WM

Jürgen Sparwasser und sein Tor für die Ewigkeit

Am 22. Juni 1974 siegt die DDR im WM-Spiel 1:0 gegen das DFB-Team

Jürgen Sparwasser und sein Tor für die Ewigkeit

Er wird zum Helden: Jürgen Sparwasser (li.) beim Einlauf der Mannschaften im deutsch-deutschen Duell 1974.

Er wird zum Helden: Jürgen Sparwasser (li.) beim Einlauf der Mannschaften im deutsch-deutschen Duell 1974. imago/Magic

Am Samstag wird sich Jürgen Sparwasser seinen Worten zufolge mit Freunden zum Grillen treffen. Um 21.03 Uhr, so der ehemalige DDR-Nationalstürmer Anfang der Woche zum kicker, werde man dann ein Gläschen trinken. Und zwar auf ein Ereignis, das am 22. Juni 1974 exakt um diese Uhrzeit stattfand und in die Fußball-Geschichte eingegangen ist: das 1:0-Siegtor für die DDR im WM-Gruppenspiel am 22. Juni 1974 in Hamburg gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Sparwasser, der 1988 - ein Jahr vor der Wende - noch in den Westen floh und heute in Bad Vilbel vor den Toren von Frankfurt am Main wohnt, ist mit diesem Tor berühmt geworden. Obwohl es der Karriere des heute 76-Jährigen nicht gerecht wird, ihn nur auf diesen Treffer zu reduzieren. Immerhin gewann Sparwasser 1972 bei den Olympischen Spielen in München mit der DDR-Auswahl die Bronzemedaille (mit einem 3:2-Erfolg im Gruppenspiel gegen die Olympia-Auswahl der BRD), 1974 mit seinem 1. FC Magdeburg den Europapokal-Sieger der Pokalsieger und wurde zudem mit dem FCM dreimal Meister sowie viermal Pokalsieger in der DDR.

Er selbst hat mal gesagt, das wichtigste Tor seiner Karriere habe er im Halbfinal-Rückspiel des Europapokals der Pokalsieger gegen Sporting Lissabon zum 2:0 (Endstand 2:1, Hinspiel 1:1) erzielt. Dennoch wird sein Name stets mit dem einen Spiel in Zusammenhang gebracht. "Wenn auf meinem Grabstein nur Hamburg '74 stehen würde, wüsste jeder, wer da in der Kiste liegt", hat Sparwasser vor einigen Jahren mal in einem Zeitungs-Interview gesagt.

Besagtes Tor zum 1:0 für die DDR gegen den späteren Weltmeister fiel damals in der 77. Minute einer Partie, die vorher zum Bruderduell und zum Kampf der Systeme stilisiert worden war. Hier das Team aus dem kapitalistischen Deutschland, der amtierende Europameister, der bei der Heim-WM als einer der Titelfavoriten galt. Dort der vermeintliche Underdog aus dem sozialistischen Teil Deutschlands. Doch Sparwasser und seine Mannschaftskollegen zeigten schnell, dass sie durchaus ebenbürtig mit dem deutlich höhergehandelten Nachbarn waren. Und so setzte die DDR dem Team von Bundestrainer Helmut Schön zu und nahm ihm den Wind aus den Segeln.

Eine "aussichtslose Situation" für einen Stürmer

Dann kam jene 77. Minute, die aber zunächst mal gar keine aussichtsreiche Situation barg, Der eingewechselte Erich Hamann (Vorwärts Frankfurt/Oder) spielte von rechts einen Flugball in die Mitte, und eigentlich war dieser Ball weder so gespielt, dass zwingend eine Torchance entstehen musste, noch stand Sparwasser so frei, dass man ihn zwingend hätte anspielen müssen. Vielmehr befand sich der Angreifer noch auf dem Weg aus dem Mittelfeld in die Spitze, und doch sprintete er nach dem von Hamann gespielten Ball los. "Ich weiß nicht, was mich dazu bewogen hat, aus meiner Position den Sprint nach vorne anzusetzen", sagte er später. Schließlich war Sparwasser umgeben von drei BRD-Verteidigern: Berti Vogts, Hörst-Dieter Höttges und Bernd Cullmann. Sparwasser nannte es im Rückblick mal "eine aussichtslose Situation" für einen Stürmer.

Doch der Ball kam irgendwie zu ihm, "und ich wollte ihn eigentlich mit der Brust mitnehmen, habe mich aber ein bisschen verkalkuliert" so Sparwasser. Der Ball landete auf seiner Nase und bekam somit einen von den Gegenspielern nicht vorher zu sehenden Drall - etwa gegen den Lauf von Höttges. Wenn er den Ball wie ursprünglich beabsichtigt mit der Brust mitgenommen hätte, so Sparwasser, "können Berti oder Horst-Dieter den wahrscheinlich ablaufen". So erwischte der DDR-Stürmer mit der Nummer 14 auf dem Rücken die beiden DFB-Verteidiger auf dem falschen Fuß und guckte beim erfolgreichen Abschluss auch noch Sepp Maier aus. "Ich würde mal sagen: Das war geil gemacht", sagte Sparwasser später.

Jürgen Sparwasser trifft gegen die BRD

Das goldene Tor: Jürgen Sparwasser (3. v. li.) schießt ein. IMAGO/Werner Schulze

13 Minuten später war der historische Erfolg der DDR amtlich, und es sollte sich herausstellen, dass Sparwassers Heldentat auch für die Bundesrepublik bedeutsam war. Die 0:1-Niederlage gegen die DDR führte beim DFB-Team zu einem reinigenden Gewitter, das die Grundlage für den späteren WM-Triumph war. Nicht umsonst hat Franz Beckenbauer später mal angeregt, Jürgen Sparwasser im Nachhinein noch zum "Weltmeister" zu ernennen. "Gebt dem Sparwasser die 23. Medaille", hatte der Anfang Januar dieses Jahres verstorbene "Kaiser" gesagt.

Sparwasser, der nach seiner Flucht in die Bundesrepublik von 1988 bis 1990 Co-Trainer von Karl-Heinz Feldkamp bei Eintracht Frankfurt war, von Juli 1990 bis November 1991 als Chefcoach beim damaligen Zweitligisten Darmstadt 98 arbeitete und später noch beim hessischen Oberligisten Rot-Weiß Walldorf als Trainer sowie als Präsident der Spieler-Gewerkschaft VdV und als Spielerberater wirkte, hat vom DFB indes keine Medaille oder sonstige Prämie erhalten. Aber sein Name wird auf ewig als Synonym für das historische deutsch-deutsche WM-Duell vor 50 Jahren stehen. Auf dieses und sein Tor will Sparwasser am Samstagabend um 21.03 Uhr anstoßen.

Andreas Hunzinger