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Der Star ist Buffon

Italien: Barella trainiert zum Auftakt in Iserlohn nur individuell

Der Star ist Buffon

War nach Italiens Ankunft in Iserlohn ein gefragter Mann: Torhüter-Legende Gianluigi Buffon.

War nach Italiens Ankunft in Iserlohn ein gefragter Mann: Torhüter-Legende Gianluigi Buffon. picture alliance/dpa

Das weiß Zarrella selbst nicht so genau. Vor dem öffentlichen Training der italienischen Nationalmannschaft im Iserlohner Hemberg-Stadion sagt der 46-Jährige nur: "Wenn wir die Vorrunde überstehen, können wir allen gefährlich werden."

Das Stadion ist pickepackevoll, als Zarrella im sandbraunen Anzug den Zuschauern vor Haupt- und Gegentribüne einheizt. Vier Tänzer umrahmen ihn, zwei Männer, zwei Frauen, schwungvoll choreographiert. Auf "Fantastico" reimt sich "bombastico", mit dem Entertainer fahren die "Glücksgefühle Achterbahn", wie seine Plattenfirma versichert. Bis es ihm die Fußballer Italiens gleichtun, immerhin amtierender Europameister, ist es ein weiter und womöglich steiniger Weg. "Wir müssen irgendwie versuchen, den Titel zu verteidigen", sagt der Künstler. Zarrella, der in Iserlohn als "größter Botschafter italienischen Lebensgefühls" angekündigt wird, setzt auf die Kunst von Luciano Spalletti. Der Star dieser Mannschaft sei der Trainer.

Bürgermeister: "Eine Riesenchance" für Iserlohn

"Spalletti hatte überall Erfolg", beteuert Vincenzo Magistro. Mit seiner Frau Annamaria und Söhnchen Giovanni (4) ist er aus Braunschweig angereist. Drei Stunden Fahrt hin, drei Stunden zurück, ein schöner Ritt. Magistro ist Fan von Juventus Turin, in Deutschland geboren, sein Geld verdient er bei VW in Wolfsburg. Im Hemberg-Stadion sitzt er in Block A, erste Reihe, natürlich trägt er das azurblaue Trikot der Squadra, als er dem ersten offiziellen Training der Nationalmannschaft zuschaut. Dass Spalletti Altstars wie Ciro Immobile oder Leonardo Bonucci entpflichtet hat, findet seinen Beifall: "Ich finde es gut, dass er auf jüngere Spieler setzt." Jetzt muss sich diese neue Formation nur noch finden - und unbedingt am Samstag in Dortmund Albanien schlagen.

EM 2024

Für Iserlohn hat schon mit der Ankunft der Italiener am Montagabend ein "XXL-Sommerfest" begonnen, wie Bürgermeister Michael Joithe freudig angemerkt hat. 400 Fans empfingen den Titelverteidiger mit "Forza Italia"-Rufen und Konfetti-Kanonen am Teamhotel "Vierjahreszeiten Seilersee". Mit einem großen Satz ist die knapp 93.000 Einwohner zählende Stadt auf die Fußball-Landkarte gesprungen. "Am Anfang war es eine Vision. Dann ein Traum. Jetzt ist es Realität. Das ist für uns eine Riesenchance", jubelt Joithe, "in Italien weiß jetzt jeder, dass es Iserlohn gibt."

Ärger über Internet-Verkauf von Eintrittskarten

Die größte Stadt des Märkischen Kreises und des Sauerlandes hat die für 2027 vorgesehene Renovierung des fast 50 Jahre alten Hemberg-Stadions mitsamt seines rumpeligen Untergrunds vorgezogen und 390.000 Euro in die Hand genommen, um den Italienern Top-Bedingungen zu liefern. Allein der von einer niederländischen Spezialfirma verlegte Rasen verschlang 220.000 €. Ein Drittel der Fläche musste auf den letzten Drücker noch einmal ausgetauscht werden. Deshalb schwitzten die Iserlohner Gastgeber "Blut und Wasser", wie ihr Bürgermeister gestand: "Es war eine Punktlandung." Demnächst wird der FC Iserlohn seine Heimspiele auf dem mit Abstand gepflegtesten Grün der Westfalenliga (6. Liga) austragen können. Auf einem Teppich, wie ihn die Niederländer vorher schon in München, Mailand und Paris ausrollten.

