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Möllers EM-Kolumne: "Wollen wir denn keine Emotionen mehr?"

EM-Kolumne, Teil 7

Möller: "Die Gelb-Flut erstaunt mich - wollen wir denn keine Emotionen mehr?"

Julian Nagelsmann sah gegen Dänemark wegen Reklamierens Gelb.

Julian Nagelsmann sah gegen Dänemark wegen Reklamierens Gelb. IMAGO/Crystal Pix

Der Videoassistent war in gewisser Weise der 12. Mann für Deutschland beim Einzug ins Viertelfinale mit dem 2:0-Sieg gegen Dänemark. Um es vorwegzunehmen: Dieser Sieg war verdient! Doch was wäre ohne den VAR womöglich passiert? Die Millimeter-Abseitsentscheidung beim Tor von Joachim Andersen hätte es nicht gegeben. Die Dänen wären kurz nach der Pause in Führung gegangen - das Spiel hätte einen anderen Verlauf genommen.

Welch' Tragik für Andersen, dass er nur drei Minuten später ganz leicht mit dem ausgestreckten Arm den Ball im eigenen Strafraum touchierte. Wieder griff der VAR ein, speziell durch den Chip im Ball konnte diese Berührung nachgewiesen werden. Elfmeter für Deutschland und das 1:0 durch Kai Havertz. Dank der Computertechnik hatten wir letztlich das Glück auf unserer Seite. Die große Enttäuschung der Dänen ist nachvollziehbar. Hätten diese (richtigen) Entscheidungen in diesem "Computerspiel" Deutschland betroffen - wir würden noch heute höchst emotional debattieren.

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Überraschend für viele war die Nominierung von Leroy Sané in die Startelf gekommen. Bundestrainer Julian Nagelsmann wollte damit mehr Speed in unser Umschaltspiel bringen. Sané ist nach seiner verletzungsbedingten Pause vor der EM noch nicht bei 100 Prozent, er muss wieder in den Torabschluss kommen. Wenn da der Knoten platzt, wird das dem Team einen weiteren großen Schub geben.

Jetzt wartet auf uns die Mammutaufgabe gegen Spanien am Freitag, gegen die beste Mannschaft im bisherigen Turnierverlauf. Das exzellente Kombinationsspiel der Spanier muss durch frühes Pressing möglichst eingedämmt werden und unsere Mannschaft über schnelles Umschaltspiel ihre Chance suchen. Und natürlich wird mit entscheidend sein, ob wir die herausragenden Nico Williams und Lamine Yamal einfangen können.

"Dieses überbordende Maßregeln bei den überwiegend fair verlaufenden Spielen stört gewaltig"

Die gewaltige Flut an Gelben Karten bei dieser EM erstaunt mich sehr. Um die 170 der Verwarnungen schlagen bereits zu Buche. Und das angesichts der Neuerung, dass nur die Mannschaftskapitäne in einen verbalen Austausch mit den Schiedsrichtern treten dürfen, was zu einer vergleichsweise enormen Reduzierung von Reklamationen und auch von sogenannten Rudelbildungen geführt hat. Für einen fragwürdigen Rekord sorgte bei diesem Turnier der Rumäne Istvan Kovacs, der beim Spiel Türkei gegen Tschechien 18 Gelbe Karten sowie je einmal Gelb-Rot und Rot gezogen hat. Völlig überzogen!

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Gelb wird viel zu schnell gezeigt, dieses überbordende Maßregeln und Sanktionieren bei den überwiegend fair und respektvoll verlaufenden Spielen stört gewaltig. Was haben Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand und Julian Nagelsmann denn Schlimmes getan, dass sie am Samstag im Achtelfinale der beiden Nationen bei der ersten Regung gleich die Gelbe Karte vor die Nase gehalten bekamen? Wollen wir denn überhaupt keine Emotionen mehr sehen? Gerade in einem Spiel, dessen Ausgang mit geprägt worden ist durch Millimeter-Entscheidungen
nach Eingreifen des VAR. Darf nicht mehr geblockt werden, wie vor dem vermeintlichen 1:0 durch den Kopfball von Nico Schlotterbeck von Joshua Kimmich im Duell mit Skov Olsen? Fußball ganz ohne Emotionen und Körpereinsatz will doch wirklich niemand.

Die neue Euphorie um die Nationalelf hat gerade auch Rudi Völler bewirkt.

Andreas Möller

Für Rudi Völler freuen mich die Erfolge der Nationalelf bei dieser EM ganz besonders. Es gab einige Kritiker bei seiner Berufung zum Sportdirektor im Dezember 2022 nach dem unrühmlichen Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der WM in Katar mit dem Ausscheiden schon am Ende der Vorrunde. Völler sprang nach Jahren der Tristesse um die Nationalelf ein und bewirkte das neue, aktuelle Stimmungshoch entscheidend mit. Dank seiner Erfahrung als Top-Spieler, Trainer und Vereinsmanager, seiner Empathie und Offenheit sowie als Generationen-übergreifendes Idol.

Andreas Möller

Europameister 1996: Andreas Möller mit der Trophäe.

Andreas Möller (56) bestritt 85 Länderspiele, war Weltmeister 1990 und gehörte 1996 dem deutschen Team an, das zum bisher letzten Mal den Europameistertitel holte. Im Halbfinale verwandelte er im Elfmeterstechen gegen England den letzten, entscheidenden Elfmeter für den Einzug ins Endspiel. Im Finale durfte er aber wegen einer Gelbsperre nicht mitwirken. Andreas Möller wird bis zum Abpfiff dieser EM als kicker-Kolumnist im Einsatz sein.

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