DFB-Pokal

Trotz Streichs schützender Rede: Welche Vorwürfe nach dem Pokalaus angebracht sind

Die SC-Profis wurden gegen Paderborn ihren Ansprüchen nicht gerecht

Trotz Streichs schützender Rede: Welche Vorwürfe nach dem Pokalaus angebracht sind

Christian Streich stellte sich nach dem Pokalaus schützend vor seine Mannschaft.

Christian Streich stellte sich nach dem Pokalaus schützend vor seine Mannschaft. IMAGO/Jöran Steinsiek

Streich und die gesamte SC-Gemeinschaft schwärmen immer noch vom unvergesslichen Erlebnis in Berlin. Zehntausende Freiburg-Fans sorgten rund um das DFB-Pokalfinale 2022 für einen absoluten Höhepunkt in der Vereinshistorie - trotz der dramatisch knappen Niederlage erst im Elfmeterschießen gegen Leipzig. Auch in der vergangenen Saison arbeiteten sich die Breisgauer bis ins Halbfinale vor, schalteten im Viertelfinale mit ihrem ersten Pflichtspielsieg in München sogar die großen Bayern aus.

Auch wenn die ausgerechnet wieder gegen Leipzig erlittene 1:5-Heimniederlage in der Vorschlussrunde sehr schmerzte, blieb der Trost, dass man sie gegen ein finanziell deutlich besser ausgestattetes, etabliertes Champions-League-Team kassierte. Und die Erkenntnis, dass nach vielen mageren Jahren zuvor eine heiße Liebe zum DFB-Pokal entstanden war, die Fans und Mannschaft gleichermaßen zelebrierten und genossen. Vom deutschen Knock-out-Wettbewerb hatte Streich, der den Cup mit dem SC auf U-19-Junioren-Ebene dreimal gewonnen hat, ohnehin schon immer geschwärmt.

Nach heißer Pokal-Liebe lange Beziehungspause eingebrockt

Umso überraschender und enttäuschender kommt der heftige Freiburger Pokal-Einbruch im Herbst 2023. Nach dem seltsam blutleeren Auftritt vor eigenem Publikum beim 1:3 gegen Zweitligist Paderborn hat sich der SC eine neuneinhalb Monate lange, freudlose Beziehungspause eingebrockt, bevor in der ersten Runde 2024/25 die Chance auf Wiedergutmachung kommt.

"Wir waren nicht gut genug", räumte Streich die verdiente Niederlage ein, wollte seine Spieler jedoch nicht kritisieren. Warum? "Weil ich die Situation insgesamt einordnen kann, die wir in den letzten Wochen hatten und weil ich weiß, was die Jungs leisten. Wir hatten so viele Verletzte, die Spieler, die immer gespielt haben, sind ein enormes Pensum gegangen und andere Spieler waren immer wieder nicht bei hundert Prozent", führte der SC-Coach aus.

"Gegen Paderborn haben wir den Preis bezahlt"

"Da ich die Situation selbst jeden Tag erlebe, kann ich die Spieler nicht kritisieren. Deshalb wundert es mich leider auch nicht, dass jetzt so ein Spiel passiert ist. Im Gegenteil, ich musste mich fast wundern, wie wir nach Rückstand in Backa Topola und dann in Leverkusen aufgetreten sind", so Streich weiter: "Wir haben zuletzt viel auf dem Platz gelassen, auch davor schon gegen Bochum einen Rückstand aufgeholt. Gegen Paderborn haben wir dafür den Preis bezahlt."

Es ehrt Streich, dass er sich schützend vor seine Mannschaft stellt. Es trifft auch zu, dass sich die personelle Lage in dieser Saison kompliziert darstellt. Vor allem Kapitän Christian Günter wird seit dem 2. Spieltag schmerzlich vermisst. Durch die jüngsten Ausfälle von Roland Sallai und Maximilian Philipp in Kombination mit Langzeit-Rekonvaleszent Daniel-Kofi Kyereh ist derzeit auch die Offensivbelegschaft arg dezimiert.

Erhöhtes Risiko im schmalen 25er-Kader für eine komplizierte Personallage

Das erhöhte Risiko für eine solche Situation haben die Verantwortlichen in Kauf genommen, als sie sich letztlich entschlossen, die Herausforderung in drei Wettbewerben mit einem schmalen 25er-Kader inklusive zweier unerfahrener Aufrücker aus der eigenen U 23 anzugehen. Unterm Strich greift Streichs sanfte Haltung nach dem bitteren Pokalaus - "Ich mache den Jungs in keiner Weise einen Vorwurf" - zu kurz. Man sollte das Ausscheiden gegen den Zwölften der 2. Liga nicht ohne Weiteres hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen, wenngleich schon am Samstag gegen Gladbach die nächste Aufgabe wartet.

Denn allen Widrigkeiten zum Trotz genügte die gegenüber dem taktisch gelungenen Auftritt beim 1:2 in Leverkusen auf fünf Positionen veränderte Startelf vom Mittwochabend ihren eigenen Ansprüchen nicht. Der SC ist kein kleiner Bundesligist mehr, der nur gegen den Abstieg kämpft und daher an einem schwächeren Tag eben mal gegen einen griffigen Zweitligisten zu Hause 1:3 verliert, ohne dass es jemanden überrascht.

