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"Ich liebe diese Dramatik"

Britische Botschafterin Jill Gallard im kicker-Interview

"Ich liebe diese Dramatik"

Die britische Botschafterin Jill Gallard sprach im Interview mit dem kicker über die anstehende EM.

Die britische Botschafterin Jill Gallard sprach im Interview mit dem kicker über die anstehende EM. picture alliance/dpa

Ihre insgesamt vierjährige Amtszeit als Botschafterin in Deutschland erfuhr mit dem Besuch von King Charles III. bereits einen Höhepunkt. Das Ende wird nun von der EM gekrönt. Die Nordirin erwartet eine halbe Million Besucher aus dem Vereinigten Königreich. Fast wären es noch mehr geworden, Wales scheiterte erst in den Play-offs. Den kicker empfängt Jill Gallard auf der Terrasse ihrer Residenz im Grunewald.

Steven Gerrard hat einmal in einem kicker-Interview gesagt, die englische und die deutsche Fußballkultur hätten sehr viel gemein. Haben die deutsche Kultur und die britische Kultur auch viele Gemeinsamkeiten unabhängig vom Fußball, Ihre Exzellenz?

Ja, auch. Das habe ich in den fast vier Jahren hier bemerkt. Als im vergangenen Jahr der König zu Besuch war, hat man gesehen, wie viele Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Großbritannien bestehen, auch im Sport. In der Geschichte gibt es so viele Beziehungen, in der königlichen Familie so viele Verbindungen. Für mich als britische Botschafterin ist es wunderbar hier zu sein, während der Europameisterschaft mit zwei britischen Teams.

Welche Unterschiede zwischen den Briten und den Deutschen haben Sie denn in den dreieinhalb Jahren bisher hier festgestellt?

Gute Frage. Einer ist: Hier sind am Sonntag die Läden nicht geöffnet. Das ist wunderbar, weil man Sport treiben oder mit der Familie zusammen sein kann. Das werde ich vermissen, in London sind sich die sieben Tage in der Woche ähnlicher.

Harry Kane, Englands Kapitän, ist der Top-Scorer der Bundesliga. Ist er auch, im übertragenen Sinne, ein Botschafter seines Landes?

Er ist ein ausgezeichneter Botschafter für Großbritannien. Er ist kaum ein Jahr in der Bundesliga und schon Torschützenkönig. Dabei ist es offensichtlich, dass er Deutschland liebt. Kane und auch Jürgen Klopp auf der anderen Seite sind wunderbare Vertreter der guten Beziehungen der beiden Nationen.

Kane pflegt als Persönlichkeit einen bescheidenen, zurückhaltenden Stil. Der geerdete und ruhige Eindruck, den er vermittelt, ist sicher hilfreich. Es gibt auch das Bild von Fußballprofis, die exzessiv und extraordinär auftreten.

Das kann sein. Dass Kane hier mit seinen jungen Kindern und seiner Frau lebt, zeigt, dass er bemüht ist, sich zu integrieren, in Bayern und in Deutschland. Er lernt Deutsch. Ich habe auch Deutsch gelernt, bevor ich nach Deutschland gekommen bin. Das ist ein Zeichen des Respekts für das Land, in dem man wohnt.

Die Briten kennen Deutschland jetzt besser dank ihm.

Jill Gallard über Jürgen Klopp

Jürgen Klopp haben Sie bereits angesprochen. Wenn man rund um seinen Abschied aus Liverpool sowohl die deutschen als auch die britischen Medien wahrgenommen hat, ist klar: Er war offensichtlich eine wichtige Persönlichkeit sogar für die gesellschaftlichen und politischen Beziehungen.

Ja, das ist so. Ich hatte die Ehre, ihn das erste Mal 2021 in Dortmund kennenzulernen, als wir ihm den German-British-Freundship-Award überreicht haben. Er war der erste Preisträger. Viele, viele Briten, nicht nur die Leute in Liverpool, lieben Jürgen Klopp. Weil er sich dort so integriert hat. Er ist freundlich, er spricht mit allen Leuten. Wir sind alle sehr traurig, dass er die Premier League verlassen hat. Aber ich verstehe das, nach so vielen Jahren. Wir sind sehr glücklich, dass wir Jürgen in unserem Leben gehabt haben.

Das Besondere ist ja, dass er nicht nur als "German Scouser", sondern im ganzen Land geschätzt wird. Das geht nicht jedem Scouser so …

Die Briten kennen Deutschland jetzt besser dank ihm.

