Bundesliga

Demirovic: "Manchmal gab es Tage, an denen ich mich eingeschlossen habe"

Augsburgs Top-Scorer über Abstiegskampf und seine Vita

Demirovic: "Manchmal gab es Tage, an denen ich mich eingeschlossen habe"

Ermedin Demirovic fühlt sich beim FC Augsburg in seiner Karriere angekommen.

Ermedin Demirovic fühlt sich beim FC Augsburg in seiner Karriere angekommen. IMAGO/HMB-Media

Als das Bild bei Facetime erscheint, sind im Hintergrund ein paar Lichter und viel Beton zu erkennen. Ermedin Demirovic grinst ein lautes "Servus" in die Kamera und grüßt im Hoodie aus dem Bauch der Augsburger WWK-Arena.

"Es gibt für mich keinen Gegner, den wir nicht schlagen können"

Mit dem FCA kämpft Demirovic gerade wieder mehr denn je um den Klassenverbleib in der Bundesliga. Eine mal aussichtsreiche Position hat die Mannschaft von Enrico Maaßen verspielt und jetzt nur noch drei Punkte Vorsprung auf den Relegationsrang 16. An einem weiteren Jahr im Oberhaus hat Demirovic aber - natürlich - keinen Zweifel: "Es gibt für mich keinen Gegner, den wir nicht schlagen können", sagt der Angreifer dem kicker. "Wir haben zuhause gegen Bayern gewonnen, fast gegen Leipzig gewonnen."

In den finalen Wochen warten mit Union, Bochum, Dortmund und Gladbach nochmal vier Härtetests. "Jeder bei uns weiß, worum es geht", verspricht Demirovic. "Es liegt nur an uns." Und ganz besonders an ihm.

In Abwesenheit seines verletzten Kumpels Mergim Berisha avancierte Demirovic mit einem artistischen Tor beim 1:1 in Frankfurt am vergangenen Wochenende zum neuen Augsburger Topscorer. "Ich will mit Leistung vorangehen", sagt der, der sich selbst als Führungsspieler sieht und aktuell durchaus mit Leistung vorangeht. "An mir können sich Spieler anlehnen und hochziehen."

Leistungsträger und Integrationshelfer

Demirovic ist Leistungsträger und Integrationshelfer zugleich. "Ich war in vielen Ländern, bei vielen Vereinen und versuche, den Mitspielern auf und neben dem Platz zu helfen." Zum Beispiel den Winter-Verpflichtungen Dion Beljo und David Colina aus Kroatien: "Das ist meine Muttersprache." Wenn sie etwas nicht verstehen, springt "Demi" ein.

Er hat die Erfahrungen als Neuankömmling in einem fremden Land oft genug gemacht und weiß, was gerade junge Spieler brauchen. Als Teenager war der damals gerade volljährige Demirovic nach drei Jahren im Nachwuchs von RB Leipzig zu Deportivo Alaves nach Spanien gewechselt - rein zufällig. "Wir hatten mit der bosnischen Nationalmannschaft ein Testspiel in Serbien, wo ich zwei Tore gemacht und am selben Abend noch Anrufe von irgendwelchen spanischen Nummern bekommen habe. Dazu ein paar Berater aus Bosnien."

Einfach war in Alaves wenig

Demirovic hatte darauf wenig Lust und rief seinen Vater an. "Klär das bitte, die sollen mich in Ruhe lassen." Darauf hörten nicht alle. "Eine Woche später kam mein damaliger Berater und meinte: 'Hier sind Flugtickets nach Bilbao.'" Ins Baskenland, unweit der Hauptstadt Vitoria-Gasteiz und Alaves. Vor Ort hörte sich das Gesagte ganz gut an, und Demirovic sagte zu, obwohl er "eigentlich gerne in Deutschland geblieben" wäre, "das wäre einfacher gewesen". Einfach war in Alaves nämlich wenig; die Sprache nicht, das Leben nicht und auch der Fußball nicht.