Freiburg ist im zweiten Jahr in Serie ein Europa-League-Starter mit gestandenen Bundesligaakteuren und einigen Nationalspielern. Dieses Niveau und die entsprechende Substanz im Kader hat sich der SC auf beeindruckende Weise erarbeitet. Der Rhythmus mit Partien unter der Woche ist nichts Neues mehr, das Duell mit Paderborn war auch erst das 15. Pflichtspiel in der vierten englischen Woche der Saison. Sportliche, spielbezogene Vorwürfe sind also angebracht - bei allem Respekt vor dem cleveren, spritzigen und effizienten Auftritt der Paderborner.

Diese Vorwürfe muss sich Ginter gefallen lassen

Beispielsweise auf das kollektiv mangelhafte Defensivverhalten in der 4. Minute bezogen. In letzter Instanz hatte Matthias Ginter zu viel Abstand zum 0:1-Schützen Filip Bilbija. Diesen Vorwurf muss sich der Freiburger Abwehrchef ebenso gefallen lassen wie diese Frage: Warum sprang er bei Florent Muslijas Freistoßtor als Einziger in der SC-Mauer nicht konsequent hoch und ermöglichte dem Ball somit eine perfekte Einflugschneise zum 0:2? Ginter hat als sehr ehrgeiziger, 51-maliger A-Nationalspieler mit zudem 52 Europacup-Einsätzen in der Vita zu Recht deutlich höhere Ansprüche an sein Spiel.

Auch seine Nebenmänner Manuel Gulde, ein routinierter Bundesliga-Verteidiger, der den Freistoß vor dem 0:2 verursachte, und Kiliann Sildillia, ein aufstrebender U-21-Nationalspieler Frankreichs, der sich beim 0:3 von Sirlord Conteh düpieren ließ, blieben ebenso unter ihren Möglichkeiten.

Von Grifo müssen mehr Impulse ausgehen

Diese Bestandsaufnahme beschränkt sich aber längst nicht nur auf die letzte Reihe. Von Topscorer und Standardspezialist Vincenzo Grifo, zuletzt gefeierte Hattrick-Held in der Europa League und Vorlagengeber in Leverkusen, müssen auch aus dem Spiel heraus in einer solchen Partie mehr zielführende offensive Impulse ausgehen als es am Mittwoch der Fall war.

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Bediente Freiburger nach dem Pokalaus. IMAGO/Eibner

Null Tore: Bei Gregoritsch sollte der Fokus auf kritischem Hinterfragen liegen

Auch von den erstmals zusammen in der Startelf aufgebotenen österreichischen Nationalstürmern Michael Gregoritsch und Junior Adamu darf man mehr erwarten. Auch wenn Gregoritsch zuletzt wegen einer Wadenverletzung einige Partien verpasste, erklärt das nicht hinreichend, warum er etwa bei der großen Chance auf den Ausgleich nach gutem Eggestein-Pass im Strafraum nur einen zu zentralen und damit ungefährlichen Schuss zustande brachte. Wandstürmer Gregoritsch, der mit 20 Scorerpunkten eine starke SC-Debütsaison hinlegte, steht nach bisher zehn Pflichtspieleinsätzen (fünfmal Startelf) bei null Toren und einem Assist. Da sollte der Fokus mehr auf kritischem Hinterfragen als auf entschuldigenden Umständen liegen.

Trotz schwierigem Start: Adamu sollte zumindest die Basics besser abarbeiten

Sommerzugang Adamu hatte durch seine aus Österreich mitgebrachten Patellasehnenprobleme einen ungünstigen Start, der den ohnehin fordernden Integrationsprozess mit Blick auf den Freiburger Spielstil zusätzlich erschwerte. Vom schnellen Angreifer (ebenso null Tore in bisher zehn Pflichtspielen, achtmal Joker) werden offensiv nicht mal auf Anhieb Scorerpunkte erwartet. Die Basics sollte aber auch Adamu besser abarbeiten. Bei seinen bisher einzigen, ähnlich schwachen Startelfauftritten gegen West Ham und Paderborn leistete er sich einige gefährliche Ballverluste. Einer leitete den Paderborner Angriff vor dem 0:2 ein.

Wir müssen mit den Realitäten umgehen, zusammenstehen und die Jungs maximal unterstützen.

Christian Streich

Streich war mit seinen Aufarbeitungen von Rückschlägen meist erfolgreich

Die Aufzählung von Unzulänglichkeiten ließe sich weiter fortsetzen, kein SC-Profi erreichte gegen Paderborn seine Normalform. Abschließend ist festzuhalten, dass Streich mit seiner Art der Aufarbeitungen von Rück- und Tiefschlägen in seinen fast zwölf Jahren Amtszeit bisher meist erfolgreich war. Es ist auch davon auszugehen, dass die am Mittwoch offensichtlichen Mängel intern in angemessener Weise besprochen werden. Die Reaktion wird am Samstag auf dem Rasen zu sehen sein.

Öffentlich bleibt Streich in diesem Fall bei einem sanften, bestärkenden Umgang mit seinem Personal. "Wir müssen mit den Realitäten umgehen, zusammenstehen und die Jungs maximal unterstützen. Auch mental, weil sie sehr enttäuscht sind, dass sie verloren haben. Das ist enorm wichtig. Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln gegen Mönchengladbach", richtet Streich den Blick voraus.

Der Chance auf eine Rückkehr nach Berlin hat sich Freiburg diese Saison frühzeitig und fahrlässig selbst beraubt. Vielleicht werden das die SC-Akteure erst mit etwas Abstand realisieren.

Carsten Schröter-Lorenz

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