DFB-Pokal

Saarbrücken befriedigt Sehnsüchte - und weckt zugleich neue

Aufstieg und Pokal-Halbfinale 2020 legen den Grundstein

Saarbrücken befriedigt Sehnsüchte - und weckt zugleich neue

Matchwinner unter sich: Torhüter Tim Schreiber (li.) und Siegtorschütze Marcel Gaus.

Matchwinner unter sich: Torhüter Tim Schreiber (li.) und Siegtorschütze Marcel Gaus. IMAGO/Werner Schmitt

Wenn einer aktuell mit dem FC Bayern mitfühlen kann, dann der 1. FC Saarbrücken. Das Gefühl, als großer Favorit gegen meist unterklassige Teams aus einem Pokalwettbewerb zu fliegen, hatte der FCS in den letzten Jahren nämlich abonniert. Zwei Mal war im Saarländischen Landespokal gegen den FC Homburg Schluss, zwei Mal gegen die SV Elversberg. In der vergangenen Saison hat sich der FCS aber über die Liga für den DFB-Pokal qualifiziert und darf nach dreijähriger Abstinenz wieder teilnehmen.

An Tagen wie am Mittwoch bekommt man in der saarländischen Landeshauptstadt das Gefühl, der Traditionsverein wäre noch immer in der Bundesliga - oder zumindest der 2. Liga - zu Hause. "Aus der Historie heraus sehnt man sich in Saarbrücken nach solchen Spielen, da wird auf allen Ebenen alles mobilisiert", weiß Marcus Mann, der von 2016 bis 2020 vier Jahre die sportlichen Geschicke leitete. Der 39-Jährige, seit 2021 Sportdirektor bei Hannover 96, führte den Verein vor vier Jahren wieder aus den Niederungen der Regionalliga zurück in den Profifußball.

Neue Geschichte nach 46 Jahren

Der zuweilen triste Drittliga-Alltag befriedigt den Anhang aber noch nicht. Erst recht nicht, wenn schon nach einem Drittel der Saison die Aufstiegsränge in weiter Ferne liegen und der Blick nach unten gehen muss. Da kommt es gelegen, mal wieder in alten Erinnerungen zu schwelgen. "Beim Aufwärmen haben wir auf der Anzeigetafel die Bilder von damals vom 6:1 gesehen", erzählt Marcel Gaus, der noch lange nicht geboren war, als Saarbrücken die Bayern am 16. April 1977 regelrecht abfertigte. "Das sind Spiele, da erzählen die Leute noch Jahrzehnte später davon", schwärmt Gaus. Noch schöner als in den nach 46 Jahren allmählich verblassenden Erinnerungen zu schwelgen ist aber, selbst neue zu schaffen. Das ist Gaus und Kollegen gelungen: "Das war für alle Beteiligten ein Spiel für die Geschichtsbücher."

Unser Halbfinale hat wieder einen Glauben geweckt, dass Sensationen möglich sind.

Ex-Sportchef Marcus Mann über die DFB-Pokalsaison 2019/20
Marcus Mann

Führte den FCS 2020 in die 3. Liga und ins Pokal-Halbfinale: Marcus Mann, inzwischen Sportdirektor in Hannover. IMAGO/Jan Huebner

Ein gewisser Anteil daran gebührt auch der Mannschaft aus der Saison 2019/20. Mit Trainer Dirk Lottner schaltete der FCS in der ersten Runde Regensburg und danach den 1. FC Köln aus. Mit Lukas Kwasniok ging die Reise weiter: Jeweils im Elfmeterschießen wurde im Achtelfinale der Karlsruher SC geschlagen, im Viertelfinale Fortuna Düsseldorf.

Erst gegen Bayer Leverkusen war im Halbfinale Schluss - unter unglücklichen Umständen nach pandemiebedingt über drei Monaten ohne Spiel. Kapitän Manuel Zeitz und Verteidiger Boné Uaferro sind die einzig verbliebenen Spieler von damals. "Ich glaube, dass unser Halbfinale wieder einen Glauben geweckt hat, dass in Saarbrücken Sensationen möglich sind. Denn es ist in solchen Spielen schon unheimlich viel wert, wenn man wirklich an sich glaubt. Diesmal kamen noch ein paar Umstände dazu, aber ohne die geht es nicht gegen Bayern", blickt Manager Mann zurück.

Diesmal Ludwigspark statt Völklingen

Einen gefühlten Nachteil machte das Team damals zu seinem Vorteil. Gespielt wurde wegen der nicht enden wollenden Renovierung des Ludwigsparks nämlich in Völklingen. "Unsere Gegner sind aus dem Bus gestiegen und haben erstmal einen Kulturschock bekommen. Während uns das amateurhafte dort geholfen hat, war jetzt sicherlich die Stimmung und der schlechte Rasen im Ludwigspark ein Faktor", denkt Mann. Im Herzen hat es den Anhängern aber schon damals etwas wehgetan, dass sie diese Erlebnisse nicht zu Hause genießen konnten.

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Zittern musste man in diesem Jahr bis Mittwochmorgen um die Heimspielstätte. Ist der ramponierte Platz bespielbar, auf dem erst am Sonntag wegen Unmengen von Regens die Partie gegen Dresden abgebrochen werden musste? Um kurz vor 10 Uhr gab der DFB das Go. "Wir sind heute eingelaufen, da hast du direkt gespürt, dass es knistert, auch auf dem Weg zum Stadion. Es war rappelvoll. Ich habe auch letztes Jahr hier schon Spiele erlebt, wo das Stadion voll war. Heute war es aber anders. Du hast im Umfeld diese Euphorie gespürt auf das Spiel. Das ist unbeschreiblich", schwärmt Gaus.

Gaus: Vom Fußballrentner zum Matchwinner

Der 34-Jährige hat in seiner Karriere bereits einiges erlebt, darunter 233 Zweitligaspiele für Kaiserslautern, Ingolstadt, Düsseldorf und den FSV Frankfurt. Emotional dürfte der Mittwochabend alles getoppt haben - nicht nur, weil der Linksverteidiger in der Nachspielzeit den Siegtreffer erzielte. "Der Moment als der Ball drin war, das war ein pures Gefühlschaos, direkt vor unserer Kurve. Genau dafür spielst du Fußball. Letztes Jahr hatte ich eine Zeit, da war ich ein halbes Jahr zuhause, hatte keinen Verein. Heute stehe ich hier und habe mit den Jungs etwas erreicht, was nur ganz wenige erreichen. Ich bin sehr glücklich, solche Momente erleben zu dürfen", erzählt Gaus.

Die Sehnsüchte des Saarbrücker Fußballs sind zumindest für ein paar Tage mal wieder befriedigt - und zugleich sind neue geweckt. Die Vorfreude auf das Achtelfinale Anfang Dezember wächst. Ganz sicher ist Saarbrücken für keines der verbleibenden 15 Teams ein Traumlos. Doch zunächst muss es der Traditionsverein schaffen, gemeinsam mit seinem Anhang auch den Liga-Alltag wieder zu etwas Besonderem zu machen.

Schon am Samstag (14 Uhr, LIVE! bei kicker) geht es zum SV Sandhausen. Und am 15. November schlüpft der FCS in die Bayern-Rolle - im Verbandspokal beim Saarland-Ligisten Tus Herrensohr. Die eigene Historie und der Erfolg gegen den Rekordmeister sollten in diesem Zusammenhang Warnung genug sein.

Moritz Kreilinger

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