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Der finale Akt? Streit bei Hannover 96 geht in die nächste Runde

BGH verhandelt am 4. Juni über Kinds Abberufung

Der finale Akt? Streit bei Hannover 96 geht in die nächste Runde

Urteilt auch der BGH zu seinen Gunsten? Martin Kind klagt gegen seine Abberufung als 96-Geschäftsführer.

Urteilt auch der BGH zu seinen Gunsten? Martin Kind klagt gegen seine Abberufung als 96-Geschäftsführer. IMAGO/Maximilian Koch

Rund um Martin Kinds 80. Geburtstag vor gut vier Wochen ließ womöglich auch mancher seiner Kritiker vorschnell die Korken knallen. Schließlich erklärte der Jubilar: "Ich weiß, dass ich aufhören muss und will." Also ganz im Sinne jener Parole, die seit Jahren durch die Arena schallt und auf Transparenten zu lesen ist: "Kind muss weg"?

Mitnichten! Faktisch stößt die populäre Forderung bei dem hartleibigen Hörgeräte-Mogul weiterhin auf taube Ohren. Kinds Argumentation: Solange als Geschäftsführer der Hannover 96 Management GmbH und Co. KG auf Aktien kein geeigneter Nachfolger gefunden sei, könne er sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

"96-Vertrag" sorgt für Patt im Aufsichtsrat

Zuständig für die Bestellung der Geschäftsführung ist der vierköpfige Aufsichtsrat besagter Management GmbH. In diesem Gremium wiederum ergibt sich ein festgeschriebenes Patt zwischen je zwei Vertretern des Muttervereins Hannover 96 e. V. sowie der viel zitierten "Kapitalseite". Genauer: Der Hannover 96 Sales und Service GmbH & Co. KG. Bei dieser firmiert Martin Kind ebenfalls als Geschäftsführer - und zudem als Anteilseigner, genau wie zwei weitere regional verwurzelte Unternehmer: Dirk Rossmann und Gregor Baum.

Streit bei Hannover 96

Verankert ist dieses Konstrukt im 2019 unter notarieller Aufsicht geschlossenen "Hannover-96-Vertrag", wohlgemerkt von e.-V.-Seite damals als "Konsensmodell" (Aufsichtsratschef Ralf Nestler) gefeiert. Vereinspräsident Sebastian Kramer schwärmte bei der Vorstellung: "Alle Beteiligten sind ihrer Verantwortung für Hannover 96 gerecht geworden."

Heute erkennen Nestler und Kramer, jeweils vom Mutterverein in den Aufsichtsrat entsandt: Die Realität ist komplizierter. Dabei waren Sinn und Zweck des 96-Vertrags von Anfang an keineswegs undurchschaubar: Solange die Vertreter der Kapitalseite hinter ihm stehen, ist Kind als Geschäftsführer der Management GmbH - vulgo: als Profi-Boss - nicht loszuwerden.

Kind entspannt: "50:50-Aussicht"

Dass es der Mutterverein, Alleingesellschafter der Management GmbH, dennoch versucht, beschäftigt nun seit fast zwei Jahren die Gerichte. Am Dienstag, 4. Juni, sogar in höchster Instanz den Bundesgerichtshof. Wird die mündliche Verhandlung in Karlsruhe zum finalen Akt und besiegelt nach mehr als einem Vierteljahrhundert Kinds Aus als 96-Chef?

Er wolle das "einfach entspannt abwarten", sagt der Betroffene selbst, "solange eine Klage zugelassen ist, bleibt eine 50:50-Aussicht, wie das Urteil ausfällt". Die Gegenseite wirkt deutlich optimistischer. Denn: Eine Nichtzulassungsbeschwerde, wie sie der Mutterverein beim BGH eingelegt hat, mündet nur äußerst selten überhaupt in eine neue Verhandlung.

Ist dieser Status aber erst einmal erreicht, wird in rund 90 Prozent der Fälle inhaltlich für das Anliegen des Beschwerdeführers entschieden. Hieße konkret: für Kinds Abberufung.

