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Breitenreiter: "Möchte gerne mal die Champions-League-Hymne hören"

FC Zürich mit deutschem Coach im Höhenflug

Breitenreiter: "Möchte gerne mal die Champions-League-Hymne hören"

Richtig angekommen: André Breitenreiter (re.) fühlt sich in Zürich wohl.

Richtig angekommen: André Breitenreiter (re.) fühlt sich in Zürich wohl. imago images/Geisser

Herr Breitenreiter, Ihre Whats-App-Nachricht neulich haben Sie mit "Grüezi" begonnen. Sind Sie schon ein halber Schweizer?
(lacht) Nette Einstiegsfrage. Ich versuche mich mit Zürich, mit der Schweiz zu identifizieren. Ich spreche zwar noch kein Schwiizerdütsch, aber ich verstehe es ganz gut, werde auch in Interviews hier so gefragt.

Sie wirken glücklich und ausgeglichen.
Der Erfolg trägt seinen Teil dazu bei, es ist eine spannende Herausforderung. Ich fühle mich sehr wohl, arbeite in einem tollen Trainerteam und habe mit dem Präsidenten-Paar Canepa einen guten Austausch.

Spiel vom Samstag

Findet dieser Austausch alle paar Wochen oder öfter statt?
Es geht hier sehr familiär zu, die beiden haben uns im Sommer und jetzt im Winter ins Trainingslager begleitet, sind eng dran an der Mannschaft. Sie sind nicht nur Chefs, sondern auch Fans des FCZ. Wir treffen uns wöchentlich, unser Sportdirektor Marinko Jurendic ist ebenfalls dabei. Ancillo Canepa liest und sammelt seit Jahrzehnten den kicker.

Glauben Sie, diese Ausgabe mit Ihnen im Interview bekommt einen Ehrenplatz?
Ihm wurde ja selbst vor einigen Wochen eine Doppelseite gewidmet. Er wird diese Ausgabe zumindest sehr schnell lesen, da bin ich sicher.

Sie kommen sehr gut an, berichtet man in der Schweiz. Wie nehmen Sie das wahr?
Wir genießen alle die momentane Situation nach vielen Jahren des Vereins im Abstiegskampf. Dass über mich als Cheftrainer gut gesprochen wird, freut mich auch, aber ich bin nur ein Teil des Ganzen.

Sie sind seit Saisonbeginn dort. Überrascht Sie dieser Höhenflug selbst?
Dass der FCZ ein großer Traditionsverein ist, wusste ich. Es wurden Analysen erstellt und Entscheidungen getroffen, die gefruchtet haben. Vielleicht haben wir nicht die besseren Einzelspieler als Basel und Bern, aber als Mannschaft funktionieren wir besser.

Beim FCZ wusste ich nach fünf Minuten, dass es passt.

André Breitenreiter

Das 3-5-2 mit offensiver Grundausrichtung klappt demnach. 
Ja, wir pressen extrem hoch. Wir haben zwar wenig Ballbesitz, aber das ist für mich immer eine Frage der Qualität des Ballbesitzes. Mir ist es wichtig, und da habe ich auch meine Philosophie etwas auf den FCZ zugeschnitten, dass wir sehr schnell vertikal nach vorne spielen mit klaren Ablaufplänen. Daraus resultieren mit YB zusammen die meisten Tore der Liga, 43 …

… und sieben Punkte Vorsprung. Warum sprechen Sie nicht mutig über die Meisterschaft als Ziel?
Der Verein hat in den vergangenen Saisons lange gegen den Abstieg gekämpft, Bern und Basel sind von den finanziellen Möglichkeiten weit weg von uns. Es besteht nach der Hälfte der Spiele keine Notwendigkeit, so etwas zu sagen. Wir wollen unseren Weg einfach weitergehen, mit attraktivem Fußball die Zuschauer ins Stadion holen. Zum Glück dürfen sie kommen. Die Frage nach der Meisterschaft ist eine typisch deutsche. Wir spielen ohne Druck und sind froh, nichts mit dem Abstiegskampf zu tun zu haben. Natürlich streben wir nach maximalem Erfolg, aber es wäre nicht demütig, wenn wir uns größer machten als Basel oder Bern. Wir können fünf Spieltage vor Schluss wieder reden, falls wir weiterhin oben stehen.

Okay, kommt auf Wiedervorlage … Apropos deutsch: Der Blick von hier auf kleinere Länder ist ja manchmal von einer gewissen Arroganz geprägt. Warum war für Sie persönlich die Entscheidung pro Zürich kein Rückschritt?
Aussagen von oben herab kommen von denen, die sich nicht mit der Liga hier beschäftigen. Die Schweiz liegt in der aktuellen Weltrangliste nur einen Platz hinter Deutschland. Zudem entwickeln sich hier immer wieder viele tolle Talente, weil sie inhaltlich, strukturell und auch außerhalb des Platzes bestens begleitet werden. Die Schweizer Liga ist hochattraktiv, es wird sehr offensiv gespielt. Ich sage den Schweizern oft: "Macht euch nicht kleiner, als ihr seid."

