2. Bundesliga

Kinds Attacken und die Antworten seiner Angestellten bei 96

Bei 96 geht's mit dem Florett gegen den Säbel

Kinds Attacken und die Antworten seiner Angestellten

Hat bei Hannover 96 alles weiter fest im Blick - und auch im Griff: Martin Kind.

Hat bei Hannover 96 alles weiter fest im Blick - und auch im Griff: Martin Kind. IMAGO/Fussball-News Saarland

"Piesacken" - das ist ein vornehmlich in Nord- und Mitteldeutschland durchaus geläufiger Begriff. Wenn ein Mensch einen anderen "piesackt", dann stichelt, triezt oder nervt er diesen, mitunter permanent, mit unangenehmen, auch quälenden Taten.

Ob die Befugnis des Chefs, seine Angestellten zu piesacken, bei Hannover 96 explizit in den Arbeitsverträgen festgeschrieben steht, ist nicht bekannt. Gelebte Praxis ist sie freilich seit Ewigkeiten. Genauer: Seit Martin Kind die Geschicke des Klubs lenkt. Also, mit kurzer Unterbrechung, seit 1997.

Die letzten drei Spiele von 96

Kind ist der wichtigste Mann im Klub. Kind ist Hannover 96. Auch nach seinem Rückzug als Präsident des Gesamtvereins 2019 lenkt er auf der Kapitalseite als Gesellschafter und Geschäftsführer Sport in der "Hannover 96 GmbH & Co KGaA" administrativ und wirtschaftlich die Geschicke. Vor allem im Fußball, den nicht zuletzt das Geld Kinds und seiner Mitgesellschafter in zuletzt verlustreichen Jahren über Wasser hielt.

Folklore statt Relevanz

Mit dem sportlichen Abstieg des einstigen Dauer-Erstligisten und sogar Europacup-Starters in den vergangenen Jahren aber sank die Relevanz des niedersächsischen Traditionsklubs und seines Patrons auf nationaler Ebene. Als Anzeichen dafür mag gelten, dass Kind in jüngerer Vergangenheit selbst zu seinen Paradethemen wie dem Wandel des Vereins zum Wirtschaftsunternehmen unter Wegfall der 50+1-Regel, für die er jahrelang als Hauptakteur bekannt war, kaum noch gefragt war.

Das wird er in Regelmäßigkeit als häufiger Gast bei einer langjährigen Podiumsdiskussion namens "Anstoß", die die Hannoversche Tageszeitung Neue Presse erfolgreich veranstaltet. Die interessante, zumeist äußerst unterhaltsamen Stammtischcharakter besitzende Runde bietet auch für Multimillionär Kind jene Bühne, nach der er sich im großen Fußball als privat zwar äußerst erfolgreicher, aber kaum öffentlich wahrgenommener Hörgeräte-Unternehmer stets sehnte. Die Folklore beim "Anstoß" und die dort im Plauderton über die Lippen des 79-Jährigen kommenden Töne werden gerne aufgenommen. Vom Publikum - und von den Medien, die damit ihre Schlagzeilen stets sicher haben.

Lange Liste der Geschassten

Und so kam es nach der sehr mauen Rückrunde 2022/23, mit dem mäßigen Zweitliga-Saisonstart beim 2:2 daheim gegen Aufsteiger Elversberg und später sogar dem Pokal-Aus bei Drittligist Sandhausen dazu, dass Kind wieder einmal im "Anstoß" piesackte. Und das gehörig. Die viel zu teuer bezahlten Profis stellte er ebenso lautstark an den Pranger wie dadurch auch Sportdirektor Marcus Mann für sein Vertragsmanagement, außerdem gebe es unter Trainer Stefan Leitl keine sportliche Weiterentwicklung.

Kind wurde deutlich und hielt sich dabei in seinen Aussagen offenbar noch zurück. Hätte er alles, was ihn umtreibe, offen kundgetan, gäbe es sogar "Krieg" in Hannover. Diesen zettelte sein Verbal-Adjutant und Klub-Ikone Dieter Schatzschneider (Hauptaufgabe im Verein: Jugendscout) beinahe an, in dem er unmittelbar vor dem jüngsten Heimspiel gegen den HSV via Interview auf einem Internetportal eine Breitseite gegen den aktuellen Coach auspackte.

Nun wissen die Verantwortlichen in Hannover seit jeher, dass derartigen Ankündigungen durchaus Taten in Form von Rauswürfen folgen. Die Liste der unter Kind geschassten Trainer und Manager bei 96 ist lang. Diesmal geht es möglicherweise etwas anders weiter. Die Säbel-Attacken des Bosses parieren Mann und Leitl mit dem Florett. Beispiel: Personalplanungen rund um den Kader, der auch in diesem Jahr einen ordentlichen Umbruch mit neun Zu- und zehn Abgängen verzeichnete, wurden weitgehend im stillen Kämmerlein vorangetrieben und erst ganz zum Schluss mit der obersten, allzu gerne zu öffentlichen Wasserstandsmeldungen in ausgewählten Medien neigenden Instanz in Großburgwedel (Kinds Firmensitz) abgestimmt - zwangsläufig gehört stets des Mächtigen Unterschrift unter alle Vorgänge.

Der Boss rudert ein wenig zurück

Auf dem Spielfeld lassen Trainer und Mannschaft unterdessen Taten aktuell sprechen, auch wenn es teils sichtlich schwerfällt, die lautstarken Attacken weitgehend zu ignorieren. Mit zuletzt zwei Auswärtssiegen in Rostock und Fürth und einer ansprechenden, aber unglücklich verlorenen Heimpartie gegen den Hamburger SV zeigte das Team sein Potenzial für die Spitzengruppe der 2. Liga. Zwischenerfolg außerhalb des Platzes: Der Boss ruderte mit seinen Statements sogar ein wenig zurück.

Ob das alles letztlich reicht, um in vergleichsweiser Ruhe den Aufstieg in die Bundesliga ins Visier nehmen zu können? Martin Kind will das auf der Zielgeraden seines sportlichen Lebenswerkes unbedingt. Wenn der Wunsch zur Forderung wird und der sportliche Trend damit nicht Schritt hält, dürfte es nicht beim Piesacken und Klingenkreuzen mit unterschiedlichen Waffen bleiben, so viel ist klar. Das lehrt einfach die Geschichte in Hannover. Der große Knall wäre dann programmiert. Aber auch das wiederum wäre schließlich gelebte Praxis in Hannover.

Michael Richter

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