Handball

Handball: Wie ich zu vier Länderspielen für Neuseeland kam

Georg Vögele von der HSG Langenargen-Tettnang

Eine andere Welt: Wie ich zu vier Länderspielen für Neuseeland kam

Plötzlich ein Teil der neuseeländischen Nationalmannschaft: Georg Vögele.

Plötzlich ein Teil der neuseeländischen Nationalmannschaft: Georg Vögele. privat (2)

Es ist schon lange her, sehr lange. Ziemlich genau 20 Jahre, im Juni 2004.

Ein Praxissemester während meines Maschinenbaustudiums war Pflicht und so beschloss ich damals, um meine Englisch-Kenntnisse aufzubessern, mich in einem englischsprachigen Land zu bewerben. Und wie es der Zufall so wollte, wurde ich bei einer Firma am anderen Ende der Welt, in Auckland, Neuseeland angenommen. Ein spannendes und erlebnisreiches Abenteuer in vielerlei Hinsicht begann.

Und so war ich dann 2004, als junger Student und Handballspieler mit Anfang 20, für ein Praxissemester in Neuseeland. Im Februar 2004 ging es mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau mit dem Flieger voller Vorfreude und mit Hallenschuhen im Gepäck von Frankfurt über Bangkok und Sydney nach Auckland. Nach über 32 Stunden Holzklasse, kahlen Flughäfen mit unbequemen Bänken, Hühnchengerichten in sämtlichen Variationen (ohne hier konkret die Fluggesellschaft nennen zu wollen) und wenig Schlaf plus Jetlag sind wir dann endlich angekommen.

Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase begann der Alltag schnell Fahrt aufzunehmen und so war auch schnell klar, dass eine sportliche Aktivität zum Alltagsleben dazugehört. Aber Handball in Neuseeland? Handball war in Neuseeland, im Vergleich zu Rugby oder Cricket, den Nationalsportarten, nicht groß. Die Sportart kannte fast keiner.

Nur zwei gemischte Teams in ganz Neuseeland

Damals gab es in Neuseeland genau zwei Handballvereine - mit jeweils einer gemischten Mannschaft. Ein Team auf der Nord- und das andere auf der Südinsel, was unsere Recherche ergeben hatte.

Wir nahmen zu den Verantwortlichen des Nordteams Kontakt auf. Was wir jedoch zu hören bekamen, war etwas befremdlich und so ganz anders, als wir es von Deutschland gewohnt waren. Einmal die Woche Training, ohne offiziellen Trainer und für die wöchentliche Trainingsteilnahme musste man eine Teilnahmegebühr für die Hallenmiete bezahlen.

Unsere Devise: "Lieber eine kleine Gebühr und Handball - als allein Joggen gehen." Und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Wöchentlich trafen sich Einheimische - die Kiwis - und Handballbegeisterte aller Herrenländer jeden Alters und Geschlechts zum gemeinsamen Training. Dadurch fanden wir schnell Anschluss und Freundschaften entstanden, denn Sport verbindet.

Freie Plätze in der Nationalmannschaft

Im Mai 2004 wurden dann Nationalspieler für das anstehende WM-Qualifikationsturnier in Sydney, Australien gesucht. Offiziell gab es wohl schon ein paar wenige Funktionäre und Offizielle des neuseeländischen Handballverbandes, die hier aktiv wurden.

In beiden neuseeländischen Mannschaften der Nord- und Südinsel gab es zwar genug Neuseeländer, um für das bevorstehende Turnier spielfähig zu sein, im Kader selbst waren jedoch noch Plätze frei. Kurzerhand wurden wir Europäer von den Kiwis gefragt, ob wir nicht Lust hätten, die freien Plätze aufzufüllen und mit nach Sydney zu kommen. Überlegen musste ich damals nicht lange: Was für eine einmalige Gelegenheit und großartige Chance, neue Erfahrungen zu sammeln!

Im Juni 2004 nahm die neuseeländische Nationalmannschaft am WM-Qualifikationsturnier für die 19. Handball-Weltmeisterschaft der Männer 2005 in Tunesien - inklusive Pazifik-Cup - vom 7. bis 13. Juni 2004 in Sydney teil.

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In Vorbereitung auf das Turnier gab es für die Teilnehmer der beiden Teams zwei gemeinsame Trainingslager. Auch machte man sich kein Bild, wie das ablief, im Vergleich zu unseren europäischen Standards: Eine Halle musste hierzu ausfindig gemacht werden. In Taupo, ein kleiner Ort in der Mitte der Nordinsel, wurde man für die erste Zusammenkunft fündig.

