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CFC-Genua-Trainer Alexander Blessin im Interview

Deutscher Serie-A-Trainer hat CFC neue Hoffnung eingehaucht

"Das war wirklich Kino": Genua-Trainer Blessin im großen Interview

"Als ich hier ankam, war ich deshalb überrascht: Es gab tatsächlich nirgends eine Taktik-Tafel": Alexander Blessin.

"Als ich hier ankam, war ich deshalb überrascht: Es gab tatsächlich nirgends eine Taktik-Tafel": Alexander Blessin. IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Seit dem Winter setzt der CFC Genua, der älteste Klub Italiens, auf ein deutsches Führungsduo: Erst kam Sportdirektor Johannes Spors (39), dann Trainer Alexander Blessin (48). Nach sieben Unentschieden zum Auftakt, gefolgt von einem Sieg und einer Niederlage (Torverhältnis: 3:3!), ist die Hoffnung im Abstiegskampf zurück. Im großen kicker-Interview spricht "Mister" Blessin über seine ersten drei Monate.

Herr Blessin, was machen die blauen Flecken, die Ihnen der Übersetzer verpasst hat?

(lacht) Das war kürzlich bei einer Pressekonferenz. Manchmal verliere ich mich einfach im Schwafeln, und er hatte mich schon drei Mal gezwickt und mit dem Fuß gestoßen, ich solle Luft holen und ihm Zeit zum Übersetzen geben. Da sagte ich den Journalisten, er würde mir ständig blaue Flecken verpassen. Massimo, der Dolmetscher, und ich waren uns nach meiner Ankunft auf Anhieb sympathisch, und so geht es auf den Pressekonferenzen auch immer ein wenig lockerer zu.

Und offenbar trittfest.

Massimo ist beim Übersetzen sehr emotional, dabei übertrumpft er mich sogar in puncto Emotionen. Im tiefsten Keller meines Inneren muss ich dabei stets lachen und denke: Junge, geht der ab.

Ist es ein Nachteil, nicht direkt auf Italienisch kommunizieren zu können?

Einige Probleme birgt es generell schon, doch Fußball ist international und multi-lingual. Anhand Videos und Tafel funktioniert die Kommunikation recht gut. Die Hälfte des Teams erreiche ich ja mit Englisch, acht sprechen nur italienisch, aber das bekomme ich ebenfalls ganz gut hin. Ein paar Brocken Italienisch kann ich auch schon reinwerfen.

Ich benutze sehr oft den Ausdruck "Online sein". Die Spieler schauten verständnislos und fragten, ob wir das WLAN suchen würden.

Alexander Blessin

Welche Begriffe fehlen denn noch zum Reinwerfen?

Ich benutze sehr oft den Ausdruck "Online sein", das konnte ich auf Italienisch nicht übernehmen. Die Spieler schauten verständnislos und fragten, ob wir das WLAN suchen würden. "Concentrazione" kommt dem am nächsten, doch online ist für mich im Spiel griffiger. "Durchsichern" habe ich jetzt gelernt, für andere Begriffe gibt es keine Übersetzungen, da muss man improvisieren und zu Code-Wörtern greifen.

"Pesto" heißt dann also Gegenpressing?

(lacht) Könnte man einführen.

Welche Unterschiede haben Sie nach drei Monaten außerdem festgestellt?

Italien ist als sehr taktierender Fußball bekannt. Ein Ex-Spieler, der von Oostende (Blessins Ex-Klub, Anm. d. Red.) zu Bologna wechselte, sagte mir neulich: 'Herr Blessin, Sie haben schon sehr viel mit Video und Taktik gearbeitet. Doch der Calcio setzt dem ganzen die Krone auf.' Als ich hier ankam, war ich deshalb überrascht: Es gab tatsächlich nirgends eine Taktik-Tafel. Die erste Aktion war demnach, fünf Tafeln zu besorgen.

Die Tafeln scheinen zu wirken. Mitte Januar schien Genua nach dem 0:6 in Florenz wie ein sicherer Absteiger. Nun sind es bei sieben ausstehenden Spielen machbare drei Punkte auf den rettenden Platz.

