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Mäßige Begabung - viel Willensstärke

Spanien: Abwehrchef Puyol hat als einziger Feldspieler Stammplatz sicher

Mäßige Begabung - viel Willensstärke

Santos und Puyol

Carles Puyol (r.) mit Teamkollege Marcos Senna beim Training in Valencia. dpa

Der wird zwar von der internationalen Fußballöffentlichkeit eher wenig wahrgenommen – doch bei seinem Verein gilt der Kapitän des aktuellen Champions League-Gewinners FC Barcelona in der Hierarchie von Weltstars wie Ronaldinho, Eto'o oder Deco als absolut ebenbürtig. Nämlich als derzeit einer der besten Innenverteidiger des Planeten.

Vor allem aber kann der 28-jährige Katalane, der im Oktober 1999 in der ersten Mannschaft von Barca debütierte und inzwischen 46 Länderspiele absolviert hat, als leibhaftiger Beweis dafür gelten, dass man das Fußballspiel auf allerhöchstem Niveau selbst bei eher durchschnittlich ausgeprägter Begabung erlernen kann – mit entsprechendem Fleiß und der erforderlichen Willensstärke. Die wiederum besitzt der Mann in phänomenalem Umfang. Und das seit jeher, wie eine Anekdote belegt, die über den Kicker in dessen Heimatort Pobla de Segur gerne erzählt wird: Puyol war als Kind ein glühender Verehrer des Comic-Helden Superman, weshalb er sich nichts sehnlicher wünschte, als ein Superman-Kostüm. Da aber die Frau Mama zu einer solchen Anschaffung nicht zu überreden war, stürzte sich der Junge im ersten Stockwerk vom Balkon der elterlichen Wohnung – um zu ergründen, ob man nötigenfalls auch ohne das entsprechende Kostüm wie Superman fliegen könne.

Mit vergleichbarem Einsatz agierte er in der Folge in der örtlichen Jugendmannschaft – um auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Barca-Nachwuchstrainers Oriol Tort zu erregen. Der war eigentlich in diese Kleinstadt gekommen, um einen Stürmer aus Puyols damaliger Equipe in Augenschein zu nehmen. Zur Verblüffung seiner mit ihm aus Barcelona angereisten Begleiter engagierte Tort aber den aufopferungsvoll rackernden Verteidiger. Die Begründung: "Kann sein, dass der Junge viel weniger Talent besitzt als andere, aber was er können muss, wird er schon erlernen. Ich habe nämlich noch nie jemanden erlebt, der so sehr vor Ehrgeiz brennt, bei uns zu spielen, wie dieser Bursche."

Puyol mit dem Meisterpokal

Puyol mit dem Meisterpokal der spanischen Liga. imago

"Ich weiß, man hat in mir immer einen Spieler gesehen, der sich vor allem in körperlichen Hinsicht voll einsetzt. Aber ich habe den Ehrgeiz, auch in technischer und taktischer Hinsicht besser zu werden und ich glaube, meine Bemühungen waren nicht ganz erfolglos", lautet nun die Selbsteinschätzung des Kickers, dessen Ballbehandlung inzwischen das Niveau herkömmlicher Abwehrspieler weit übertrifft und der zudem das mit hoher Spielintelligenz ordnende Element seiner Elf in der Defensive ist: "Man muss berücksichtigen, dass ich erst im Junioren-Alter zu Barca gekommen bin, während andere schon mit sechs oder sieben Jahren hier begonnen haben. Daher hat mir anfangs einiges an Basiskönnen gefehlt, das man nur in einem solchen Spitzenverein in der täglichen Arbeit mit spezialisierten Trainern erlernen kann."