Hier mussten jedoch die Markierungen des Handballfeldes mit Klebeband zuerst selbst angebracht werden, bevor es losgehen konnte. Akribisch wurde mit vielen Händen ein Handballfeld ausgemessen und abgeklebt. Die Tore waren sehr spartanisch, lediglich eine Schweißkonstruktion. Aber irgendwie ging es - und es hat sehr viel Spaß gemacht.

Im Stile der "All Blacks" - aber Flug nach Sydney aus eigener Tasche

In der ASB-Halle in Wellington, Neuseelands Hauptstadt im Süden der Nordinsel, fand wenig später, gut zwei Wochen vor dem Turnier, ein weiteres Trainingslager zur finalen Vorbereitung und Abstimmung statt. Alle Spieler bekamen ein schwarzes Trainingstop mit dem für die neuseeländischen Nationalmannschaften aller Sportarten üblichen Farn drauf. Wie die "All Blacks", das vermutlich bekannteste Rugby Nationalteam der Welt. Wir alle waren mächtig stolz darauf.

Anfang Juni war es dann so weit. Auf nach Sydney, der Olympiapark wartete auf uns. Im Jahr 2000 fanden dort die Olympischen Sommerspiele satt. Auf diesem Gelände und in der Olympia-Halle durften nun wir spielen. Wahnsinn.

Wir mussten den Flug nach Sydney übrigens selbst bezahlen, auch weil der neuseeländische Handballverband kein reicher ist. Das war uns allen jedoch völlig egal. Wenigstens die Unterkunft im Hotel wurde vom neuseeländischen Verband für alle Spieler übernommen.

Zu den Spielen wurden wir mit einem vom Veranstalter organisierten kleinen Shuttlebus am Hotel abgeholt und anschließend wieder zurückgefahren. Einmal reichte die Zeit für eine kleine Spritztour mit dem Bus durch das olympische Dorf.

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Für rund zehn Tage war der Olympiapark in Sydney nun unsere neue Heimat. Es war einfach ein großartiges und einmaliges Erlebnis. Das Hotel wurde mit den Nationalmannschaften aus Tahiti und Neukaledonien, die zudem Gegner im Turnier waren, geteilt. Hier gab es an spielfreien Tagen tagsüber und abends sehr viele schöne Begegnungen und prägende Erlebnisse mit den Südseeinsulanern und deren anderer Kultur.

Die offene, freundliche Art der Inselvölker hat uns alle schwer beeindruckt. Es wurden Freundschaften geschlossen. Wenn ein Inselbewohner seine Insel für eine Reise verlässt, soll er neue Freunde finden. Mit dieser Botschaft wurden zum Beispiel die Spieler aus Tahiti von ihren Familien verabschiedet und gaben ihnen Holzschmuck, Muschel-, Haifischzahnketten und weitere Geschenke für die "neuen Freunde" mit. Vieles davon bewahre ich heute noch wie einen Schatz zu Hause auf, weil es einfach einen sehr hohen ideellen Wert hat und mit schönen Erinnerungen verbunden ist.

Neukaledonier schicken ihre Rugbyspieler

Die Neuseeländer präsentieren ihre Form des "Haka"

Weg mit den Trikots: Die Neuseeländer präsentieren ihre Form des "Haka". privat

Die Neukaledonier waren fast alle Rugbyspieler. Sie lernten Handball und dessen Regeln erst nach Ankunft auf dem Hotel-Parkplatz. Später hatten wir erfahren, dass Wochen vorher junge, sportliche Männer (meist eben Rugbyspieler) angesprochen wurden, ob sie nicht für ihr Heimatland Nationalspieler sein wollten. Am Ende war es auch das Team mit den meisten Verletzten. Bei der Nationalmannschaft von Cook Island war es ähnlich.

Andere Länder, andere Sitten und vor allem andere Kulturen. Daher mussten wir Europäer nachts im Hotel den sogenannten "Haka", ein maorischer Kriegstanz, welcher vor Wettkämpfen aufgeführt wird und hierzulande sicherlich vom Rugby ein Begriff ist, lernen. Da es für Neuseeland und die Kultur sehr wichtig ist, wurde der "Haka" sehr intensiv und bis zur Perfektion in den engen Hotelzimmern und im Flur einstudiert.