Wir haben ja eigentlich noch gar nichts geschafft, aber zumindest die Hoffnung geweckt, noch eine Chance zu besitzen. Bei dem Restprogramm mit unter anderem Juventus, Milan, Napoli und am Sonntag Lazio wird es eine echte Herkules-Aufgabe. Doch ich war selbst überrascht und vor allem dankbar, wie schnell die Spieler den neuen Stil angenommen und verinnerlicht haben und wie offen sie dafür waren. Wir sind keine Ballbesitz-Mannschaft, sondern ein jagendes Team. Man musste allerdings zunächst viel an den Basics wie Selbstvertrauen arbeiten und Aufbauarbeit leisten.

Die Tifosi haben das honoriert.

Auch sie waren am Boden, und dann kommt noch ein deutscher, unbekannter Trainer, den niemand auf dem Schirm hatte. Um Gottes Willen, der Abstieg ist nicht mehr aufzuhalten! Mit jedem Spiel kamen jedoch der Glaube und die Leidenschaft auf den Rängen zurück, das war genial, und hat sich die Mannschaft auch verdient. So lange es rechnerisch möglich ist, glaube ich an den Klassenerhalt, weil ich an die Qualität des Kaders glaube. Die Gier bei den Spielern und Fans ist jedenfalls geweckt.

Dann signalisierte sie, ich solle gefälligst zur Kurve, und der Frau kann man ganz schwierig etwas abschlagen.

Alexander Blessin

Das war vor allem spürbar, wenn Sie gemeinsam vor der Kurve feierten.

Zum ersten Mal beim zweiten Heimspiel gegen Salernitana, das wir eigentlich hätten gewinnen müssen. Es gab trotzdem stehende Ovationen nach Schlusspfiff, und mir war das peinlich in jenem Moment, zur Kurve zu gehen, um mit den Fans zu feiern. Ich sagte mir: Hey, wir waren das bessere Team und haben nur 1:1 gespielt. Auf der Tribüne saß neben meiner Frau jemand aus dem Vorstand und sagte: Die wollen das, der muss jetzt dahin. Dann signalisierte sie, ich solle gefälligst zur Kurve, und der Frau kann man ganz schwierig etwas abschlagen. Da ist es mir schon kalt den Rücken runtergelaufen. Zu erleben, wie sehr wir die Fans im Rücken haben, wenn die Jungs alles geben. Das sind Momente und Emotionen, die man nicht vergisst.

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Das ging überraschend schnell.

Den ersten Schritt mussten freilich wir machen. Auf dem Platz beweisen, dass wir gewillt sind und noch leben. Mir war klar, wenn die Fans das sehen, holen wir sie zurück.

Beeinflusst es die Arbeit, nebenher nicht auch die Familie vor Ort im Rücken zu haben?

Meine Familie ist in Stuttgart. Meine älteste Tochter macht gerade ihr Abitur, die zweite ist in der elften Klasse, da steht schon das nächste Abi an. Alle drei Mädels haben Freundeskreis und Sport-Programm. Das war aber in Leipzig und in Oostende auch so, dass sie positiv verrückt genug sind, zu jedem Heimspiel vorbeizukommen. Diese Unterstützung ist wichtig für mich. Aber natürlich besaß ich oft die Angst, irgendwann aufzuwachen, in den Spiegel zu schauen und zu bereuen, viele wichtige Erlebnisse meiner jüngsten Tochter verpasst zu haben. Zum Glück versteht sie es mittlerweile, was mir die Sache ungemein erleichtert. Familie ist für mich extrem wichtig, und es macht mich stolz, dass sie stolz auf mich ist.

Ich hatte eine Allianz-Agentur. Nach drei Jahren merkte ich jedoch, dass mir der Fußball unglaublich fehlte und es passierte eine lustige Geschichte.

Alexander Blessin.

War der Trainerjob eigentlich schon immer Ihr Ziel?

Blessin: Ich habe relativ früh meine Trainer-Scheine gemacht, in meinem letzten aktiven Jahr absolvierte ich den A-Schein. Danach brauchte ich etwas Zeit, um vom Fußball Abstand zu nehmen, denn die letzten drei Klubs gingen alle in Richtung Insolvenz - Siegen, Reutlingen und Regensburg. Da hatte sich eine gewisse Frustration eingestellt und diesen Frust musste ich verarbeiten. Ich hatte eine Allianz-Agentur, auf die ich mich konzentriert habe. Nach drei Jahren merkte ich jedoch, dass mir der Fußball unglaublich fehlte und es passierte eine lustige Geschichte.

