Bundesliga

Die Eintracht befindet sich an einem gefährlichen Kipppunkt

Frankfurt: Kann der Aufsichtsrat Hellmann vom Verbleib überzeugen?

Die Eintracht befindet sich an einem gefährlichen Kipppunkt

Sind in ihren jeweiligen Funktionen gefordert: Eintracht-Coach Oliver Glasner und Vorstandssprecher Axel Hellmann.

Sind in ihren jeweiligen Funktionen gefordert: Eintracht-Coach Oliver Glasner und Vorstandssprecher Axel Hellmann. imago images

Über dem Waldstadion ziehen immer dunklere Wolken auf. Der in der Winterpause als Ziel proklamierte abermalige Einzug in die Champions League ist angesichts von fünf Punkten Rückstand auf die Plätze drei und vier zwar weiterhin möglich, die Leistungen im Jahr 2023 und der jüngste Trend sprechen jedoch gegen die Hessen. In der Rückrundentabelle belegt Frankfurt lediglich den neunten Platz. Insofern ist das schwindende Selbstvertrauen der Spieler keine Überraschung, auch wenn Trainer Oliver Glasner das anders  sieht. Selbstbewusstsein kann man primär aus guten Leistungen ziehen, doch ein überzeugendes Spiel über 90 Minuten hat die Mannschaft in diesem Kalenderjahr noch nicht gezeigt - aus verschiedenen Gründen. Die Leichtigkeit ging Stück für Stück verloren, beim enttäuschenden 1:1 gegen Stuttgart wirkte das Team plan- und ideenlos. Kaum ein Profi erreicht aktuell seine Normalform.

Die Vorzeichen könnten also kaum schlechter sein, um am Mittwoch im Champions-League-Achtelfinale in Neapel das 0:2 aus dem Hinspiel noch zu drehen. Auch historisch betrachtet ist das ein beinahe unmögliches Unterfangen. Erst ein einziges Mal gelang es einem Team in der Königsklasse, einen Zwei-Tore-Rückstand auswärts aufzuholen und weiterzukommen. Manchester United gewann 2018/19 nach einem 0:2 gegen PSG in Paris mit 3:1. Deutsche Mannschaften schafften dieses Kunststück lediglich zweimal im UEFA-Cup: Bayern München 1988/89 im Achtelfinale gegen Inter Mailand (0:2; 3:1), der VfB Stuttgart 1998/99 in der 1. Runde gegen Feynoord Rotterdam (1:3; 3:0). Überhaupt bedeutet es in der Champions League das fast sichere Aus, wenn ein Klub im Hinspiel zu Hause verliert. Von den 91 Mannschaften, die in der K.-o.-Phase bisher das Hinspiel im eigenen Stadion verloren haben, kamen nur fünf weiter.

Eine kleine Chance könnte darin bestehen, dass Frankfurt in der Champions League nichts mehr zu verlieren hat. Das Ziel wurde mit dem Einzug ins Achtelfinale bereits erreicht, ein Aus gegen den italienischen Spitzenreiter würde der Mannschaft keiner verübeln. Im Grunde kann die Eintracht befreit aufspielen. Wenn jeder an seinem Leistungsmaximum performt, wird Frankfurt auch zu Torchancen kommen. Sollte es gelingen, irgendwie in Führung zu gehen, käme noch einmal Spannung auf.

Leider muss das Team ohne die Unterstützung seiner Fans auskommen. Die regelrecht feindliche Haltung der italienischen Behörden, aber auch der SSC Neapel, ist ein Skandal und wirft ein äußerst düsteres Bild auf den Umgang mit Fußballfans in Italien. Die Entscheidung der Verantwortlichen, nun komplett auf das Gästekontingent zu verzichten, um die Anhänger vor behördlicher Willkür zu schützen, ist nachvollziehbar. Doch nicht alle Anhänger blasen ihre Reisepläne ab. Manche reisen trotz aller Widrigkeiten nach Neapel, im Flieger nach Rom blitzten bereits am Montagmorgen mehrere Eintracht-Adler auf. Der kicker sprach mit einigen Anhängern, die angesichts der Lage aber auf die Weiterfahrt nach Neapel verzichten und sich lieber ein paar schöne Tage in Rom machen.

Vielleicht gelingt es Glasner nach all dem Ärger, eine Jetzt-erst-recht-Mentalität bei seinen Spielern zu erzeugen. Bei der Kinopremiere des Films über den Europa-League-Sieg („In diesem Jahr“) bekamen die Profis am vergangenen Mittwoch in emotionalen 120 Minuten noch einmal vor Augen geführt, was alles möglich ist, wenn der Zusammenhalt groß ist und jeder an seine Grenze geht.

In der vergangenen Spielzeit belegte die Eintracht Rückrundentabelle Platz 15

Das wichtigere Duell in dieser Woche findet indes wahrscheinlich am Sonntag an der Alten Försterei statt. Bei Union Berlin wartet auf die Eintracht das nächste komplizierte Auswärtsspiel. Die SGE ist gefordert, schnellstmöglich die Trendwende zu schaffen, um die Saison nicht in den Sand zu setzen. Schon die Conference League wäre eine Enttäuschung, die das Halten von Leistungsträgern erschweren würde. In der vergangenen Spielzeit rettete der Europa-League-Triumph die Saison, denn in der Liga stürzte Frankfurt ab, belegte in der Rückrundentabelle lediglich Platz 15.

Hellmann sollte vom Verbleib überzeugt werden

Auch auf anderer Ebene muss der Klub auf der Hut sein. Vorstandssprecher Axel Hellmann zieht einen Abschied zur DFL in Erwägung. Dort führt er seit der Trennung von Donata Hopfen Ende 2022 parallel zu seiner Arbeit bei der Eintracht gemeinsam mit Freiburgs Vorstand Oliver Leki interimistisch die Geschäfte. Befristet ist diese Aufgabe bis zum 30. Juni 2023. Wird Hellmann danach der neue Boss bei der DFL? Das Verhältnis zwischen Frankfurts Aufsichtsratsboss Philip Holzer und Hellmann ist jedenfalls schon länger angespannt, ein Abschied des Vorstands wäre inzwischen keine Überraschung mehr und würde den Klub schwer treffen. Holzer sollte alles daransetzen, den tief mit der Eintracht verwurzelten Hellmann vom Verbleib zu überzeugen. Ein Gespräch zwischen beiden wird zeitnah stattfinden.

So turbulent es in diesen Tagen rund um die Eintracht zugeht, so schnell könnte auch wieder Ruhe einkehren. Die Voraussetzungen: ein Bekenntnis von Hellmann zur Eintracht und die sportliche Trendwende in der Liga. 

Julian Franzke

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