Bundesliga

Berti Vogts: Unterschätzt. Unverwüstlich. Unvergessen.

Zum 75. Geburtstag

Berti Vogts: Unterschätzt. Unverwüstlich. Unvergessen.

Feierlicher Empfang der Europameister in Frankfurt.

Feierlicher Empfang der Europameister in Frankfurt. picture-alliance / dpa

Natürlich machten reichlich Anekdoten die Runde im September beim Treffen der Europameister von 1996. Viele Geschichten hörten sich im Europapark Rust ganz anders an, als sie sich vor 25 Jahren in England abgespielt hatten. Verbürgt ist aber der überraschende Kniff, mit dem Berti Vogts entscheidenden Einfluss nahm im Finale.

"Am Schluss", so erzählt es Jürgen Klinsmann, "hatte der Chef die geniale Idee, dass er Oliver Bierhoff eingewechselt hat - was wir alle nicht verstanden haben." Zum Beispiel Vogts' Assistent Rainer Bonhof machte große Augen, als der Bundestrainer dem etwas kantigen Stürmer in der 69. Minute des Finales von Wembley gegen die Tschechen das Signal zum Einsatz gab. Ein gelungener Schachzug, unerwartet, aber ein voller Erfolg: Vier Minuten später traf Bierhoff zum 1:1, in der Verlängerung schoss er Deutschland per Golden Goal zum EM-Titel.

Und Berti Vogts? Der feierte anschließend, in schwarzem Anzug, hellem Hemd und orangefarbener Krawatte, mit einer La Ola vor der deutschen Fankurve den größten Triumph seiner Trainer-Karriere. "Diese Momente", schrieb er mal, "werden für mich immer unvergessen bleiben und immer eine herausragende Bedeutung haben."

Der große Auftritt war nie seine Welt

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Ein unvergessener Moment: Berti Vogts feiert mit einer La Ola vor der deutschen Fankurve den EM-Titel. imago/Camera 4

Der Star ist die Mannschaft - diese Prämisse galt für Vogts nicht nur in diesen Wochen in England. Für ihn ein Ausdruck seines ausgeprägten Teamgedankens, stets allerdings auch verbunden mit dem Gefühl, selbst immer wieder mal übersehen zu werden. So ein bisschen Abwehrhaltung haftete dem gelernten Werkzeugmacher stets an, der wegen seiner giftigen Abwehrarbeit als knallharter Verteidiger der "Terrier" genannt wurde.

In London 1996 stand Vogts im Rampenlicht, doch der große Auftritt war nie seine Welt. Da wirkte der Mann aus Büttgen bei Neuss oft hölzern und unbeholfen. Und stets ein bisschen skeptisch in der Öffentlichkeit, erst recht im Umgang mit den Medien. Zumal er als Trainer 1990 auf die Lichtgestalt Franz Beckenbauer folgte, der als Weltmann das Gegenteil des oft biederen Hans-Hubert Vogts war. "Wenn ich übers Wasser laufen könnte, würden meine Kritiker noch sagen: Nicht mal schwimmen kann der", beschwerte sich Vogts einmal über die oft ungerechtfertigte oder überzogene Kritik.

Von oben betrachtet und belächelt

Viele Türen schlug sich der oft verbiestert wirkende Vogts selber zu, häufig wurde er zum Ziel von Spott und Häme. Eine gewisse Verbitterung sprach auch aus seinen Worten, als er gerade mal zwei Jahre nach dem großen Erfolg in London als Bundestrainer zurücktrat. Angeschossen von vielen Seiten, heftig kritisiert, räumte er seinen Platz. "Ich bin es mir selbst schuldig, den letzten Rest an Menschenwürde zu verteidigen, welcher mir noch gelassen worden ist", so Vogts damals.

Dabei hätte er insgesamt viel gelassener auf seine ganzen Erfolge verweisen können, als Trainer, natürlich auch als Spieler. Viele müssten sich vor seiner Lebensleistung und seinen sportlichen Erfolgen tief verneigen, doch seinen Weg prägt auch die Tatsache, dass der 1,68 Meter große Vogts häufig von oben betrachtet und belächelt wurde.

Zum Beispiel im "Bööörti"-Spottlied von Stefan Raab 1994; legendär auch der eigenartige Kurzauftritt in einem Tatort von 1999 mit dem bemerkenswerten Vogts-Satz: "Gib dem Kaninchen eine Möhre extra, es hat uns das Leben gerettet."