Das passt zum Motto der EURO 2024: "United by Football. Vereint im Herzen Europas." Woran denken Sie, wenn Sie diesen Slogan hören?

Ich freue mich sehr darauf und die Tatsache, dass wir zwei britische Teams hier haben und vier Wochen großartigen Sport erleben werden. Die guten Verbindungen zwischen der deutschen und der britischen Regierung sind auch ein Signal für viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten in Europa.

"Ausdruck gemeinsamer Werte": Die EM als gesamteuropäisches Statement

Im Vorfeld wird sehr viel über die politische Bedeutung einer Fußball-Europameisterschaft gesprochen. Da geht es um Integration, um Zusammengehörigkeitsgefühl und auch darum, den großen Krisen dieser Welt zu trotzen. Kann diese EM ein gesamteuropäisches Statement abgeben und Zeichen für demokratische Werte setzen?

Ja. Der Fakt, dass so viele europäische Außenminister, der Bundeskanzler und unser Premierminister zusammenarbeiten mit Blick auf die Lagen in der Ukraine und in Nahost ist ein Ausdruck gemeinsamer Werte. Wir erwarten, dass fast eine halbe Million britische Fans zur EM anreisen werden. Das wird viel Arbeit für mein Team in der Botschaft sein. Aber auch eine gute Gelegenheit für Deutschland, so viele internationale Besucher zu begrüßen. Das wird zudem dem deutschen Tourismus dienen, hoffe ich.

500 000 britische Fans, das ist eine enorme Zahl. Was bedeutet das für die Arbeit der Botschaft konkret?

Zuerst Konsular-Arbeit, das bedeutet, wir geben Reisehinweise: Welche Identitätsdokumente werden benötigt? Wo sind die Fanzonen? Auch die Empfehlung, die Unterkünfte vor Reisebeginn zu buchen, und der Hinweis, dass es während des vierwöchigen Turniers zehn deutsche Turnierstädte gibt, nicht nur zwei oder drei, sind wichtig. Zweitens werden wir hoffentlich viele Besuche von britischen Ministern haben. Es ist eine Gelegenheit, mit ihren deutschen Kollegen über Außen-, Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik zu sprechen. Drittens ist Deutschland Gastgeber der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz zwei Tage vor dem Start der Europameisterschaft. Außerdem ist das Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland ein wunderbarer Anlass. Die Städtepartnerschaft zwischen München und Edinburgh feiert in diesem Jahr ihr 70-jähriges Jubiläum. Ich habe in Edinburgh studiert. Wir erwarten viele Schotten!

Ich habe zwei Shirts, wir haben zwei Fahnen.

Jill Gallard über die beiden britischen Teams bei der EM.

Was machen Sie denn, sollten England und Schottland aufeinandertreffen?

Ich habe zwei Shirts, wir haben zwei Fahnen … mal sehen. Auf jeden Fall werden wir das Turnier nutzen, um noch mehr Werbung dafür zu machen, dass Sport sehr gut für die psychische und physische Gesundheit ist. In diesem Bereich ist Harry Kane ein sehr guter Mitarbeiter. Und Prinz William arbeitet sehr viel mit uns in der Wohltätigkeitsorganisation "Mind" zusammen. Die zentrale Botschaft ist der große Beitrag des Sports, des Fußballs, für die mentale Gesundheit.

Alleine schon wegen der enormen Zahl an Menschen, die zu den Spielen und in die Städte kommen, müssen Sicherheitsmaßnahmen koordiniert werden. In der Vergangenheit haben die deutschen und britischen Behörden, die Polizei und deren Fan-Experten sehr gut zusammengearbeitet, auch unmittelbar vor Ort.

Das soll wieder so sein. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit in allen Bereichen Wir teilen Informationen. Die Vorbereitungen laufen bereits seit Monaten. Das Gleiche gilt für die Olympischen Spiele in Paris.

Bei der WM 2006 empfing Deutschland die Fans als Gäste. Die Fan- und Polizeiarbeit ist in Europa nirgends besser aufgestellt als in Großbritannien und in Deutschland. Englische, schottische, deutsche Fans fühlen sich in anderen Ländern jedoch häufig schlecht behandelt.

Ich weiß nichts über andere Länder, aber Sie haben recht, zwischen Deutschland und Großbritannien ist das gut. Ich habe vor 22 Monaten in Wembley beim EM-Finale der Frauen mit England und Deutschland eine fantastische Atmosphäre erlebt. Ich hoffe, so wird es jetzt wieder sein. Denn Sport eint. Wir alle brauchen gute Nachrichten in diesen Zeiten.

