Bundesliga

BVB Fünfter - eine Momentaufnahme, die den Ernst der Lage verdeutlicht

Tabelle, Kader, Déjà-Vu: Die Lage in Dortmund

BVB Fünfter - eine Momentaufnahme, die den Ernst der Lage verdeutlicht

Herbe Enttäuschung für Borussia Dortmund gegen den VfB Stuttgart.

Herbe Enttäuschung für Borussia Dortmund gegen den VfB Stuttgart. IMAGO/RHR-Foto

Anfang September erlebte Borussia Dortmund eine erste Herbstkrise, ehe der Herbst überhaupt angefangen hatte. Nach dem 2:2 daheim gegen Heidenheim ging ein Pfeifkonzert auf die BVB-Profis nieder, der Boulevard stieß eine Diskussion um Trainer Edin Terzic an, die Alarmglocken in Dortmund schrillten, während die Nationalspieler des Klubs bei ihren Auswahlteams weilten. Vier Liga-Siege in Serie sorgen zwischen den Länderspielperioden im September und Oktober dafür, dass sich die Lage beruhigte. Der BVB spielte "weniger sexy, aber erfolgreich", wie es Terzic beschrieb.

Und erfolgreich ging es zunächst auch nach der zweiten Pause im Oktober weiter: Ein Sieg gegen Bremen (1:0), ein Sieg in Newcastle (1:0), ein mit Moral erkämpfter Punkt in Frankfurt (3:3) und ein souveräner 1:0-Erfolg im Pokal gegen Hoffenheim - das war unterm Strich schon sehr in Ordnung, ehe der BVB im Heimspiel gegen München fast schon gewohnheitsgemäß unter die Räder kam (0:4). Nur ein Ausrutscher, suggerierten Spieler wie Verantwortliche. Und der folgende, sehr überzeugende 2:0-Erfolg über Newcastle schien sie zu bestätigen. Der BVB des Jahres 2023 wirkte reifer und erwachsener, ganz so, als habe er endlich gelernt aus den vielen Enttäuschungen der Vorjahre, als man Titel-Chancen teils fahrlässig sausen ließ, Trainer verschliss und Fans verstimmte. Welch ein Trugschluss.

Die breitere Konkurrenz verkompliziert die Lage

Die 1:2-Niederlage in Stuttgart, die angesichts der Unterlegenheit des BVB um einige Tore zu niedrig ausfiel, sorgte für eine herbe Enttäuschung direkt vor den November-Länderspielen. Und an ein bitteres Déjà-Vu ans Vorjahr, als man zur gleichen Zeit in Wolfsburg und in Mönchengladbach verlor und während der langen WM-Pause mit einer Tabelle konfrontiert wurde, die wehtat. Terzic und seine Mannschaft zogen sich im Trainingslager in Marbella bekanntlich selbst aus dem Negativstrudel und starteten eine Aufholjagd, die fast mit dem Meistertitel geendet hätte - wären den Borussen am 34. Spieltag gegen Mainz nicht sämtliche Nerven versagt. Und jetzt?

Niemand in Dortmund sollte so blauäugig sein, dass eine Wiederholung der Ereignisse naturgegeben wäre. Das liegt an der Konkurrenz, die nicht nur aus dem FC Bayern besteht, sondern auch aus den bislang konstant stark aufspielenden Leverkusenern, aus den von Sebastian Hoeneß wachgeküssten Stuttgartern und den im Umbruch befindlichen Leipzigern - was eine erneute Champions-League-Qualifikation in der jüngst in der Liga gezeigten Verfassung alles andere als selbstverständlich erscheinen lässt.