Große Erfolge als Spieler

Berti Vogts (Borussia Mönchengladbach)

Ein Fußballer-Leben lang Borussia Mönchengladbach. imago sportfotodienst

Dabei reichen nur wenige Spieler an Vogts' Erfolge heran, der die große Zeit der Gladbacher Fohlen in den 70er Jahren maßgeblich prägte. 1965 kam er nach dem Bundesliga-Aufstieg von Borussia Mönchengladbach für 28.000 Mark vom VfR Büttgen an den Bökelberg. 419 Bundesligaspiele insgesamt bestritt er für die Borussia, wurde fünfmal Deutscher Meister, einmal Pokalsieger, Welt- und Europameister und beendete seine Karriere 1979 als zweimaliger UEFA-Pokal-Sieger.

In bester Erinnerung bleibt auch der Ausspruch von Vogts nach dem zweiten Gewinn des UEFA-Cups 1979. Damals saß er mit dem Pokal in der Kabine und prognostizierte mit glänzenden Augen den Mitspielern: "Seht euch den Pokal gut an. Es wird der letzte sein, den Borussia für lange Zeit gewinnt." Damit behielt er recht.

Im Spätherbst seiner Karriere 1979 zog er sich in einem Pokalspiel gegen den Wuppertaler SV einen Bein- und Knöchelbruch zu und musste monatelang pausieren. Borussia geriet ins Trudeln, doch - typisch Vogts - der kampfstarke Verteidiger kam zurück und half, den Abstieg zu verhindern.

Der "Terrier" wird 75: Meilensteine in der Karriere von Berti Vogts

Vor allem der oft bärbeißige Trainer Hennes Weisweiler prägte den unnachgiebigen Verteidiger Vogts, der mit 13 Jahren Vollwaise geworden war. Weisweiler wurde zu einer Art Vaterfigur für den äußerst ehrgeizigen Abwehrspieler, der später auch häufig intervenieren musste, wenn sich der Trainer mit Spielmacher Günter Netzer überworfen hatte.

Vogts war immer mit dabei, ein wertvoller Mannschaftsspieler, unverwüstlich, immer auf Hochtouren. Im Rampenlicht jedoch standen meist andere, in Gladbach Netzer, in der Nationalelf zum Beispiel Franz Beckenbauer, auch wenn Vogts im WM-Finale 1974 den grandiosen niederländischen Kapitän Johan Cruyff voll im Griff hatte.

Nachwuchstrainer und Weltreisender in Sachen Fußball

Nach seiner aktiven Zeit startete Vogts 1979 beim DFB als Nachwuchstrainer und blieb elf Jahre lang beim Verband. Er stieß Projekte mit Konzepten und Ideen für die Nachwuchsarbeit an, auch wenn viele Vorschläge erst nach seiner Zeit umgesetzt wurden. "Als ich anregte, man solle 16 Stützpunkte für den Nachwuchs in Deutschland installieren, haben sie beim Verband gesagt: Wir haben kein Geld. Heute gibt es über 300 Stützpunkte", beklagte sich Vogts mal.

Viele Jahre beim DFB: Berti Vogts.

Viele Jahre beim DFB: Berti Vogts. picture alliance/dpa

Wenig Erfolg hatte er anschließend als Vereinstrainer bei Bayer Leverkusen, wo er nur knapp ein Jahr im Amt verblieb. Danach wurde er zum Weltreisenden in Sachen Fußball, war als Nationaltrainer in Kuwait, Schottland, Nigeria und Aserbaidschan unterwegs. Aus seiner Zeit in Schottland resultiert auch seine Liebe zum Golf. "Wer in Schottland Trainer war und nicht Golf spielen kann", so Vogts mal, "da kann etwas nicht stimmen."

Vor der WM 2014 holte ihn sein früherer Spieler Jürgen Klinsmann als Berater zur US-Nationalmannschaft. Nach dessen Suspendierung, so erzählte es Vogts, sei er sofort auf die Verantwortlichen zugegangen und habe gesagt: "Meine Arbeit ist beendet. Wenn sie Jürgen entlassen haben, kann ich doch nicht dort weiterarbeiten."

Lange Zeit war er ziemlich regelmäßig bei den Heimspielen seiner Borussia, sah sich viele Partien gemeinsam mit seinem Sohn Justin an. Und heute? Was plant er? Wie begeht Berti Vogts am Donnerstag, den 30. Dezember, seinen 75. Geburtstag? Früher hatte Vogts häufig im Schwarzwald-Hotel Traube Tonbach den Jahreswechsel und seinen Geburtstag gefeiert. Vielleicht hält er es ja diesmal ebenso wie vor fünf Jahren zu seinem 70.: Da hatte er angekündigt, allein zu feiern, mit einem guten Glas Rotwein. In Gedanken vielleicht an seine großen Erfolge. Zum Beispiel an einen ganz spektakulären Abend 1996 in Wembley.

Oliver Bitter