Champions League

Heynckes-Kolumne zur Triple-Saison: "Jetzt erst recht!"

kicker-Kolumne des Triple-Trainers

Heynckes: "Nach dem 'Finale dahoam' sagten alle: Jetzt erst recht!"

2012 und 2013 (li.) - zwei Welten: Jupp Heynckes und Bastian Schweinsteiger.

2012 und 2013 (li.) - zwei Welten: Jupp Heynckes und Bastian Schweinsteiger. imago images (2)

Wenn sich nun das deutsche Finale in der Champions League zum zehnten Male jährt, verbindet sich mit der Erinnerung an dieses Endspiel im Londoner Wembley Stadium ein besonderer Augenblick des deutschen Fußballs. Eine solche Paarung im global bedeutendsten Klubwettbewerb hatte es vorher nicht gegeben, und seither gab es sie leider auch nicht mehr. Es war zwar nicht logisch, dass es zu dieser Konstellation kommen würde, weil der Fußball selten folgerichtig verläuft und in entscheidenden Momenten oft vom Glück dirigiert wird; doch Zufall war es keineswegs, dass Borussia Dortmund und Bayern München dieses Finale 2013 erreichten.

Dortmunder Wahnsinn gegen Malaga und Real Madrid

Der BVB hatte sich 2011 und 2012 zum Deutschen Meister gemacht, 2012 zudem das Double gewonnen. Wir Bayern waren in jenem Jahr im "Finale dahoam" am FC Chelsea im Elfmeterschießen gescheitert. Die Borussia stellte damals eine richtig gute Mannschaft und in Jürgen Klopp einen Trainer, der diese Gruppe mit seiner konsequenten Arbeit und seinem emotionalen wie empathischen Führungsstil geformt hat. Das dramatische Viertelfinale mit den beiden Treffern in der Nachspielzeit zum 3:2-Sieg gegen den FC Malaga nach dem 0:0 im Hinspiel sowie das überstandene Halbfinale gegen Real Madrid belegen die hohe Qualität dieser Mannschaft.

Mister, Ihre Mannschaft hat uns wie eine Maschine überrollt.

Xavi zu Jupp Heynckes

Frühe Vorahnung zum möglichen Triple

Bei uns in München forderte und förderte die Verletzung, die wir im Endspiel 2012 gegen Chelsea erlitten hatten, die entsprechende Reaktion. Vom ersten Trainingstag an war zu spüren, dass jeder Einzelne - Mannschaft, Staff, Trainercrew, der gesamte Verein - diese schmerzliche Niederlage korrigieren wollte. Nie in meinem langen Trainerleben habe ich ein Team erlebt, das so professionell, konsequent und ambitioniert auf ein Ziel hingearbeitet hat. Bei der China- Reise vor der Saison absolvierten wir um 7.30 Uhr Ausdauerläufe, kein Spieler nörgelte. Alle sagten: Jetzt erst recht! Xavi, heute Trainer des FC Barcelona, damals dort ein herausragender Mittelfeldspieler, sagte nach unseren zwei Halbfinalsiegen zu mir: "Mister, Ihre Mannschaft hat uns wie eine Maschine überrollt."

Bayerns Finalspiele 2013

Diese Jungs um die Kapitäne Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger hatten einen wunderbaren Charakter, die Neuzugänge passten menschlich wie sportlich perfekt. Als Trainer spürte ich sehr bald, dass sich da etwas Großes anbahnte. Nach einem Drittel der Spielzeit sagte ich zur Mannschaft: Wenn wir das so durchziehen, ist in diesem Jahr alles möglich. Die Jungs wussten, was ich meinte: dass wir alle drei Titel holen. Im weiteren Verlauf verlangte ich die unbeirrbare Fortsetzung unseres Weges und stieß stets auf offene Ohren, weil ein Schweinsteiger, Lahm, Manuel Neuer, Jerome Boateng, David Alaba oder Thomas Müller unbedingt einen und speziell diesen internationalen Titel wollten.

