Bundesliga

Angelo Stiller im Porträt: Bald-Hoffenheimer mit Bayern-Bruch

Warum das FCB-Talent ablösefrei nach Hoffenheim wechselt

Erfolgsstory mit Bayern-Bruch: Angelo Stiller im Porträt

Will in der kommenden Saison unter Sebastian Hoeneß in der Bundesliga durchstarten - wie einst bei Bayern II.

Will in der kommenden Saison unter Sebastian Hoeneß in der Bundesliga durchstarten - wie einst bei Bayern II. picture alliance/imago images

Neulich, freitagabends im Grünwalder Stadion. Das Derby zwischen Türkgücü und der "Zweiten" des FC Bayern verläuft zäh, das 0:0 ist die logische Konsequenz. Einer sticht dennoch heraus: Angelo Stiller lenkt und ordnet das Bayern-Spiel mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit für einen 19-Jährigen. Im Sommer beendet er die Lehr- und Gesellenzeit beim FC Bayern, seinen Meisterbrief will Stiller unter seinem Förderer Sebastian Hoeneß bei der TSG Hoffenheim erwerben.

Für den FC Bayern ist es, gelinde gesagt, suboptimal, ein elf Jahre lang ausgebildetes Eigengewächs ablösefrei ziehen lassen zu müssen. Für Talente wie Stiller wurde der Campus gebaut, er hätte der erste waschechte Profi-Bayer seit Thomas Müller aus dem eigenen Nachwuchs werden können.

Stillers Übergangsgespräche: "Bedenken hatte ich eigentlich nie"

Als Neunjähriger wechselt Stiller 2010 vom TSV Milbertshofen zum FC Bayern. Ein Jahr zuvor, so erzählt er, habe er noch abgesagt, wollte bei seinen Freunden bleiben. "Irgendwann habe ich mir gedacht, diese Chance kommt vielleicht nur einmal, die sollte man nutzen", erinnert sich Stiller an den Wechsel an die Säbener Straße, an Staus im Berufsverkehr durch die Stadt und Lernen im Auto. Papa Matthias und Mutter Irena unterstützen ihren talentierten Sohn, der zunächst im offensiven Mittelfeld aufläuft.

Wer es durch die komplette Bayern-Jugend bis in den Herrenbereich schafft, der muss gut sein. "Ich hatte das Glück, dass ich immer gespielt habe und bin daher entspannt in die Übergangsgespräche gegangen, Bedenken hatte ich eigentlich nie", sagt Stiller und zählt Peter Wenninger, Danny Schwarz, Holger Seitz und Sebastian Hoeneß als seine größten Förderer auf.

Zunächst gegen seine Vorliebe wird Stiller auf die Sechs "zurückversetzt"

Nicht zu vergessen Harald Cerny, der Stiller in der U 14 auf die Sechserposition "zurückversetzt", zunächst gegen dessen Vorliebe. "Rückblickend war es eine super Entscheidung", sagt Stiller. Für einen Zehner sei ihm die Torgefährlichkeit abgegangen. "Dafür kann ich das Spiel sehr gut lesen, bin ruhig am Ball und spiele Pässe sehr gerne in das letzte Drittel, in die Schnittstelle." Auch das Führungsspieler-Gen stecke in ihm.

Der Campus ist für den Milbertshofener nur fünf Minuten entfernt, ideale Voraussetzungen. Nach dem Realschulabschluss bricht Stiller den Abitur-Versuch ab, zeitlich sei das nicht mehr stemmbar gewesen. Schließlich deutet sich spätestens in der U 19 an, dass die Profikarriere Realität werden könnte. Die Saison 2019/20 bringt den Durchbruch. Stiller beginnt sie in der A-Jugend, er steuert in der Youth League einige Assists bei und trainiert im Dezember bei der U 23 mit. Hoeneß, der als ehemaliger U-19-Trainer die Vorzüge Stillers kennt, zieht diesen in der Wintervorbereitung endgültig nach oben. Eine weise Entscheidung.

Spätestens im Oktober merkt Stiller, dass mit ihm nicht so recht geplant wird

Mit dem voll überzeugenden Stiller in zentraler Position starten die "kleinen" Bayern vor und nach dem ersten Lockdown bis zur Drittligameisterschaft durch. "Für junge Spieler gibt es nichts Besseres als die 3. Liga", findet Stiller. Zwar spielten nicht alle Mannschaften einen gepflegten Fußball, für das körperliche Durchsetzungsvermögen sei es jedoch eine gute Schule.

Aus Sicht des FC Bayern hat die Ausbildungs-Erfolgsstory an dieser Stelle ihren Bruch. Logisch wäre die behutsame Integration in den Profikader, doch dazu kommt es nie. Zwar bilanziert Stiller in der aktuellen Saison drei Kurzeinsätze bei Hansi Flick - zwei in der Champions League nach erfolgreicher Achtelfinal-Qualifikation, einen in der 1. DFB-Pokal-Runde -, doch richtig geplant wird mit dem Eigengewächs oben nicht.

Das merken Stiller, Papa Matthias und Berater Christian Nerlinger spätestens Anfang Oktober vergangenen Jahres, als der Rekordmeister den Spanier Marc Roca und den Portugiesen Tiago Dantas für Stillers Position verpflichtet. Dantas stand in seinen Einsätzen für die 2. Mannschaft im Schatten Stillers, aktuell spielt er keine Rolle. In Stillers Fall trifft das alte Sprichwort zu, wonach der Prophet im eigenen Lande nichts zählt.

Stiller wählt eher Hummels' statt Müllers Weg

Zwar liegt ihm im alten Jahr ein unterschriftsreifer Vertrag vor, doch Stiller spürt, dass er in Flicks Plänen keine größere Rolle spielt. Also wählt er die für ihn bessere Option Hoffenheim, zu verlockend ist die Aussicht, unter Förderer Hoeneß die Herausforderung Bundesliga anzugehen. Als gescheitert sieht sich Stiller bei Bayern zu Recht nicht, böse Worte kommen ihm ebenfalls nicht über die Lippen.

Er geht nicht Müllers Weg, eher den von Mats Hummels, der einst aus der Bayern-Jugend Richtung Dortmund, Ruhm und Weltkarriere zog. An die Zukunft ab Sommer hat Stiller bislang noch keine großen Gedanken verschwendet, im Augenblick zählt für ihn nur der Klassenerhalt in der 3. Liga, so frühzeitig wie möglich. Die Gegenwart heißt Uerdingen und Zwickau, die Zukunft FC Bayern - zweimal pro Saison als Gegner.

Frank Linkesch