"Es ist bitter, solch eine Frage gestellt zu bekommen"

Erzählen Sie.

Eines Montags fragte mich meine Frau vor dem Weg ins Büro: Kannst du dir das wirklich die nächsten 25, 30 Jahre vorstellen? Es ist bitter, solch eine Frage gestellt zu bekommen, denn 30 Jahre klingen verdammt viel. Ich sagte: Ja, passt schon, warum nicht? Und just an jenem Tag rief Ralf Rangnick an. Daraus wurden acht Jahre Leipzig und nun bin ich beim ältesten Klub Italiens.

Und dort "il Mister".

(lacht) Ich muss immer wieder schmunzeln und kann mich daran immer noch nicht gewöhnen, dass Trainer hier so genannt werden. Aber das ist seit über 100 Jahren so, und gegen diese Tradition will ich schließlich nicht ankämpfen.

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Wie sieht denn Ihre Spielidee aus, die Gegner zu bekämpfen?

Ich glaube, alle, die in der Welt von Red Bull zu Zeiten von Helmut Groß und Ralf Rangnick ausgebildet wurden, haben von jener Philosophie rund 60 Prozent verinnerlicht. Mir fallen da Namen ein wie Marco Rose, Robert Klauß, Ralph Hasenhüttl, Oliver Glasner oder Sebastian Hoeneß. Der Rest sind dann eigene Gedankengänge. Umschaltmomente ja, aber mir ist auch Qualität mit dem Ball extrem wichtig, was in den ersten Jahren in Leipzig verpönt war. Also 60 Prozent von der alten Struktur, mit viel Mut und Leidenschaft gegen den Ball zu spielen.

Und Ihre 40 Prozent?

Ich schaue intensiv auf andere Sportarten wie die NFL und NBA. Michael Jordan wurde mal gefragt, wie er plötzlich seine Defensiv-Statistiken dermaßen verbessert hatte. Und er antwortete mit einem prägnanten Satz, den ich verinnerlichte: Ich will den Ball haben, denn nur, wenn ich den Ball habe, kann ich kreativ sein. Wenn wir also im Ballbesitz sind, liegt mein Fokus auf schnellem, vertikalem Spiel.

Zuvor wurden Sie damit in Belgien Trainer des Jahres. Enttäuscht es einen, wenn in der Heimat davon kaum jemand Notiz nimmt?

Um ehrlich zu sein, hat es mich manchmal ein wenig gekitzelt, noch mehr Gas zu geben (schmunzelt).

Bisweilen muss ich mich morgens immer noch kneifen, ob es alles bloß ein Traum ist.

Alexander Blessin

Das hat gut hingehauen. Plötzlich arbeiten Sie in der Serie A - die Geschichte von Allianz in eine europäische Topliga klingt ein bisschen wie Hollywood.

Letzten Sommer hatte ich bereits Gespräche mit England, das scheiterte jedoch an der Arbeitserlaubnis. Dazu hätte ich zwei Jahre in Belgien als Chefcoach vorweisen müssen. Es war aber nie wirklich eine Offerte dabei, zu der ich sagte: Das ist es! Im Winter fragte Johannes Spors nach, den ich noch aus Leipziger Zeiten kannte und sehr schätze, ob ich mir die Arbeit in Genua vorstellen könnte. Rund eine Woche später klingelte das Telefon erneut, dass jetzt Handlungsbedarf bestünde. Diese Chance musste ich einfach nutzen. Du hast einen Manager, der dich unbedingt will, der die gleiche Art von Fußball lebt, und das alles in einer europäischen Top-Liga. Dann im Privat-Flugzeug von Oostende nach Italien, am nächsten Tag das Training leiten und 48 Stunden später das erste Spiel coachen - das war wirklich Kino. Bisweilen muss ich mich morgens immer noch kneifen, ob es alles bloß ein Traum ist.

Interview: Oliver Birkner