Mandzukic: Große Gesten statt schwieriger Charakter

Die Neuzugänge, die vor dieser Saison gezielt verpflichtet worden waren, trieb der gleiche Ehrgeiz. Mario Mandzukic, angeblich ein schwieriger Typ, verkörperte den Prototyp des Teamspielers. Ihm machte ich klar, dass der Gesamterfolg wichtiger war als sein persönlicher. Er hatte beste Perspektiven, in der Bundesliga die kicker-Torjägerkanone zu gewinnen, akzeptierte jedoch bereitwillig, dass er in den letzten zehn Bundesligaspielen nur noch sporadisch auflief - und erzielte im großen Londoner Finale das 1:0.

Mario Mandzukic

Erlöser Mandzukic: "Gomez war der erste Gratulant"

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Als ich im anschließenden DFB-Pokal-Endspiel Mario Gomez ein Abschiedsspiel - er verließ den Klub - gönnte, kam von Mandzukic kein Murren, sondern die Antwort: "Trainer, Sie machen das schon." Javi Martinez, damals ein in Europa nicht so bekannter Mittelfeldabräumer, war der bis dahin teuerste Einkauf des FC Bayern. Beim großen Showdown gegen die Borussia setzte er die notwendigen Zeichen, indem er nach der Dortmunder Dominanz in der Anfangsphase alsbald die entscheidenden Zweikämpfe gewann und unsere gesamte Elf aus ihrer Verkrampfung befreite. Anschließend übernahmen wir die Regie auf dem Wembley-Rasen.

Mein Glaube an meine Mannschaft wurde bestätigt.

Jupp Heynckes

Glück hatten wir, als der Schiedsrichter Dantes Foul gegen Marco Reus, mit dem er den Elfmeter verursachte, nicht mit einer zweiten Gelben Karte sanktionierte. Es war eine brenzlige Situation, die der Unparteiische angemessen bewertete, weil er in einem derart wichtigen Spiel keine Unterzahl für eine Mannschaft schuf. Letztlich wurden unser Drängen und unser Spiel nach vorne belohnt, als Franck Ribery den Ball gekonnt per Absatzkick durchsteckte und Arjen Robben ihn clever mit dem linken Innenrist an Roman Weidenfeller vorbeischob, mit viel Effet, somit wenig Druck, da der Ball sonst am Pfosten vorbeigerollt wäre. Da nur noch wenige Minuten zu überstehen waren, gehörte dieser Titel nun uns - nach dieser Vorgeschichte 2012.

Mein Glaube an meine Mannschaft, meine Überzeugung, dass wir dieses Finale gewinnen würden, wurden bestätigt. Wir hatten alles investiert, um einen großartigen Gegner zu bezwingen. Von diesem Finale gegen Dortmund habe ich seither allerdings nur Ausschnitte gesehen.

Bayerns "Finale Dahoam"

Solche Siege und triumphe bescheren einem Spieler wie dem Trainer selbstverständlich sagenhafte Momente des Glücks. Ich hatte solche Augenblicke schon mit Real Madrid beim Champions-League-Sieg 1998 erleben dürfen, besonders aber bei meiner ersten Deutschen Meisterschaft mit Borussia Mönchengladbach, die in meiner Vita ganz oben steht.

"Auf diese Spieler war immer Verlass"

Jupp Heynckes nach dem Pokalsieg gegen den VfB Stuttgart

Jupp Heynckes nach dem Pokalsieg gegen den VfB Stuttgart. imago images/Sven Simon

Nach dem Erfolg in London, wo mir das Tänzchen mit Basti Schweinsteiger bei der Siegesparty in Erinnerung blieb, war aber noch das Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart zu meistern, um das Triple perfekt zu machen. Als die Spieler mich, nachdem dieser Triumph wahr geworden war, im Berliner Olympiastadion in die Luft warfen, überfielen mich nur Bedenken, dass sie mich irgendwann nicht mehr auffangen würden. Doch auf diese Jungs war immer Verlass. Sie waren der lebende und wieder einmal erbrachte Beweis, dass im Fußball die größten Erfolge nur mit innerbetrieblicher Harmonie, Teamwork und Respekt füreinander möglich sind.

Mein seinerzeit proklamiertes Karriereende nach knapp 50 Jahren im Profifußball hatte die optimale Abrundung erfahren. Wie so oft in meinem Leben hatte ich aus der größten Enttäuschung meines Lebens, dem "Finale dahoam", die größte Motivation und Kraft gefiltert.

Dieser Text erschien zuerst in der kicker-Ausgabe Nr. 42 am 22. Mai 2023.

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