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Nico Williams: EM-Entdeckung mit bewegender Familiengeschichte

Spaniens Flügelflitzer ist Spieler des zweiten EM-Spieltags

Nico Williams: EM-Entdeckung mit bewegender Familiengeschichte

Seine Frisur sticht ins Auge: Nico Williams.

Seine Frisur sticht ins Auge: Nico Williams. IMAGO/Marco Canoniero

Nico Williams ist ein Spieler, den mit Sicherheit nicht alle Fußballfans vor dieser EM auf dem Zettel hatten. Aber der Spanier mit ghanaischen Wurzeln sticht ins Auge - und das nicht nur aufgrund seiner extravaganten Frisur. Der pfeilschnelle Mann von Athletic Bilbao bildet zusammen mit dem 16-jährigen Jungspund Lamine Yamal die bisher spektakulärste Flügelzange des Turniers.

"Hoffentlich kann ich eines Tages mit Nico Williams die Kabine in Barcelona teilen", sagte Lamine Yamal jüngst. Williams hat längst Interessen von Topklubs aus ganz Europa geweckt. Bei der EM macht er aktuell die beste Eigenwerbung, die er nur betreiben könnte. Allerdings hat der 21-Jährige seinen Vertrag im Baskenland erst bis 2027 verlängert und beschäftigt sich daher mit solchen Themen eher weniger.

Dribbelkönig und das Beinahe-Tor-des-Turniers: Williams wird Spieler des Spieltags

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"Ich fühle mich dort sehr wohl. Ich bin sehr glücklich", sagte er dem spanischen Fernsehsender TVE über Bilbao und meinte: "Es fühlt sich sehr seltsam an, dass Sie mich nach meiner Zukunft fragen." Medienberichten zufolge soll der pfeilschnelle Flügelflitzer eine Ausstiegsklausel von 60 Millionen Euro haben.

"Vielleicht mein komplettestes Spiel"

Aber das ist alles aktuell nicht relevant für den Mann aus Bilbao. "Wir wollen Europameister werden", machte Williams klar. Ein Ziel, das nach den mehr als überzeugenden Auftritten gegen Kroatien (3:0) und Italien (1:0) alles andere als unwahrscheinlich erscheint. Die Iberer gehören bisher zu den besten Teams des Turniers, wenn sie nicht sogar den besten Eindruck hinterließen. Genau wie Williams, der die Italiener im zweiten Gruppenspiel schwindelig spielte und vom kicker mit der Note 1 belohnt und zum Spieler des Spieltags gekürt wurde. Mit 21 Zweikämpfen (sechs gewonnen) und elf Dribblings (vier gewonnen) stellte er in seinem 78-Minuten-Einsatz teamübergreifende Topwerte im bisherigen Turnier auf, hatte acht Ballaktionen im Sechzehner und sechs Torschussbeteiligungen (beides Top-Wert im Spiel), wobei er einen herrlichen Schlenzer an die Latte setzte und auch das entscheidende Eigentor mit einer scharfen Hereingabe erzwang.

Nico Williams führte gegen Italien 21 Zweikämpfe - Topwert eines Spielers in einem Spiel bei dieser EM.

Nico Williams führte gegen Italien 21 Zweikämpfe - Topwert eines Spielers in einem Spiel bei dieser EM. Opta

Den Sieg widmete Williams seiner Familie. "Ich hoffe, dass sie es genauso genießen wie ich", sagte er. "Meine ganze Kindheit habe ich von Momenten wie diesen geträumt. Vielleicht war es das kompletteste Spiel, das ich bisher für die Seleccion gemacht habe."

Schwere Kindheit - Märchenhafte Geschichte in Bilbao

Apropos Kindheit. Diese war nicht leicht für den Mann aus Bilbao. Für ein besseres Leben flüchteten Mama Maria und Papa Felix vor vielen Jahren von Ghana nach Spanien. Damals schon dabei im Bauch der Mutter: Inaki Williams (30), der ältere Brüder von Nico, der ebenfalls bei Athletic spielt. Die Reise war für die Eltern sehr hart, bei sehr hohen Temperaturen. Teile des Weges fuhren sie in einem überfüllten Lastwagen, andere Teile liefen sie. Vater Felix erlitt dabei schwere Schäden an den Füßen, hat heute Mühe beim Laufen.

Aufgrund eines starken Nico Williams war das Spiel der Spanier gegen Italien sehr linkslastig.

Aufgrund eines starken Nico Williams war das Spiel der Spanier gegen Italien sehr linkslastig. Opta

In der spanischen Stadt Melilla angekommen wurde das Paar erst einmal verhaftet, ehe es Asyl bekam und nach Bilbao weiterreisen durfte. Wenig später kam Inaki zur Welt, der im Übrigen nach einem Priester, der der Familie geholfen hatte, benannt wurde. "Wenn man die Geschichte meiner Eltern hört, will man umso härter dafür kämpfen, alles zurückzugeben, was sie für uns geopfert haben", sagte Inaki einmal gegenüber dem Guardian.

Die Familie hatte es nicht leicht, trotz harter Arbeit litt sie unter Armut, die Kleidung bekamen Eltern und Kinder von der Kirche. Gut acht Jahre nach Inaki wurde schließlich sein jüngerer Bruder Nico geboren. Da Papa Felix oft im Ausland arbeiten musste, war der ältere Bruder gefordert. Er übernahm elterliche Pflichten und brachte Nico beispielsweise zur Schule oder zum Fußballtraining. Die Verbindung der Brüder ist besonders - und umso außergewöhnlicher macht die Geschichte, dass beide nun bei Bilbao spielen und zu so etwas wie den Aushängeschildern des Vereins geworden sind.

Während im Verein beide vereint sind, haben sie sich für unterschiedliche Nationalmannschaften entschieden. Nico, der im Übrigen im Alter von 21 Jahren schon 103 Spiele in La Liga absolviert hat (elf Tore), entschied sich für Spanien (16 Länderspiele, zwei Tore), Inaki für Ghana (17 Länderspiele, ein Tor).

Bruder Inaki hat aktuell also Sommerpause und wird ganz genau verfolgen, wie sich Nico bei der EM in Deutschland schlägt. Am 12. Juli wird der jüngere Williams-Bruder 22 Jahre alt. Am 14. Juli steigt das EM-Finale in Berlin. Wäre ja fast schon ein zu kitschiges Drehbuch der noch jungen märchenhaften Karriere des Nico Williams ...

Mirko Strässer

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