Bundesliga

Wie der dienstälteste Bundesliga-Assistent Freiburg prägte

Das Schaffen und Wirken von Patrick Baier

Immer mit der Ruhe: Wie der dienstälteste Bundesliga-Assistent Freiburg prägte

Im Sommer scheidet Patrick Baier aus seinem Amt als Co-Trainer beim SC Freiburg aus.

Im Sommer scheidet Patrick Baier aus seinem Amt als Co-Trainer beim SC Freiburg aus. IMAGO/Eibner

Etwa 15 Minuten bevor es losgeht, läuft er gegen den Strom. Knapp 35.000 Menschen streben zu ihren Plätzen, um in den 90 Minuten dicht an dicht zu sitzen oder zu stehen. Patrick Baier aber geht dorthin, wo kaum was los ist. Das klingt komisch, ist doch das neue Freiburger Europa-Park-Stadion seit der Eröffnung im Oktober 2021 fast immer ausverkauft.

Ganz oben allerdings, auf der Geschäftsstellenebene, sind die Büros in der Regel verwaist, wenn die Mannschaft von Christian Streich spielt. Auf dem Balkon vor den Fenstern, wo auch Kameras postiert sind, hat Baier auf Höhe der Mittellinie seinen Spezialplatz. So ein bisschen ist er dort für sich, während unten die Emotionen Tausender hoch- und runterschwappen.

Langjähriger Weggefährte Streichs

Eine Tischplatte ist installiert, darauf steht Baiers Laptop. Er analysiert das SC-Spiel, markiert relevante Szenen für die Halbzeitbesprechung und ist per Headset mit Co-Trainer Florian Bruns verbunden. Der Job eines Analysten. Doch Baier ist kein Analyst, sondern selbst Fußballlehrer und Co-Trainer. Beides seit 2009. In den zehn Jahren zuvor trainierte er bereits den SC-Nachwuchs. Wie Streich. Beide leiteten von 1999 bis 2005 eine gemeinsame Trainingsgruppe, am Wochenende coachte Streich die U 19 und Baier die U 18.

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Danach war Baier drei Jahre U-17-Coach, ehe er 2008/09 in Köln die höchste Trainerlizenz erwarb. Zu dieser Zeit beobachtet er im Westen immer wieder Gegner der SC-Profis für den damaligen Cheftrainer Robin Dutt. Der hat schon zum Amtsantritt 2007 als Nachfolger von Volker Finke den A-Jugend-Trainer Streich parallel als Co-Trainer eingebunden und bittet nach dem Aufstieg 2009 auch Baier in seinen Stab. Dem war eines ganz wichtig: "Neben der Gegneranalyse hat mein Job von Anfang an die Arbeit auf dem Platz mit der Mannschaft beinhaltet."

Baier sieht sich ungern als Urgestein

Baier ist wie Streich, der schon seit 1995 SC-Trainer ist, ein echtes Urgestein. Auch wenn er den Begriff nicht mag. Das hört sich in seinen Ohren zu alt an, nach einem, der seinen Zenit überschritten hat. Doch auch Baier ist voll auf der Höhe. Nicht für alle sichtbar wie der emotional coachende Streich. Sondern mit scharfem Blick von oben. "Er ist sehr auf seine Sache fokussiert und erledigt seine Arbeit zu 100 Prozent. Man kann sich komplett darauf verlassen", sagt Sportdirektor Klemens Hartenbach: "Patrick ruht in sich."

Ich melde mich nur drei- bis viermal pro Spiel. Wenn ich das Gefühl habe, es läuft etwas richtig schief, oder wenn sich bestimmte Muster wiederholen.

Patrick Baier über seine Kommunikation mit der Freiburger Bank

Baier wägt die Dinge stets analytisch ab. Etwa bei der Funk-Kommunikation mit Bruns. "Ich melde mich nur drei- bis viermal pro Spiel. Wenn ich das Gefühl habe, es läuft etwas richtig schief, oder wenn sich bestimmte Muster wiederholen. Man muss damit vorsichtig umgehen, denn ich habe dort oben meine Ruhe, und unten sind die Emotionen. Immer gleich nach großen Veränderungen zu schreien ist nicht hilfreich", erzählt Baier. Auf die Dosis kommt es auch in der Halbzeit an. Baier bespricht mit Streich und Co., welche Szenen sie den Profis zeigen wollen. "Das sind meistens nur zwei bis drei. Der Fokus liegt inzwischen weniger auf dem Gegner, weil der durch seine Analysen auch laufend Anpassungen vornimmt. Es geht eher um Prinzipien: Wenn wir keine zweiten Bälle bekommen, zu wenige Tiefenläufe haben oder Ähnliches", so Baier.