4000 Tifosi pilgern am späten Dienstagnachmittag zum öffentlichen Training, mehr als dreimal so viel bewarben sich um ein Ticket. "Das Interesse war einfach unglaublich", schwärmt Joithe. Dass schon bald nach der Verlosung kostenlose Eintrittskarten auf Internet-Plattformen zum Verkauf angeboten wurden, empörte die Verantwortlichen. "Sich auf diese Art und Weise bereichern zu wollen, ist eine Frechheit", grollte Christian Kißmer, bei dem als EM-Projektleiter der Stadt Iserlohn alle organisatorischen Fäden zusammenlaufen.

Legende Buffon erhält den größten Beifall

Punkt 16.30 Uhr betritt Trainer Spalletti den Iserlohner Rasen, den meisten Beifall erhält wenig später Delegationsleiter Gianluigi "Gigi" Buffon, der in seinem ersten Leben als Torwart-Legende und 175-maliger Nationalspieler der Squadra und als Weltmeister von 2006 eine außergewöhnliche Berühmtheit erlangte. Der Star ist der Trainer? Zumindest in Iserlohn hat es den Anschein, als sei Buffon der Liebling der Fans. Er wird mit Sprechchören gefeiert, winkt artig ins Publikum und überlässt dann jenen die Aufmerksamkeit, auf die es in den nächsten Wochen ankommen wird. Italiens Auserwählte beginnen ihr Programm: mit einer Ehrenrunde im Spaziergänger-Tempo, Dauer fünf Minuten.

Spalletti trägt eine weiße, an den Seiten blau abgesetzte Jacke, er vergräbt die Hände in den Taschen seines Anoraks und schreitet mit langsamen Schritten über den Platz. Entspannt lehnt er am Pfosten eines Tores, als seine Auserwählten "11 gegen 11" auf der halben Spielfläche das erste Mal intensiver beansprucht werden. Spalletti spricht von einem "Jugendtraum, Italien zu einem Turnier zu führen". Gleichzeitig kämpft der als System-Tüftler bekannte Toskaner gegen Vorbehalte und Bedenken der Öffentlichkeit. Es sei "unmöglich, nicht etwas besorgt zu sein", formulierte die Tageszeitung Gazzetta dello Sport nach dem trostlosen 0:0 im vorletzten Test gegen die Türkei.

Titelverteidiger wirbt um Zuneigung der Fans

Das eher unspektakuläre 1:0 bei der Generalprobe gegen Bosnien-Herzegowina am Sonntagabend hat keinen dramatischen Stimmungsumschwung ausgelöst. Längst setzt Jannik Sinner, der neue Weltranglisten-Erste im Tennis, die Maßstäbe in Sachen Beliebtheit, während Italiens Fußballer nach der verpassten WM noch um die Zuneigung der Fans werben. Daran ändert auch das beachtliche Abschneiden ihrer Klubs in den europäischen Wettbewerben nichts: Inter Mailand (2023, Champions League), AS Rom (2023, Europa League) und AC Florenz (2023 und 2024, Conference League) erreichten immerhin die Endspiele - die Pressingmaschinen von Atalanta Bergamo gewannen ihres sogar, und wie sie das ausgerechnet gegen die bis dahin als unschlagbar geltenden Leverkusener bewerkstelligten, war brillant.

Gut 75 Minuten dauert dieses erste offizielle Training, an dem Nicolo Barella (Inter Mailand) nicht teilnehmen kann. Oberschenkelprobleme. Barella trainiert nur individuell.

Thomas Hennecke