Bundesliga

VfB: Mislintat sieht Silas als Opfer modernen Menschenhandels

Stuttgarts Sportdirektor kritisiert kriminelle Machenschaften in der Beraterbranche

Mislintat sieht Silas als Opfer modernen Menschenhandels

Steht fest zu seinem Spieler: Sportdirektor Sven Mislinat und Silas.

Steht fest zu seinem Spieler: Sportdirektor Sven Mislinat und Silas. imago images

Dass die Branche nicht den besten Ruf hat, ist nicht neu. Dass es auf dem Transfermarkt nicht immer mit rechten Dingen zugeht, nicht weniger. Nur dass sich bisher niemand dazu bekannt hat. Silas, wie der Jungstar aus dem Kongo künftig genannt werden will, hat den Mantel des Schweigens gelüftet.

"Er hatte lückenlose, formal korrekte Unterlagen"

"Er hätte seine Karriere auch einfach und problemlos fortsetzen können", erklärt Mislintat, der den Mut des Flügelmanns hervorhebt. "Der Junge hatte alle erforderlichen Dokumente, nach unserem Wissensstand bis vor kurzem Original-Dokumente, zu seiner Identität. Er hatte sowohl von französischen als auch deutschen Stellen geprüfte und lückenlose, formal korrekte Unterlagen."

Gute Arbeit mag man meinen, wenn man sich den Weg des Angreifers aus dem Kongo vor Augen hält. Als 18-Jähriger erhielt er für drei Monate ein Schengen-Visum, um beim RSC Anderlecht vorzuspielen. Als der belgische Topklub Interesse an seiner Verpflichtung signalisierte, sollte Silas, gerade 19 geworden, in die Heimat zurückkehren, um mit einem vollen Visum erneut die Reise nach Europa anzutreten. "Zu diesem Zeitpunkt wurde er von so genannten Läufern angesprochen, die genau diese Situationen erkunden und Menschen überzeugen, nicht in ihr Heimatland zurückzugehen", erzählt Mislintat. Unter der Drohkulisse, dann nicht mehr nach Belgien einreisen zu können.

Psychologischer Druck und falsche Versprechungen

Die Tür zu einer Karriere in Europa, die ihm und seiner gesamten Familie Wohlstand versprach, schien sich zu schließen. Also ließ sich Silas unter diesem psychologischen Druck und mit falschen Versprechungen mit Blick auf Probetrainings überzeugen, nach Frankreich zu gehen. "Silas ist jung und unerfahren und mit dem Vertrauen, das er gefasst hatte in seinen damaligen Berater, ist er in Paris in ein klares Abhängigkeitsverhältnis gedriftet", so Mislintat.

In Frankreichs Hauptstadt, so der VfB-Sportchef, seien dem aufstrebenden Spieler unter Druck eine neue Identität inklusive neuer Papiere verpasst worden. "Er wurde nicht befragt, sondern er wurde damit ganz klar konfrontiert", so Mislintat, der die Beweggründe "nicht aufenthaltstechnischen Erwägungen" zuordnet. "Silas hätte immer in Frankreich und Deutschland einen Aufenthaltstitel bekommen, weil er volljährig war und selbst für sein Einkommen hätte sorgen können." Man nimmt an, dass es darum ging, "dass die Vermittler keine Ausbildungsentschädigungen und Ablösesummen hätten zahlen müssen, dass die Verbindung zum Ausbildungsverein im Kongo unterbrochen werden sollte".

"Er geriet immer mehr in die Fänge des Vermittlers"

Damit nicht genug. Mit anderen jungen Spielern lebte der aktuell kreuzbandverletzte Jungprofi in einer Art Wohngemeinschaft unter Aufsicht des Beraters, dessen Namen die Stuttgarter nicht nennen wollen. "Unserer Informationen nach bekam Silas auch nicht sein Gehalt ausgezahlt, sondern es wurde verwaltet. Neben der psychologischen Abhängigkeit gab es also auch eine finanzielle. Er geriet immer mehr in die Fänge des Vermittlers."

Mit offensichtlich perfekt gefälschten Papieren fand Silas seinen Weg vom FC Paris zum VfB, wo er mittlerweile zu den Leistungsträgern gehört. Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Juristische Konsequenzen drohen dem Verein nach derzeitigem Stand eher nicht. Der DFB-Kontrollausschuss überprüft die Angelegenheit im Blick auf ein mögliches sportstrafrechtliches Fehlverhalten des Kongolesen. "Dafür ist der DFB zuständig", sagt Thomas Hitzlsperger. "Sie werden sich in Ruhe alles anschauen und bewerten." Mehr könne der Stuttgarter Vorstandsvorsitzende nicht sagen.

Wie auch in der Frage, ob Silas strafrechtlich belangt werden kann oder wird. "Wir haben versucht herauszufinden, erste Informationen zu bekommen", erzählt der Vorstandschef. "Es ist jetzt Aufgabe von Silas und seinem Anwalt mit der Ausländerbehörde genau das in Erfahrung zu bringen, was jetzt passieren kann. Wir unterstützen, wo wir können. Aber die Ausmaße können wir noch nicht abschätzen."

VfB prüft rechtliche Schritte

Dagegen steht fest, wie die Stuttgarter verfahren werden. "Wir werden rechtliche Schritte prüfen. Sowohl die Silas-Seite, als auch wir", sagt Mislintat. "Ziemlich sicher werden wir auch von unserer Seite aus etwas gegen den Berater einleiten, wenn wir der klaren Auffassung sind, dass wir rechtliche Schritte einleiten können."

Der auf dem Transfermarkt umtriebige Sportdirektor ist einiges gewohnt, das habe er so aber noch nicht erlebt. "Das erschreckt mich. Das ist eine Dimension, die ich nicht gesehen habe. Wenn man das mit einer Überschrift Menschenhandel beschreibt, kommt man dem Thema relativ nahe." Darum sei es umso wichtiger, dass Silas sich geoutet hat. "Er hat sich entschlossen, reinen Tisch zu machen, hat als junger Mensch die Verantwortung übernommen, so etwas aufzudecken. Wir glauben, dass er kein Einzelfall in Europa ist", so Mislintat. "Ich glaube, dass es das Wichtigste ist, dass man sensibilisiert für dieses Thema. Dass es eben nicht im grauen oder noch dunkleren Bereich verschwindet."

George Moissidis