Die Arbeit im Freiburger Trainerteam hat zu beachtlichen Erfolgen in den vergangenen Jahren geführt. Assistent Lars Voßler, zuvor schon fünf Jahre "Co" von Streich in der U 19, ist auch schon seit dessen Start als Chefcoach Ende 2011 dabei. 2017 kam Bruns dazu. Torwarttrainer Michael Müller sowie die Athletiktrainer Daniel Wolf und Maximilian Kessler und Verbindungstrainer Julian Schuster komplettieren den Stab. "Wir hocken im Trainerbüro seit unzähligen Jahren jeden Tag viele Stunden zusammen. Wenn du im Wesen so unterschiedlich bist wie wir, ist das nicht so ohne, da kann man sich schon auch auf die Nerven gehen", sagt Streich: "All das haben wir bis jetzt gut hingekriegt und auch Kraft geschöpft aus den unterschiedlichen Sichtweisen auf Dinge und durch die kontroversen Auseinandersetzungen."

Patrick ist kein Laut- und Vielsprecher, aber wenn er was sagt, hat es richtig Gewicht.

Klemens Hartenbach über Patrick Baier

Für Hartenbach, der wie Streich sehr emotional sein kann, verkörpert Baier ein ausgleichendes Element: "Patrick strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Und wenn es heiß wird, gießt er kein zusätzliches Öl ins Feuer. Das schätzt man sehr in der Kommunikation." Laut Streich könne Baier, der "ruhige, reflektierte Zeitgenosse, aber durchaus emotional" sein: "Das wissen die meisten nicht, aber es ist nicht so, dass er immer ganz ruhig ist. Er bewegt schon auch immer wieder was." Hartenbach betont: "Patrick ist kein Laut- und Vielsprecher, aber wenn er was sagt, hat es richtig Gewicht." Auch wegen seiner Arbeitsweise. "Akribisch, sehr hart, durchdacht und strukturiert", urteilt Streich. "Es gilt alles abzuarbeiten, ich will mir nichts vorwerfen können", sagt Baier, der im Sommer in der Vorbereitung auf die 1. Pokalrunde Oberligist Oberachern zweimal live angeschaut hat: "Dafür darf man sich nicht zu schade sein."

Während andere Bundesligisten eigene Abteilungen mit mehreren Video-Analysten aufgebaut haben, heißt es beim SC: Selbst ist der Trainer. "Es ist so gewachsen, dass wir die qualitative Analyse im Trainerteam halten. Chris analysiert im Nachgang unsere eigenen Spiele, Lars und Flo die Standards und ich die Gegner", sagt Baier und betont: "Wir investieren die Zeit gerne. Wir haben auf diesem Gebiet gemeinsam eine große Erfahrung und viel Vertrauen zueinander. Jeder weiß, worauf es uns in den Analysen ankommt. Wir haben extrem kurze Wege, es würde eine gewisse Zeit dauern, wenn wir einen externen Analysten dazunehmen würden, bis der in die jahrelang verinnerlichten Abläufe eingearbeitet wäre."

Die Pioniere bekommen Unterstützung

Julian Schuster (SC Freiburg, Verbindungs-Trainer), Michael Mueller (SC Freiburg, Torwart-Trainer), Lars Vossler (SC Freiburg, Co-Trainer), Christian Streich (SC Freiburg, Trainer), Florian Bruns (SC Freiburg, Co-Trainer), Patrick Baier (SC Freiburg, Co-Trainer) und Daniel Wolf (SC Freiburg, Athletiktrainer) und Maximilian Kessler (SC Freiburg, Athletiktrainer)

Ein eingespieltes Team: Der Trainerstab des SC Freiburg IMAGO/Eibner

Bei aller Ursprünglichkeit hat sich aber auch der SC breiter aufgestellt, mit Performanceanalyst Heiko Sander (seit 2018) und Datenanalyst Leon Krämer (2020). Auch ein automatisches Kamerasystem für das Training erleichtert die Arbeit. Bedingungen, von denen Baier zu Beginn nur träumen konnte. Er, Streich und andere waren schon im Jugendbereich Video-Pioniere, um per Bewegtbild-Analyse Spiel und Spieler verbessern zu können. "Da hatten wir noch große TV-Kameras, mit VHS-Kassetten drin. Manchmal hat der Busfahrer gefilmt."

