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Egal, wer es wird: Völlers Kniffe sind wegweisend

Enormer Kraftaufwand für "Rudi Nationale"

Egal, wer es wird: Völlers Kniffe sind wegweisend

Sucht einen Nachfolger, den er am besten briefen sollte: Rudi Völler.

Sucht einen Nachfolger, den er am besten briefen sollte: Rudi Völler. IMAGO/Nico Herbertz

Dynamik - die muss ein Fußballer heutzutage mitbringen, um es aufs allerhöchste Niveau zu schaffen. Dynamik - die spielt allerdings auch abseits des Platzes eine Rolle. Nämlich immer dann, wenn sie ins Rollen kommt und anschließend recht zügig nicht mehr aufzuhalten ist.

Rudi Völler ist lange genug im Fußballgeschäft tätig, um die Dynamiken der Branche zu kennen. Sicherheitshalber hat er bereits vor dem Spiel gegen Frankreich, das er am Dienstagabend als Interims-Bundestrainer betreute, laut und deutlich betont, dass die Rückkehr auf die Trainerbank eine "einmalige Sache" sei.

Der 63-Jährige wusste ja, was da möglicherweise kommen könnte, wenn die Partie erfolgreich verlaufen sollte. Und das tat sie dann ja auch. Deutschland gewann mit 2:1. Die drei Tage zuvor in Wolfsburg noch von den Japanern übel auseinander gespielten DFB-Kicker, rackerten und liefen, als seien sie urplötzlich 30 Kilogramm leichter geworden.

Gassenhauer und gefeierte Grätschen

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Das Publikum in Dortmund nahm es dankbar auf, feierte Grätschen und einfachste Pässe, skandierte "Deutschland, Deutschland" und sang natürlich auch den alten Gassenhauer "Es gibt nur ein Rudi Völler".

Völler also ging lieber auf Nummer sicher und stoppte die losrollende Dynamik nach Spielschluss zügig. Es bleibe dabei, sein Auftritt an der Seite der Assistenten Hannes Wolf und Sandro Wagner, die er explizit lobte, bleibe einmalig.

Ab sofort kümmere er sich in seiner Rolle als Sportdirektor gemeinsam mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und dessen Vize Hans-Joachim Watzke um die Suche nach einem Nachfolger.

Wer sah, wie abgekämpft und verschwitzt Völler aussah, als er seine erneute Absage an eine dauerhafte Anstellung als Bundestrainer aussprach, der konnte das verstehen. Der Kraftaufwand, den Völler betreiben musste in den turbulenten Tagen zwischen der Niederlage gegen Japan am Samstag, der Trennung von Hansi Flick am Sonntag und dem Spiel gegen Frankreich am Dienstag, war enorm. Und für "Rudi Nationale" bei all seiner Liebe für den deutschen Fußball auf Dauer nicht zu stemmen.

Nicht bis zur EM 2024 im eigenen Land. Erst recht nicht darüber hinaus. Andere Lösungen müssen her. Die Namen der Kandidaten - allen voran Julian Nagelsmann, Louis van Gaal und Stefan Kuntz - liegen auf dem Tisch.

Der Fluch der guten Tat

Egal, wer es wird, wenn in den nächsten Tagen oder Wochen weißer Rauch über der DFB-Akademie in Frankfurt aufsteigt, er wird damit leben müssen, dass er ab dem ersten Tag verglichen wird mit jenem Völler, der eine verunsicherte deutsche Elf zu einem Sieg über den Vize-Weltmeister aus Frankreich coachte.

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Es ist der berühmte Fluch der guten Tat, die objektiv allerdings dadurch etwas geschmälert wurde, dass die Franzosen keinesfalls in Bestbesetzung und auch nicht mit finaler Entschlossenheit aufgetreten waren. Objektiv zu bleiben, das fiel jedoch schwer nach diesem Spiel. Zumindest den Fans, die sich ihrer Mannschaft endlich wieder nahe fühlten - und die bei "La Ola" diesmal nicht nur aufstanden, weil man das eben so macht, sondern weil sie in diesem Moment echte Freude empfanden ob der vielen Grätschen, Sprints und Zweikämpfe ihrer zuletzt so enttäuschenden Lieblinge.

"Einfach, weil’s wichtig ist" - dieser Slogan stand auf der Werbebande direkt an der deutschen Trainerbank. Es war das Motto des Abends, zumindest aus deutscher Sicht. Völler, Wolf und Wagner hatten dem DFB-Team defensive Stabilität verordnet und dazu Mittel angewendet, die im Fußball seit Jahr und Tag funktionieren: Offensiv agierte die Mannschaft im 4-2-3-1, gegen den Ball mit zwei kompakt stehenden Viererketten.

Nur die Nationalspieler standen in der Verantwortung - und nahmen sie an

In Jonathan Tah spielte ein Innenverteidiger auf der rechten Seite, um dort als menschliches Stoppschild für all die flinken Franzosen zu agieren, die ihm entgegenpreschten. Im Zentrum räumte Emre Can ab. Doch bemerkenswert war vor allem, wie engagiert auch die Offensivkräfte defensiv mitarbeiten, wie sie verlorenen Bällen nachsetzten und teils tief in der eigenen Hälfte in den Bodenkampf gingen.

Das Interims-Trio auf der Trainerbank, das sich während des Spiels merklich zurückhielt, hatte Basics angemahnt. Und die Spieler hatten verstanden, dass ihnen durch die Flick-Entlassung jedes Alibi verloren gegangen war. Sie standen in der Verantwortung - und nahmen sie überzeugend an. Welch ein Unterschied zu den oft bleischweren Auftritten der vergangenen Monate.

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Noch neun Monate bis zur Heim-EM

Ein Dreivierteljahr bleibt nun noch, um die deutsche Mannschaft in eine Verfassung zu bringen, die konkurrenzfähig ist bei der Heim-EM. Was vor dem Dienstag-Spiel noch wie die Quadratur des Kreises erschien, scheint nur 90 Fußball-Minuten später gar nicht mehr so undenkbar.

Der erste Schritt dorthin jedenfalls wurde gegen Frankreich beschritten. Weitere werden folgen müssen. Auch ohne Völler auf der Bank. Sein Nachfolger allerdings sollte sich dringend von ihm einweihen lassen in diese Tage von Wolfsburg und Dortmund - und an Völlers Kniffen orientieren.

Matthias Dersch

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