"Und dann war ich trotzdem nie im Kader"

Gerade erst bei den Profis angekommen, "durfte" Demirovic leihweise gleich weiterziehen in die zweite französische Liga zum FC Sochaux, ein halbes Jahr später zurück nach Spanien, jetzt an die Südküste zu UD Almeria. Und in der Zwischenzeit traf er ordentliche viermal in sechs Einsätzen für Alaves' erste Mannschaft. "Ich habe immer nur gehört: 'Du bist so gut, du wirst dich durchsetzen - früher oder später. Du hast alles.' Und dann war ich trotzdem nie im Kader."

Nach zwei ernüchternden Jahren hatte Demirovic genug. "Ich war jung und wollte spielen." Und irgendwo ankommen. "Manchmal gab es Tage, an denen ich mich eingeschlossen und gesagt habe: 'Ich habe keinen Bock mehr, ich komme zurück nach Hamburg, und Fußball ist mir egal. Ich will das alles gar nicht mehr.'"

Bereit für einen Neuanfang

Demirovics Wechselwunsch stieß bei den Verantwortlichen in Alaves auf wenig Gehör. "Ich durfte nicht weg, alles wurde geblockt. 'Dieses Jahr setzen wir auf dich', hieß es da." Denkste. "In den ersten zwei, drei Spielen war ich wieder nicht im Kader. Dann bin ich selbst ins Büro gefahren, habe meinen Wechselwunsch persönlich hinterlegt und gesagt: 'Ich fliege jetzt nach Hamburg, lasst es zu oder nicht.'" Zurück in die Heimat, bereit für einen Neuanfang.

Den Neuanfang hätte es in Frankreich fast gegeben, doch natürlich lief auch dabei nicht alles - oder gar nichts - glatt. "Ich war bei einem Klub, um den Papierkram zu erledigen. Da wollte der Spieler, den ich ersetzen sollte, aber plötzlich doch nicht gehen." Ein weiterer Sommer drohte dahinzuplätschern, ohne neuen Verein - bis der Zufall wieder anklopfte. "Am letzten Transfertag meinte mein Berater: 'Wir können noch St. Gallen machen, Schweiz.' Ich war mir nicht sicher, ob er mich verarschen wollte. Ich hatte so viele Optionen absagen müssen und sollte jetzt in die Schweizer Liga …" Er hatte ja keine Ahnung, was daraus resultieren sollte.

"St. Gallen war wie eine große Familie"

In der Schweiz, beim FC St. Gallen, passte plötzlich alles. Die Kollegen, die Sprache und vor allem der Trainer. "Peter Zeidler war selbst in der Red-Bull-Akademie und wollte den Fußball spielen, den ich kannte." Pressingfußball, Vollgas. "Ich konnte wieder deutsch reden, mich entfalten, das machen, was ich am besten kann. St. Gallen war wie eine große Familie." Zumindest wie eine Gastfamilie.

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Nur ein Jahr und 21 Scorerpunkte in 28 Spielen später klopfte der SC Freiburg an, Demirovic erfüllte sich den Traum von der Bundesliga, kam beim SC aber nie wirklich über die Rolle des Reservisten hinaus. Bis zum Januar-Transferfenster 2022 waren "Kleinigkeiten vorgefallen, bei denen ich gemerkt habe, dass es vielleicht besser wäre, sich schon im Winter im Guten zu trennen". Doch dazu kam es nicht. "Ich durfte in der Rückrunde zwar noch ein paarmal von Anfang an spielen, aber für mich war klar, dass ich im Sommer gerne gehen wollte."

"Ich fühle mich hier zuhause"

Der FC Augsburg und besonders Enrico Maaßen standen bereit. Bereit, Demirovic einen Stammplatz zu geben, eine Führungsrolle. Und bislang, auch wenn die Lage gerade wieder prekärer kaum sein könnte, "läuft alles super. Ich fühle mich extrem wohl, fühle mich hier zuhause. Das sagt man immer so leicht, aber ich meine es auch wirklich." Die Wertschätzung und das Vertrauen sind endlich da. "Das sieht man, glaube ich, auch auf dem Feld."

Und dennoch sollte Demirovic am besten noch was draufpacken auf seine acht Tore und sechs Vorlagen. Er hat jetzt das, was er wollte. Aber auf ihn kommt es jetzt auch an.

Mario Krischel

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