Rang 5: Eine Momentaufnahme, die den Ernst der Lage verdeutlichen sollte

Das liegt aber in erster Linie auch an dem BVB, der in Stuttgart seltsam sediert wirkte und wie betäubt agierte. Einerseits verständlich nach drei intensiven englischen Wochen in Serie. Andererseits aber auch unentschuldbar angesichts eines Kaders, der stets für seine Breite gelobt wurde und der bislang weitgehend ohne schwere Verletzungen durch die Saison gekommen ist. Das Team fand gegen den VfB, der die Schwachstellen schamlos ausnutzte, kein Gegenmittel - weder ein spielerisches noch ein körperliches. Es war ein verheerender Eindruck, den der BVB hinterließ. Und wie schon im Herbst 2022 sind die Folgen in der Tabelle ablesbar: Auf Rang 5 liegt der BVB zehn Punkte hinter Tabellenführer Leverkusen, acht hinter dem FC Bayern, drei hinter Stuttgart und zwei hinter Leipzig. Eine Momentaufnahme, sicherlich. Doch eine, die den Dortmundern nach elf absolvierten Spieltagen den Ernst der aktuellen Lage verdeutlichen sollte.

Der BVB-Kader ist auf Erfolg ausgerichtet, nicht auf Aufbau. Die Zahl der Talente ist kleiner geworden in den vergangenen Jahren, stattdessen verpflichtete Sportdirektor Sebastian Kehl in enger Absprache mit Klubboss Hans-Joachim Watzke und Trainer Terzic gestandene Profis, die sowohl Widerstandsfähigkeit als auch Erfahrung versprachen. Ihr Wiederverkaufswert ist gering, umso wichtiger ist die jährliche Qualifikation zur Königsklasse. Erst recht in dieser Saison, wo doch die Schere künftig aufgrund der Champions-League-Reform zur Saison 2024/25 noch weiter auseinandergehen wird. Gerät sie ernsthaft in Gefahr, wird es eng für die direkt Verantwortlichen. Das ist in Dortmund eine fast schon goldene Regel.

Hartes Programm nach der Länderspielpause

Blickt man auf das Programm nach der Länderspielpause, dann erkennt man: Einfacher wird es für den BVB nicht. Auf das Heimspiel gegen die zuletzt im Aufwind befindliche Borussia aus Mönchengladbach (25. November) folgen drei schwere Auswärtsspiele in Serie: In Mailand (28. November), in Leverkusen (3. Dezember) und im Pokal in Stuttgart (6. Dezember). Danach folgen zwei Heimspiele gegen Leipzig (9. Dezember) und Paris (13. Dezember), ehe Spiele in Augsburg (16. Dezember) und gegen Mainz (19. Dezember) den wilden Ritt zum Jahresende beschließen.

Niemand in Dortmund muss deshalb vorzeitig die Segel streichen. Doch gerade angesichts der jüngsten Analyse von Niclas Füllkrug sollten die Sinne maximal geschärft sein. Man habe zuletzt "gegen viele gute Mannschaften die Grenzen aufgezeigt bekommen", sagte der enttäuschte Stürmer in Stuttgart - und dürfte dabei das kommende Programm bereits im Hinterkopf gehabt haben. Zwar schob er hinterher, der BVB habe "das Material, um besser zu sein". Doch diesen Beweis werden die Dortmunder nun konstant antreten müssen.

Die Erinnerung muss mit Leben gefüllt werden

Dass ihnen das gelingt, ist nicht auszuschließen. Es wäre nicht das erste Mal, dass dieser oft so rätselhaften Mannschaft eine Wende gelingt. Zumal der Kader noch immer reichlich Qualität und eine sehr gute Breite bietet, auch wenn absolute Topspieler wie Jude Bellingham und Raphael Guerreiro oder die bereits vorher abgewanderten Jadon Sancho oder Erling Haaland Löcher gerissen haben, die ihre Nachfolger noch nicht stopfen konnten. Darauf verlassen aber sollte sich beim BVB niemand. Die Erinnerung an die Aufholjagd in der Vorsaison reicht nicht. Sie muss auch mit Leben gefüllt werden - und zwar schnell.

Matthias Dersch