. Und hier wollte er es dem Vater beweisen."

Dass Ottmar Walter aus dem Krieg zurückkehrte, ist die nächste von vielen unfassbaren Geschichten in der Vita des gelernten Automechanikers. Als im April 1944 an der französischen Atlantikküste bei einem Seegefecht ein deutsches Suchboot von einem Torpedo versenkt wurde, überlebten nur elf Marinesoldaten einer 136-Mann-Besatzung. Ottmar Walter war einer davon. Vier Granatsplitter steckten im Knie, als sie ihn aus dem Wasser fischten, 19 Projektile sollen sich in seinen Körper gebohrt haben, unter anderem in den Oberarm und den Oberschenkel.

Ottmar Walter: Weltmeister mit Bodenhaftung

Vier Tore auf dem Weg zum WM-Titel

Dass er seine Fußballkarriere dennoch bis 1959 fortsetzen konnte, sagt alles über seine Charaktereigenschaften aus. Mit stundenlangen Gymnastikübungen arbeitete er jeden Tag gegen die drohende Versteifung seines rechten Knies und die Sportinvalidität an, mit dem Ausfahren von Lebensmittelkarten machte er sich nützlich. "Es ist mein Naturell, zu kämpfen", sagte Ottmar Walter einmal, der sich bis ins hohe Alter immer wieder Knieoperationen unterziehen musste. "Als ich aus dem Krieg kam, hatte ich nicht mehr geglaubt, noch 13 Jahre Hochleistungen zu bringen."

Den 1. FC Kaiserslautern, dessen Trikot er von 1933 bis 1959 trug, nur unterbrochen von kurzen Kriegsgastspielen als Marinesoldat bei Holstein Kiel und dem Cuxhavener SC, wird der äußerst kopfballstarke und antrittsschnelle Mittelstürmer 1951 mit zwei Finaltoren gegen Preußen Münster (2:1) zur ersten Deutschen Meisterschaft schießen - die zweite folgt 1953. Der deutschen Nationalmannschaft (21 Länderspiele, 10 Tore) ebnet er 1954 mit vier Toren in fünf WM-Endrundenspielen, zwei davon im Halbfinale gegen Österreich (6:1), den Weg zum "Wunder von Bern".

Ottmar Walter - die Ausstellung

Nach Fritz bekommt auch Ottmar 100 Jahre unser Ottes

Es wäre wenig verwunderlich, hätte Ottmar Walter dieses 3:2 im Finale gegen Ungarn, in dem neben ihm und seinem Bruder noch drei weitere Kaiserslauterer standen (Werner Liebrich, Horst Eckel, Werner Kohlmeyer), als herausragendsten Triumph seiner Karriere eingestuft. Tat er aber nicht. "Mein erstes Länderspiel war für mich vielleicht der größte Erfolg in meinem Leben." Und auch das hat wieder mit seinem Bruder Fritz zu tun.

Der fehlte nämlich an jenem 22. November 1950 gegen die Schweiz (1:0), dem ersten Länderspiel nach dem Krieg. Das Publikum im Stuttgarter Neckarstadion empfing ihn "mit einem schrillen Pfeifkonzert", erinnerte sich Ottmar Walter einmal. Es hieß, er sei nur wegen seines Bruders vom Bundestrainer nominiert worden.

Doch Sepp Herberger stand zu ihm: "Ottes, Sie sind mein Mann. Ich weiß, was Sie können. Auch ohne den Fritz." Der Chef sollte recht behalten. "Am Ende wurde ich mit großem Beifall verabschiedet", so Ottmar Walter, "und von der Presse als bester Spieler auf dem Platz beurteilt."

"Neid auf Fritz kannte Ottmar nicht"

Trotz des Daseins im Schatten des großen Bruders "passte kein Blatt zwischen die beiden Walters", erzählt Leopold, "Neid auf Fritz kannte Ottmar nicht". Er arrangierte sich mit der Rolle in der zweiten Reihe, die beiden, die gemeinsam in 16 Länderspielen das Nationaltrikot trugen und sich auf dem Feld bestens ergänzten, hatten ein enges Verhältnis, traten bescheiden auf und galten eher als sensible Zeitgenossen.

"Ottmar war körperlich robuster und mental stabiler", betont Leopold, "in kritischen Spielsituationen vermochte er es, Fritz aufzurichten und anzutreiben". Und auch sein Äußeres konnte sich sehen lassen, die Mädels standen Schlange bei dem muskulösen Mann, der sich für Boxen interessierte und auch ein Faible für Rennwagen hatte. Zu seinem 31. Geburtstag schenkte ihm Fritz ein Buch und schrieb als Widmung "für dich, lieber Sigismund" hinein, weil Ottmar den Gassenhauer "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist" so gern mochte. Fortan wurde er auch in Mannschaftskreisen so genannt.

Ottmar hat es drei Menschen zu verdanken, dass er wieder auf die Beine kam: seiner Frau, seinem Bruder Fritz und Sepp Herberger.

Kurator Hagen Leopold

Im Leben von Ottmar Walter gab es aber auch die dunklen Tage. Obwohl er sich nach dem Karriereende 1959 zunächst als erfolgreicher Tankstellenbesitzer einen Namen machte - "Willst du unserm Ottmar danken, musst du fleißig bei ihm tanken", lautete sein Slogan -, wurde ihm dieses Standbein unverschuldet weggegrätscht. Es folgten eine finanzielle Krise, die Flucht in den Alkohol und Spielschulden, seine Frau Anneliese wurde mit einer Überdosis Schlaftabletten aufgefunden. Ottmar Walter schnitt sich, als seine Ehefrau anschließend auf Kur war, die Pulsadern auf, wurde aber rechtzeitig von seinem 18-jährigen Sohn gefunden.

"Ottmar hat es drei Menschen zu verdanken, dass er wieder auf die Beine kam", erzählt Leopold, "seiner Frau, seinem Bruder Fritz und Sepp Herberger". Der Bundestrainer stand direkt am nächsten Morgen am Krankenbett, ließ ihn für vier Wochen in eine abgeschiedene Hütte am Titisee bringen, sorgte damit für einen kalten Entzug und drückte ihm Geld in die Hand. "Er versprach Herberger, keinen Alkohol mehr anzurühren", berichtet Leopold, der eine Kopie des Dankesbriefes von Ottmar Walter an Herberger in der Ausstellung zeigt.

Ottmar Walter hielt sein Versprechen, die Stadt Kaiserslautern besorgte ihm eine Stelle und er meisterte auch diese Lebenskrise dank jener Nehmerqualitäten, die ihn zeit seines Lebens ausgezeichnet haben. Erst am 16. Juni 2013 verliert er seinen letzten Kampf. Im Pflegeheim, an Alzheimer erkrankt, mit 89 Jahren.

Uwe Röser