Dreistellige Zahl an vorgeworfenen Weisungsverstößen

Zur gegenteiligen Ansicht kam bislang das Oberlandesgericht Celle, das im April 2023 das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hannover bestätigte und keine Revision zum BGH zulassen wollte. Demnach war die durch den Mutterverein im Juli 2022 verkündete Abberufung Kinds unwirksam. Diese unterliege, wie per Satzung fixiert, allein der Entscheidungsgewalt des Aufsichtsrats. Und laut 96-Vertrag darf die Satzung nicht ohne Zustimmung der Sales & Service GmbH geändert werden.

Unterdessen beruft sich der e.-V.-Vorstand auf einen "punktuell satzungsdurchbrechenden" Beschluss aus wichtigem Grund. Solche Satzungsdurchbrechungen sind qua Unternehmensrecht grundsätzlich zulässig, aber anfechtbar. Und unterliegen im Zweifel einer Einzelfallbetrachtung.

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Ob eine derart gravierende Entscheidung wie die Abberufung des Geschäftsführers satzungsdurchbrechend unter Umgehung des Aufsichtsrats getroffen werden darf, bleibt die Frage. Für deren Beantwortung könnte es auf eine juristische Gewichtung von Kinds Weisungsverstößen als Geschäftsführer ankommen, die ihm vom Mutterverein in dreistelliger Zahl angelastet werden.

Verpflichtung Leitls ohne Rücksprache mit e.V.

Kinds umstrittene Abstimmung im Rahmen des DFL-Investorenprozesses im Dezember bildet das wohl prominenteste Beispiel - Beweisführung nicht möglich. Daran, dass überhaupt Verstöße begangen wurden, kann es jedoch keinen vernünftigen Zweifel geben.

So bedarf es bei 96 für Verträge von Angestellten mit einem Jahresgehalt von mehr als 100.000 Euro (Profispieler ausgenommen) der Zustimmung durch den Mutterverein. Die Verpflichtung von Trainer Stefan Leitl im Sommer 2022 zog Kind indes ebenso ohne Rücksprache durch wie die Verlängerung mit Sportdirektor Marcus Mann einige Monate später.

Doch liefern solche oder andere Beispiele wirklich eine Grundlage für Kinds nicht satzungskonforme Amtsenthebung? Oder hätte der e. V. nicht vielmehr nur im Einzelfall gegen die ohne seine Genehmigung geschlossenen Verträge vorgehen können? Und darf sich, da dies nicht geschah, Kind nachträglich gar auf stillschweigende Zustimmung berufen? Dass der BGH das Verfahren zur eingehenden Prüfung solcher Aspekte ans OLG Celle zurückverweist, ist eine denkbare Variante.

Frage nach 50+1 brennt unter den Nägeln

Das Ende der Kind-Saga bleibt ohnehin nicht absehbar. Im Geburtstagsinterview mit der Bild verriet Kind, er habe "entschieden, ich werde 104". Eine Deadline im Job bei 96 setzt sich der erfreulich vitale Workaholic dagegen nicht. Zu Recht weist er darauf hin, dass sich klubinterne Konflikte auch nach seiner etwaigen Abberufung nicht in Luft auflösen würden: "Der Aufsichtsrat der Management GmbH besteht natürlich weiter."

Könnten sich die vier Gremiumsmitglieder nicht auf einen Nachfolger einigen, "müsste ein externer Not-Geschäftsführer bestellt werden. Das sollte man mit Vernunft vermeiden". Zudem blieben Kind, Rossmann und Baum als Kapitalgeber "auch in der Zukunft für alle relevanten Entscheidungen maßgeblich" .

Vielleicht war es ein Fehler, es nicht bis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit durchzuziehen.

Martin Kind über den Streit mit der DFL über die 50+1-Regel

Würde Kind als Geschäftsführer gar vom BGH gestützt, käme absehbar die DFL unter Zugzwang. Die Frage, ob der durch den 96-Vertrag besiegelte Zustand wirklich mit der 50+1-Regel konform geht, brennt unter den Nägeln. Die bisherige Duldung der Verhältnisse wirkt auf viele wie ein Stillhalteabkommen, um eine drohende Klage gegen die 50+1-Regel zu verhindern.

"Vielleicht war es ein Fehler, es nicht bis zur ordentlichen Gerichtsbarkeit durchzuziehen", sinnierte Kind kürzlich im Gespräch mit dem kicker. Dem rüstigen Senior wäre es zuzutrauen, auch diesen letzten großen Kampf noch auszufechten.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 27. Mai 2024.

Thiemo Müller

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