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Klopp: "Die außergewöhnlichste Trophäe, die ich je gewonnen habe"

Über Liverpools verrückte "Fußball-Story" in Wembley

Klopp: "Die außergewöhnlichste Trophäe, die ich jemals gewonnen habe"

Eine Medaille mit besonderem Stellenwert: Jürgen Klopp nach dem League-Cup-Sieg in Wembley.

Eine Medaille mit besonderem Stellenwert: Jürgen Klopp nach dem League-Cup-Sieg in Wembley. IMAGO/Shutterstock

Aus London berichtet Jörg Jakob

Vor dem Anstoß, als Vertreter des Sponsors an den Mannschaften vorbeidefilieren wie sonst Mitglieder der königlichen Familie beim FA-Cup-Endspiel, macht einer von ihnen schnell noch ein Selfie mit Jürgen Klopp. Der lächelt freundlich. Mehr als zwei Stunden später tanzt der deutsche Trainer ausgelassen im Mittelrang des Wembleystadions vor der Royal Box und reißt gemeinsam mit Kapitän Virgil van Dijk die Trophäe in die Höhe. Es scheint, als strahlten die weißen Zähne auch aus der Distanz noch heller als sonst, wenn der 56-Jährige breit lacht. Als das gesamte Aufgebot des FC Liverpool vor der roten Kurve die Schultern schließt und "You'll never walk alone" singt, drückt Mimik wie Gestik Rührung aus, ein vorübergehend gedankenversunkenes Kopfschütteln verrät eine gewisse Ungläubigkeit. Es ist nur der Carabao Cup, den die Reds gerade zum zweiten Mal in der Ära Klopp gewonnen haben, doch sie feiern den 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen den FC Chelsea wie einen Champions-League-Titel.

Die pure Freude muss raus, das dauert. Als Klopp nach all den Umarmungen mit Spielern und Stab sowie den Jubelgesten Richtung Fans die TV-Interviews absolviert hat und spät zur Pressekonferenz erscheint, entschuldigt er sich dafür erst einmal. Dann sprudelt es aus ihm heraus: "Ich liebe es. Was wir hier heute erlebt haben, ist so speziell, dass es vielleicht nie wieder geschieht. Das ist die mit Abstand außergewöhnlichste Trophäe, die ich jemals gewonnen habe."

"Kindergarten-Klopp" ist überwältigt

Klopps achter Titel mit Liverpool, der zehnte für den Klub in diesem Wettbewerb (Rekord), ist einem Team zu verdanken, dessen Durchschnittsalter unter 22 Jahren lag, als Abwehrchef van Dijk in der 118. Spielminute einen "Outswinger", den von Kostas Tsimikas präzise von rechts geschlagenen Eckball, cool per Kopf zum Siegtreffer nutzte. Caoimhin Kelleher, der zum zweiten Mal in einem League-Cup-Finale herausragte, war bis dahin ein großer Rückhalt gewesen, nachdem mit Ryan Gravenberch (21) schon nach einer halben Stunde ein weiterer erfahrener Spieler in dieser Saison verletzt vom Platz getragen werden musste.

Chelsea nutzte seine Chancen nicht, Liverpools Youngster hingegen wuchsen über sich hinaus. Den eingewechselten 18-jährigen Jayden Danns, Bobby Clark (19), James McConnell (19) - bis dahin zusammen nur 15 Auftritte mit den Profis -  und Jarell Quansah (21) schlug die große Stunde, als gestandenen Profis wie Ibrahima Konaté, Andy Robertson oder Weltmeister Alexis Mac Allister die Kräfte schwanden.

Van Dijk schwärmte anschließend, er sei "so stolz auf die Jungs". Von einem "überwältigenden Gefühl" sprach sein Trainer, der "Kindergarten-Klopp". Clark? "Ups, eine unglaubliche Entwicklung." Danns? "Er ist erst kürzlich zu uns gestoßen. Ich liebte ihn von der ersten Sekunde an."

Liverpools Zukunft scheint auch ohne Klopp golden

Quansah wurde in dieser Saison bereits 20-mal in der Abwehr eingesetzt. Der Stern des 20 Jahre alten Conor Bradley ging vor wenigen Wochen auf, er stand erwartungsgemäß in der Startelf, hatte aber zuvor nur 16 Spiele absolviert. Harvey Elliott ist auch erst 20, doch er hatte seinen bereits 101. Einsatz für Liverpool. Diese Fakten können nicht relativieren, wie speziell dieser Erfolg, "diese Fußball-Story" (Klopp) ist.

Zu dieser Geschichte gehört, dass Klopp an gleicher Stelle im Nordwesten Londons vor acht Jahren sein erstes Endspiel mit den Reds verlor, ebenfalls ein Ligapokal-Finale, 1:3 im Elfmeterschießen gegen Manchester City, und anschließend betonte, es gehe immer darum, aus Niederlagen zu lernen. "Wir glauben an Training", lautete das Credo in der Anfangszeit, so formulierte es sein Assistent Peter Krawietz in einem kicker-Interview. Vor diesem Endspiel nun zitierte Co-Trainer Pep Lijnders sinngemäß seinen legendären Landsmann Johan Cruyff: "In jedem Nachteil steckt auch ein Vorteil."

Die Experten auf der Insel sind sich einig, egal, ob sie nun Gary Neville, Jamie Carragher oder Alan Shearer heißen: Die Leidenschaft, die Widerstandskraft, die Geschlossenheit dieses Liverpool-Teams fasse das Werk Klopps und seine nun zu Ende gehende Ära trefflich zusammen. Der erneut gefeierte Deutsche hatte fast auf den Tag genau vor zwei Jahren nach dem League-Cup-Triumph, ebenfalls gegen Chelsea, mit Blick auf einen möglichen Abschied 2024 gesagt: "Ich will Liverpool in guter Verfassung verlassen. Alles ist auf die Zukunft des Klubs ausgerichtet." Die Zukunft scheint golden, nicht zuletzt dank der Arbeit in der Academy in Kirkby und dem Vertrauen, das der Startrainer den "Kids" schenkt. Liverpool sei, so das ebenso einhellige Urteil der ständigen Beobachter, seiner Zeit des Umbaus ein Jahr voraus.

Auch Endo auf Krücken

Die nahe Zukunft freilich, in der die Meisterschaft, die Europa League und der FA Cup (Achtelfinale gegen Zweitligist Southampton am Mittwoch), somit das Quadruple, noch gewonnen werden können, bleibt von Verletzungssorgen geprägt. Die aktuelle Liste der Ausfälle ist lang und absolut überwiegend prominent, Langzeit-Patienten eingeschlossen: Im Tor Alisson, in der Abwehr Trent Alexander-Arnold, Joel Matip, im Mittelfeld Curtis Jones, Dominik Szoboszlai, Ryan Gravenberch, Stefan Bajcetic, Thiago, im Sturm Mohamed Salah, Diogo Jota, Darwin und Ben Doak.

Hinzu kommt: Auch Wataru Endo verließ Wembley am Sonntagabend bandagiert und mit Krücken. Klopps Abschiedstour braucht weitere Wunder. Nach der Erfahrung dieses Sonntags wäre es kein Wunder, würde es auch die noch geben.

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