Wird der Fußball zuweilen mit politischen und gesellschaftlichen Aufträgen überfrachtet, siehe Katar? Sollte man die Spieler Fußball spielen lassen, ohne irgendwelche Botschaften zu verteilen?

Klar, der Fußball kann die Lage in der Ukraine nicht lösen. Aber ich als Diplomatin glaube immer an die Möglichkeiten, die Kontakt und Dialog bieten. Es ist eine Chance, Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zu haben im Sport, in der Kultur, in der Geschichte, im Berufsleben. Fußball kann sehr hilfreich sein. Aber es ist nicht das Wundermittel, das stimmt.

Was ist der Unterschied zwischen einem typischen englischen und einem typischen schottischen Fan?

Also (lacht), der schottische Fan trägt einen Kilt, den Schottenrock. Die Schotten singen mehr und es gibt Dudelsackspieler. Sie machen insgesamt mehr Lärm. Es besteht der Eindruck, die Schotten seien freundlicher, aber die englischen Fans sind ebenfalls sehr freundlich.

Bei wie vielen Spielen werden Sie dabei sein?

Es kommt darauf an, welches Match von einem britischen Minister besucht wird. Momentan steht fest, dass ich beim Eröffnungsspiel in München dabei bin. Mein Stellvertreter und ich werden uns die weiteren Spiele aufteilen, weil wir immer jemanden hier in Berlin in der Botschaft benötigen, der die Konsular-Arbeit macht. Vielleicht kommt königlicher Besuch hinzu. Prinz William ist ja Chef der Football Association.

Aktuell sind England, Deutschland und Frankreich die drei am meisten genannten Mannschaften.

Jill Gallard über die Titelaspiranten bei der EM

Ist England einer der Favoriten auf den Titel?

Bei jedem Treffen in diesen Tagen frage ich die Gesprächspartner nach ihrem Tipp. Normalerweise nennen sie mir alle möglichen Nationalitäten. Aktuell sind England, Deutschland und Frankreich die drei am meisten genannten Mannschaften.

Der Erwartungsdruck, der auf dem englischen Team lastet, ist immer immens groß.

Jeder Fußballexperte sagt mir das Gleiche, nämlich dass die Mannschaft wirklich gut spielt, dass sie sehr gut harmoniert. Aber ich stimme zu, der Druck auf England ist eine große Sache. Natürlich hoffe ich, dass auch Schottland weiterkommt.

Mit Schottland ist es immer so, dass alle es lieben, am Ende aber fehlt ein Tor zur nächsten Runde.

Das ist das Besondere am Fußball, ebenso die Tradition. Denken Sie nur an die Elfmeterschießen zwischen England und Deutschland. Ich persönlich liebe die Dramatik dieser Spiele, aber mein Mann und mein Sohn hassen diesen Stress.

Danke, dass Sie das Elfmeterschießen von sich aus erwähnen.

Es ist unvermeidlich. Es wird passieren.

Was halten Sie von Gareth Southgate als Führungspersönlichkeit, als jemand, der sein Land repräsentiert?

Er ist ein weiterer fantastischer Botschafter. Ich hätte vorhin, als wir über Jürgen Klopp sprachen, sagen sollen, dass er für seine Führungsqualitäten und sein Teambuilding ebenso bekannt ist wie für seine Fußballkenntnisse und seine Liebe zu Liverpool. Gareth Southgate ist ihm in vielerlei Hinsicht ähnlich.

Die EM 2028 wird im Vereinigten Königreich und in Irland stattfinden.

Da ich aus Nordirland stamme, freue ich mich ganz besonders darüber, dass das Vereinigte Königreich und Irland diese Veranstaltung gemeinsam ausrichten. In einem größeren Zusammenhang ist das ein gutes Zeichen für die guten Beziehungen zwischen Großbritannien und Irland. Zudem ist es ebenso wie in Deutschland sehr wichtig, dass die Spiele an vielen Orten und nicht nur in der Hauptstadt ausgetragen werden. Wir hoffen, diesen Sommer bereits nutzen zu können, um zu zeigen, dass das Turnier von Deutschland an das Vereinigte Königreich und Irland übergeben wird.

Planen Sie entsprechende Veranstaltungen?

Ein größeres Event, um den Staffelstab weiterzureichen, werden wir wohl erst im frühen Herbst präsentieren. Im Juni und Juli gehört die Bühne Deutschland.

Dieses Interview erschien erstmals in der Montagsausgabe des kicker am  27. Mai. Hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

Interview: Jörg Jakob