Vor jedem Spiel wurden zuerst die Nationalhymnen der gegeneinander antretenden Nationen gespielt und dann war der "Haka" an der Reihe. Ein derartiger Kriegstanz vor den Spielen wurde nicht nur von Neuseeland, sondern zum Beispiel auch von Tahiti performt, um den Gegner einzuschüchtern. Ein bisschen fremd fühlten wir uns mit unseren weißen, untrainierten Körpern im Vergleich zu den Ureinwohnern der Südseeinseln schon. Ein Zurück gab es aber nicht, mitgehangen, mitgefangen.

Sightseeing statt Training

Leider war der Handball auch in Australien nicht groß. Und nur wenige Zuschauer verirrten sich zu den Spielen in die Olympia-Halle. Was auch zur Folge hatte, dass die Mannschaft einstimmig beschloss, die spielfreien Tage nicht mit Training zu verbringen, obwohl es uns gut getan hätte, sondern mit Sightseeing. Die meisten waren zum ersten Mal in Sydney und wollten lieber die Stadt erkunden, anstatt in der Halle zu schwitzen.

Bei den WM-Qualifikationsspielen war es mir nicht gestattet teilzunehmen, weil ich kein Kiwi war beziehungsweise keinen neuseeländischen Pass besaß. Aber beim Pazifik-Cup durfte ich viermal auflaufen und somit stehen vier Länderspiele für Neuseeland in meiner Vita. Die Frage, ob ich mir dadurch die Türe für die deutsche Nationalmannschaft zugemacht hatte, stellte sich auch aufgrund der Top-Torquote mit 48 Treffern nur kurz - und erübrigte sich später gänzlich, weil sich Heiner Brand leider nie gemeldet hat.

In der Ozeanien-Gruppe setzte sich der Seriensieger Australien souverän durch und qualifizierte sich somit für die WM 2005 in Tunesien. Neuseeland wurde Vierter und verpasste die WM-Teilnahme, da nur ein WM-Platz vergeben wurde, gewann aber den Preis für die fairste Mannschaft des Turniers.

Erinnerungen an Lars Geipel

Referee Lars Geipel (re., mit Kiels Patrick Wiencek)

National wie international genoss er höchsten Respekt: Referee Lars Geipel (re., mit Kiels Patrick Wiencek). imago images

An Lars Geipel, einen der deutschen Schiedsrichter des Turniers, der auch drei meiner vier Spiele mit geleitet hatte, kann ich mich noch gut erinnern. Wir hatten während des Turniers die Nummern ausgetauscht und hatten so noch eine ganze Weile Kontakt. Später dann habe ich ihn auf DSF - dem heutigen Sender Sport1 - wiedergesehen, als er mit seinem Schiedsrichter-Partner einige TV-Spiele leitete.

Die in Sydney entfachte Euphorie wollten die Kiwis mit nach Neuseeland nehmen und ins eigene Land tragen. Unter anderem Frank Stoltenberg, ein Deutscher mit neuseeländischem Pass und damaliger Mannschaftskamerad, war es, der sich nach dem Turnier und in den folgenden Jahren sehr stark für den neuseeländische Handball einsetzte - und ihn durch sehr viel Engagement sowie Eigeninitiative nach vorne brachte.

Alles in allem war die Zeit in Neuseeland ein Riesenerlebnis, der Trip nach Sydney dazu ein einmaliges Ereignis mit unvergesslichen Momenten. Und welcher Amateur-Handballer kann sonst schon von sich behaupten, er habe vier Länderspiele absolviert?

Seit 34 Jahren ununterbrochen aktiv

Georg Vögele (re.)

Jubelpose: Georg Vögele (re.) mit seiner D-Jugend beim Turnier im April in Schwabmünchen - gemeinsam mit 2007er-Weltmeister Dominik Klein (im weißen Shirt). privat

Vom Dorfverein am schönen Bodensee, damals dem TV02 Langenargen, mittlerweile der HSG Langenargen-Tettnang in die Welt gezogen und als viermaliger neuseeländischer Nationalspieler heimgekehrt. Und so bin ich bis heute ein kleiner Teil der Geschichte von Neuseelands Handball-Nationalmannschaft.

Im Alter von neun Jahren bin ich durch einen damaligen Klassenkammeraden zum Handball gekommen. Mittlerweile wurde es ruhiger, aber ich bin immer noch selbst und seit über 34 Jahren ununterbrochen aktiv. Zudem bin ich heute Jugendtrainer und trainiere seit über fünf Jahren meinen jüngsten Sohn. Seit eh und je hat mich diese Sportart nicht mehr losgelassen. Sie ist mein und unser Leben.

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