Chefcoach bei Barca war damals der Niederländer Louis van Gaal – im Gegensatz zu seinen Landsleuten Johan Cruyff und Frank Rijkaard, die davor und danach als Trainer in Barcelona für erlesene Fußballkunst sorgten bzw. sorgen ein phantasieloser Bürokrat, der auf dem Spielfeld vor allem mit militärischer Disziplin agierende Systemerfüller sehen wollte. In diesem Sinne holte er den damaligen rechten Außenverteidiger Puyol aus der B-Equipe in die erste Mannschaft, um sich dessen Zerstörerqualitäten zunutze zu machen. So etwa, als im Herbst 2000 der im Sommer zuvor von Real Madrid abgeworbene vormalige Barca-Star Luis Figo erstmals mit seiner neuen Elf in Barca-Stadion auftrat und der nicht eben als Ballkünstler bekannt gewesene Nachwuchsverteidiger Puyol zu rigoroser Manndeckung abkommandiert wurde. Diesen Part bewältigte er allerdings mit unbändigem Kampfeswillen: Figo kam im ganzen Spiel nicht ein einziges Mal an den Ball.

Bei anderen Gelegenheiten übertrieb Puyol freilich seinen Hang zu ungestümen Aktionen. Gleich mehrmals sorgte der Verteidiger für Eigentore, indem er den Ball im eigenen Strafraum wie ein Berserker wegzudreschen versuchte – und dabei einen Mannschaftskollegen aus nächster Nähe anschoss, von dessen Rücken das Leder dann ins Tor abprallte.

Er kommt immer als erster zum Training, hört als letzter auf

Frank Rijkaard

Folglich galt Puyol bald als Spieler, der sich zwar immer mustergültig einsetzt, doch der in qualitativer Hinsicht allenfalls Mittelmaß verkörpert. Selbst beim Barca-Stammpublikum dauerte es etliche Zeit, bis man realisierte, in welchem Maße der extrem lernwillige Abwehrkämpe sein Potential und Repertoire nach und nach durch konsequentes Training ausweitete. Aus dem an der Outlinie agierenden Zerstörer wurde ein Innenverteidiger, der nicht nur an Schnelligkeit und Sprungkraft erstaunlich zugelegt hatte. Plötzlich gelangen ihm bei der Ballannahme zudem mit verblüffender Beständigkeit technische Kabinettstücke – und an die Stelle zielloser weiter Abschläge traten präzise Zuspiele ins Mittelfeld, durch die aus der hintersten Linie überlegte Gegenangriffe eingeleitet wurden. Als dann Frank Rijkaard die Mannschaft übernahm, wuchs Puyol vollends in die Rolle des umsichtigen Abwehrchefs hinein, der die Abseitsfallen organisiert, durch konzentriertes Stellungsspiel die Pässe hinter den Rücken der Verteidigung abfängt und in direkten Duellen von den gegnerischen Angreifern kaum zu überwinden ist. Seine Schnelligkeit und Wendigkeit bringen es zudem mit sich, dass Puyol inzwischen für einen Abwehrspieler erstaunlich wenige Fouls begeht. Einen Platzverweis handelte er sich in seiner gesamten Profi-Laufbahn überhaupt erst einmal ein.

"Er kommt immer als erster zum Training, hört als letzter auf – und wenn die Mannschaft einen freien Tag hat, trainiert er allein", lobt Rijkaard seinen Mannschafskapitän: "Weil er so hart arbeitet, ist Puyol nahezu nie verletzt, obwohl er immer mit totalem Einsatz agiert."

Kein anderer spanischer Feldspieler hat für seinen Verein in der abgelaufenen Saison so viele Partien in der Meisterschaft, dem Cup und der Champions League in voller Länge bestritten wie Puyol. Doch als er nun zum Trainingslager der Nationalmannschaft einrückte, konnte es in diesem Kreis kaum jemand an Fitness mit ihm aufnehmen. Aber nicht nur deshalb ist ihm beim WM-Turnier ein Stammplatz sicher. Für den Teamchef ist der Barca-Kapitän zudem unverzichtbar, weil er ebenso in der Landesauswahl ein Vorbild an professioneller Einstellung ist und mit seinem unbedingten Siegeswillen die gesamte Mannschaft mitzureißen vermag. Ohne allerdings für sich eine Star-Rolle zu beanspruchen. Puyol verkörpert stets jene Haltung, die er zum Erfolgsgeheimnis des FC Barcelona erklärt: "Wir sind aggressiv aber nicht überheblich. Es kommt nämlich auf die richtige Mischung aus Bescheidenheit und Angriffslust an."

Harald Irnberger