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Simon Ollert: "Ohne Handicap wäre ich nie Profi geworden"

Gehörloser Ex-Profi hat den Fußball im Blut

"Ohne Handicap wäre ich nie Profi geworden": Simon Ollert trotzt allen Widerständen

Im Simon-Ollert-Camp will der gleichnamige Ex-Profi (in schwarz gekleidet) Kinder mit Hörverlust in ihrer Entwicklung fördern.

Im Simon-Ollert-Camp will der gleichnamige Ex-Profi (in schwarz gekleidet) Kinder mit Hörverlust in ihrer Entwicklung fördern. Phonak

Von außen wirkt Simon Ollert wie ein ganz gewöhnlicher Typ. Der 26-jährige Sportwissenschaftler aus dem bayerischen Saulgrub in der Nähe von Murnau am Staffelsee beendete jüngst sein Master-Studium mit dem Schwerpunkt "Leistungssport" und unterrichtet als Quereinsteiger an einer Mittelschule. In jüngeren Jahren erfüllte er sich sogar einen Traum, dem viele andere in seinem Alter auch hinterherjagen. Mit zarten 17 stand er für die SpVgg Unterhaching regelmäßig in der 3. Liga auf dem Rasen. Das alles ist schon beeindruckend genug, wäre da nicht noch ein Detail, genauer gesagt zwei High-Tech-Geräte in seinen Ohren, die seinen Errungenschaften noch mehr Besonderheit verleihen.

Einen Kleinwagen auf dem Kopf

Seit der Geburt lebt Ollert nämlich mit an die Taubheit grenzender Gehörlosigkeit. Nur auf etwa zwei Prozent seiner natürlichen Hörfähigkeit kann er zurückgreifen. "Ich höre praktisch nichts. Es müsste schon ein Düsenjet mit 120 Dezibel dicht an mir vorbeifliegen, dass ich auch nur ein bisschen was hören würde", versucht der Ex-Profi seine Wahrnehmung zu verbildlichen. Beihilfe leisten dabei zwei Hörgeräte, die für Ollert seit dem frühen Kindesalter ein ständiger Wegbegleiter sind.

Mit diesen Hilfsmitteln erlangt er rund 60 Prozent seines Gehörs wieder, wodurch er nahezu beschwerdefrei am Alltag teilnehmen kann. "Natürlich sind die Einschränkungen da, etwa im Kino oder bei Durchsagen am Bahnhof, mittlerweile habe ich aber damit zu leben gelernt", schildert der lebensfrohe Fußballfanatiker. Die Hilfsmittel haben jedoch ihren Preis. Bis zum 18. Lebensjahr werden Hörgeräte, die sich teilweise auf den Preis eines Kleinwagens belaufen, von der Krankenkasse bezahlt. Danach wird der Patient teilweise selbst zur Kasse gebeten.

Der Fußball hat mir Selbstvertrauen gegeben und mir gezeigt, dass ich etwas richtig gut kann. Das hat mein Leben verändert.

Simon Ollert (26) über das Allheilmittel Fußball

Über seinen Opa, der ebenfalls gehörlos war, fand Ollert seine Passion zum Fußball, der - wie sich später herausstellte - eine Art Therapie für seinen Geist zu sein schien. "Früher habe ich mich viel mehr mit meinen Problemen, statt den Möglichkeiten, die daraus entstehen, befasst. Der Fußball hat mir Selbstvertrauen gegeben und mir gezeigt, dass ich etwas richtig gut kann. Das hat mein Leben verändert."

Sind die Hörgeräte für ihn im Alltag ein unabdingliches Hilfsmittel, so sind sie auf dem Platz keine große Hilfe - zumindest für Ollert nicht. "Beim Fußball kannst du die Hörgeräte vergessen", so der Vollblut-Fußballer. Nicht nur fallen sie regelmäßig aus dem Ohr, sondern irritieren ihn auch teilweise. "Ich bin sowieso im Tunnel und nehme äußere Faktoren kaum war", erklärt der Stürmer, der seine akkustische Einschränkung mit exzellenter Vororientierung und peripherem Sehen wieder wettmacht.

Ollerts überraschende Achillesferse

Es geht sogar so weit, dass Ollert vor wichtigen Spielen die Hörgeräte bewusst ausschaltet. Das schirmt ihn von nörgelnden Teamkollegen, hitzigen Auseinandersetzungen mit gegnerischen Spielern oder unzufriedenen Zuschauern auf der Tribüne ab und hilft ihm dabei, sich auf sein eigenes Spiel zu konzentrieren. "Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich nicht immer alles mitbekomme", lacht der 26-Jährige.

Simon Ollert

Trotz eingeschränktem Hörvermögen hält Ollert (wie hier im DFB-Stützpunkt in Murnau) regelmäßig Ansprachen vor Personengruppen. René Säuberlich

Nach seiner Zeit in Unterhaching ging es für den gelernten Stürmer über die Regionalliga (FC Ingolstadt II, FC Memmingen) und die Bayernliga (SV Pullach) bis hinunter in die Bezirksliga zum FC Penzberg, wo er seine Karriere nicht etwa wegen seines Handicaps, sondern aufgrund von anhaltenden Knieproblemen im Jahr 2023 beendete.

Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich an anderer Stelle bekanntlich oft eine andere, so auch bei Ollert. Als U-15-Trainer in Ingolstadt, später auch beim FC Penzberg und inzwischen als Stützpunkttrainer in Murnau steht der Ex-Profi inzwischen regelmäßig an der Seitenlinie und strebt eine Trainerkarriere an. Damit sieht sich der Ex-Profi, der privat im nach ihm benannten Simon-Ollert-Fußballcamp Kinder mit Hörverlust in ihrer Entwicklung fördert, aber mit neuen Problemen konfrontiert. Konnte er als Spieler während einer Partie noch zu seinem Trainer herauseilen, um taktische Züge zu besprechen, bleibt ihm diese Option als Trainer verwehrt, eine Kommunikation über den ganzen Platz ist trotz seiner Hörgeräte nicht möglich.

Ohne mein Handicap wäre ich niemals Fußballprofi geworden und nicht der Mensch, der ich heute bin.

Simon Ollert (26) kann sich ein Leben ohne seine Einschränkung nicht mehr vorstellen

"Das motiviert mich als Trainer umso mehr, die Spieler vor der Partie so gut vorzubereiten, dass sie auf dem Platz wissen, was zu tun ist. Profi-Trainer können vor tausenden Zuschauern auch nicht quer über den Platz brüllen", erklärt der UEFA-B- und bald UEFA-B-Plus-Lizenz-Inhaber (die ihn als Bayernliga- und NLZ-Trainer qualifiziert) und legt damit offen, wo der Weg ihn langfristig hinführen soll. War er als Spieler nach Stefan Markolf vom 1. FSV Mainz 05 der zweite Gehörlose in seiner Sparte, möchte er unter den Trainern der erste sein, der den Sprung in den Profi-Bereich schafft.

Wie schon als Spieler glaubt Ollert daran, dass sein Handicap und die dadurch außergewöhnliche Herangehensweise viel mehr ein Vorteil, als ein Hindernis sein könnte. Bis heute ist er sich nämlich sicher: "Ohne mein Handicap wäre ich niemals Fußballprofi geworden und nicht der Mensch, der ich heute bin." Dass er sich entgegen mancher Erwartungen als äußerst widerstandsfähig erweisen kann, hat er jedenfalls schon mehrfach bewiesen.

Lukas Karakas

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