Bei den Profis beobachtet Baier die Gegner zunächst weiterhin live: "Auch um ein Gefühl für das Verhalten der Spieler, den gesamten Auftritt der Teams und die Stimmung in den Stadien zu bekommen." Inzwischen kennt er die überall, und durch das online abrufbare Taktikfeed von allen Teams ist er kaum noch unterwegs, sondern seit acht Jahren bei allen SC-Partien das Auge auf der Tribüne. Pro Woche steht er zudem bei drei Trainings mit auf dem Platz.

Freiburgs Kaiser in der Oberliga

Trainiert hat er früher auch zwei Jahre im SC-Dress, von 1988 bis 1990. Eine Partie absolvierte er nicht, obwohl die Erinnerung des damaligen Mitspielers Hartenbach spannendes Potenzial erahnen lässt: "Ich habe Franz zu ihm gesagt. Er hat im Abwehrzentrum Eleganz ausgestrahlt, das Spiel von hinten aufgebaut und nicht wenige Pässe mit dem Außenrist gespielt." Baier gab den Beckenbauer aber nur in der drittklassigen Oberliga.

"Ich habe es in der 2. Liga probiert. Ich war mental aber nicht in der Lage, Profifußball zu spielen. Daraus sind viele Verletzungen entstanden. Ich musste mich umorientieren." Auch wegen einer Fehldiagnose: "Es hieß: Knorpelschaden, aufhören. Einige Jahre später kam bei einer Arthroskopie heraus, dass es sich nur um eine kleine verklebte Schleimfalte überm Knie gehandelt hat. Die wurde rausgeschnitten. Danach war ich glücklicherweise wieder schmerzfrei." Aber schon mitten auf dem Weg in einen ganz anderen Beruf.

Ich bin ein besserer Trainer als Architekt.

Patrick Baier über seine Berufswahl

In Trier und Stuttgart studiert Baier Architektur. Nach dem Diplom und zwei Jahren in einem Architekturbüro steht jedoch eine ernüchternde Erkenntnis: "Meine romantische Vorstellung, später große eigene Entwürfe zu verwirklichen, entsprach nicht der Realität. Im Alltag dominierte die Arbeit an Ausschreibungen und Projektleitungen, da ging es viel um Jura und BWL." Schnell wird ihm klar: "Ich bin ein besserer Trainer als Architekt."

Auch wegen der im Fußball gewohnten emotionalen Ausschläge hat es ihn zurückgezogen. Am Spieltag versucht Baier sie allerdings zu dimmen: "Die unmittelbare Emotionalität vom Spiel würde mir etwas nehmen. Ich brauche etwas Ruhe für eine anständige Analyse." Unterm Dach regt sich Baier laut Hartenbach trotzdem ab und an auf: "Vor allem, wenn Spieler auf dem Platz nicht die richtige Entscheidung treffen, wenn Dinge einfacher hätten gelöst werden können."

Baiers unerwarteter Perspektivwechsel

Im Oktober 2022 steht Baier plötzlich wieder an der Seitenlinie. Wegen einer Coronawelle im Trainerstab springt er in der Europa League gegen Nantes ein. "Das war nach so vielen Jahren ungewohnt. Die Coaching-Erfahrung war aber auch ein guter Perspektivwechsel, weil ich mich so an die Beobachterposition gewöhnt habe. Unten spürst du eine andere Energie, ich habe es richtig genossen." Der 2:0-Sieg rundet den Abend ab - weckt aber keinerlei Begehrlichkeiten bei Baier.

Für ihn ein Grund für den gut funktionierenden SC-Stab: "Jeder von uns ist an der richtigen Position, auch von der Persönlichkeitsstruktur her. Es gibt bei keinem irgendwelche Fantasien in irgendwelche Richtungen. Wenn wir uns nach einer kontroversen Diskussion auf eine Sache geeinigt haben, gibt es eine große Entscheidungsloyalität. Jeder steht dazu, auch wenn er persönlich vorher eine andere Lösung favorisiert hat. Da gibt es keinen, der hinterher alles besser weiß, beispielsweise gegenüber den Spielern. Das wäre schleichendes Gift."Und würde das verschworene Ensemble in seine Einzelteile zersetzen.

Anzeichen dafür gibt es überhaupt nicht. Im Gegenteil. "Der SC Freiburg ist nicht nur eine Station in unserer Berufsvita, das ist unser Projekt", sagt Architekt Baier. Und wird auch bei den kommenden Heimspielen in seinem Ausguck genau hinschauen.

Dieser Text erschien erstmals in der Montagsausgabe am 22. Januar im Rahmen der kicker-Serie "Klub-Urgesteine aus der 2. Reihe".

Carsten Schröter-Lorenz

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