Gegen Servette am Wochenende - worin besteht da die Gefahr?
Wegen der Corona-Lage ist die Situation schwer berechenbar. Gegen Servette, derzeit Fünfter, hat der FCZ in der Vorsaison alle Spiele verloren. Und auch aktuell sind sie gut, hier kann jeder gegen jeden gewinnen.

Es läuft: Der FC Zürich führt die Tabelle aktuell an.

Es läuft: Der FC Zürich führt die Tabelle aktuell an. imago images/Geisser

Was war bei Ihrer Corona-Zwangspause digital nicht zu kompensieren?
Die persönliche Ansprache und die Emotionalität fehlten sehr. Aber ich war wegen meines fantastischen Trainerteams und der Mentalität der Mannschaft nicht in Sorge, dass wir nicht gewinnen könnten. Wir haben dann das erste Mal seit 2014 gegen YB gewonnen, obwohl ich nicht da war. Gott sei Dank haben wir auch eine Woche später mit mir gesiegt …

… sonst hätten Sie wieder daheim bleiben müssen …
(lacht) Genau …

Aus Ihrer Mannschaft ragt Assan Ceesay mit elf Toren heraus. Hat der Ex-Stürmer Breitenreiter auf ihn eingewirkt, sodass aus dem Chancentod ein Torjäger wurde?
Klar haben wir mit ihm gesprochen, Tipps gegeben, Abschluss mit Innenseite statt Vollspann, zum Beispiel. Wir haben ihn zentral auf eine gute Position gebracht, das liegt ihm. Ich glaube aber, es ist nicht gut, wenn sich Trainer alles selbst ans Revers heften.

Jetzt machen Sie aber selbst, wovon Sie den Schweizern abraten: sich kleiner als Sie sind?
Es gibt viele Mosaiksteinchen für den Erfolg, mich eingeschlossen. Aber mich loben sollen andere, wenn sie das möchten.

In Deutschland bekannt sind Moritz Leitner, Marc Hornschuh, Akaki Gogia - bei allen ist noch Luft nach oben?
Das trifft ja auf alle zu, keiner ist perfekt. Aber alle drei arbeiten fleißig, Leitner war leider öfter verletzt, Gogia hat schon Spiele für uns entschieden, Hornschuh ist ein Führungsspieler, bereit, wenn wir ihn brauchen.

Sprechen Sie öfter mit Ihrem deutschen Trainerkollegen in Bern, David Wagner?
Nein. Wir hatten vorher ja auch keinen Kontakt. Vor dem Spiel gegeneinander, bei dem ich dabei war, haben wir uns lange unterhalten, das war sehr sympathisch.

Sie haben vor Zürich lange pausiert. Kamen Ihnen Zweifel, ob Sie vielleicht etwas ganz anderes machen wollen?
Nein, weil ich erfolgreich gearbeitet habe zuvor und auch nicht frustriert war. Die Pause war familiär begründet, und ich wollte auch nicht alles annehmen, weil ich um meinen Wert und die Qualität der Arbeit weiß. Beim FCZ wusste ich nach fünf Minuten, dass es passt.

Natürlich streben wir nach maximalem Erfolg, aber es wäre nicht demütig, wenn wir uns größer machten als Basel oder Bern.

André Breitenreiter

Und wie geht es im Sommer weiter? Champions League erreichen - und gehen, wenn es am schönsten ist oder bleiben, um das auszukosten?
Sehr schlau formuliert … (lacht). Nein, im Fußball als Cheftrainer vorauszuplanen, das habe ich schon lange aufgegeben. Ich möchte wirklich gerne mal die Champions-League-Hymne hören, am liebsten mit dem FCZ. Egal, wann. Aber wir wissen nie, was passiert.

Weil Sie Ihre Familie und Ihre Hündin Bella vermissen?
Die vermisse ich schon, ja. Aber Hannover ist nur eine Flugstunde entfernt, und es gibt eine direkte Zugverbindung. Alles gut so.

Eine langfristige Rückkehr in die Bundesliga schließen Sie aber auch nicht aus?
Auf keinen Fall. Aber damit beschäftige ich mich gerade nicht.

Und wenn Ihr Präsident 2022 mal nachfragt, was Sie so vorhaben?
Man braucht sicherlich auch mal Wenn-dann-Strategien, aber erst später. Nein, mein Vertrag läuft bis 2023, es gibt derzeit weder Gedanken über eine Verlängerung noch über einen Wechsel.

Sie wollen zwar nicht mehr über Ihre Ex-Klubs reden, aber wenn Schalke aufsteigt und Hannover Pokalsieger werden sollte, dann …
… würde ich mich mit diesen Vereinen freuen, das ist doch klar.

Interview: Thomas Böker