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FC Nordsjaelland: Geschichte eines etwas anderen Klubs

Ein 100-Millionen-Euro-Deal und ein Hauch von Arsenal

Jung, jünger, Nordsjaelland: Die Geschichte des etwas anderen dänischen Klubs

Gesichter eines außergewöhnlich jungen Teams: Andreas Schjelderup (li.) und Kamaldeen Sulemana (2. v. r.).

Gesichter eines außergewöhnlich jungen Teams: Andreas Schjelderup (li.) und Kamaldeen Sulemana (2. v. r.). imago images

Direkt neben dem Spielplatz ist der Klub zu Hause, der anders sein will. Mitten im Wohnviertel taucht er auf, der Right to Dream Park, gut 10.000 Zuschauer passen hinein. Voll ist das Stadion aber auch vor der Pandemie nie gewesen.

Der ehemalige Bürgermeister von Farum, einer 20.000-Einwohner-Stadt nordwestlich von Kopenhagen, ließ es 1999 von Steuergeldern bauen. Später rankten Steuerhinterziehung und viel kriminelle Energie wie Efeu an den Fassaden empor. Für zwei Jahre musste der Bürgermeister hinter Gitter. Inzwischen lebt er nicht mehr.

Spielersteckbrief Djourou
Djourou

Djourou Johan

Spielersteckbrief Kudus
Kudus

Kudus Mohammed

Spielersteckbrief Ofori
Ofori

Ofori Kelvin

Spielersteckbrief Sulemana
Sulemana

Sulemana Kamaldeen

Spielersteckbrief Chukwuani
Chukwuani

Chukwuani Tochi

Spielersteckbrief Schjelderup
Schjelderup

Schjelderup Andreas

Spielersteckbrief Francis
Francis

Francis Abu

Das Stadion gibt es aber noch immer. In ihm spielt einer der interessantesten Vereine Europas. Und zugleich einer mit einer dubiosen Vergangenheit.

Der älteste Offensivakteur ist 21 Jahre alt

Auf den ersten Blick schwimmt der FC Nordsjaelland in der dänischen Superliga im Moment nur mit. Aber wie so oft im Leben lohnt ein zweiter Blick. Und ein dritter.

Der FCN stellt die jüngste Erstliga-Mannschaft der Top-30-Ligen in Europa. 21,3 Jahre sind die Spieler im Schnitt alt, wenn sie den Rasen betreten - drei Jahre jünger als jedes andere Team der Liga. Seit ein paar Wochen ist der 16 Jahre alte Andreas Schjelderup links im Mittelfeld plötzlich Stammspieler. Außergewöhnlich wäre das bei wohl jedem anderen Klub. Bei Nordsjaelland nicht.

Oft genug besteht der komplette Angriff nur aus Teenagern. Der älteste Offensivakteur im Kader ist stolze 21 Jahre alt. Und noch etwas fällt auf: Viele der jungen Stürmer stammen aus Afrika, insgesamt sieben Spieler wurden in der Right to Dream Academy in Accra ausgebildet. Keine zufällige Häufung.

Ein ehemaliger ManUnited-Scout lenkt die Geschäfte

Neujahr 2016 übernahm die ghanaische Akademie den FC Nordsjaelland. Auch wenn man oft von einer Partnerschaft liest: Right to Dream, genauer gesagt die "Pathway Group", hat den FC Nordsjaelland gekauft. Dahinter steckt ein Brite namens Thomas Andrew Vernon, der von allen nur Tom genannt wird. Im Klub-Aufsichtsrat sitzt auch sein Vater Charles.

Vernon junior scoutete für Manchester United in Afrika, ehe er 1999 die Akademie gründete. Er ist auf dem Kontinent bestens vernetzt. "Viele europäische Klubs kommen nach Afrika, kaufen sich dort ein und implementieren die europäische Philosophie in jedes kleinste Detail", sagte Vernon im vergangenen Jahr der BBC. "Wir machen genau das Gegenteil. Wir exportieren das Beste aus der ghanaischen Kultur. Südamerika hat das die vergangenen 20 Jahre getan: Trainer, Spieler und Spielstil nach Europa exportiert."

Michael Essien

Der frühere Weltstar Michael Essien (38) ist Teil des FCN-Trainerteams. Er dient auch als Orientierungshilfe für sehr junge Neuzugänge aus Afrika. imago images

Afrika nicht ausbeuten, sondern als gleichberechtigten Partner sehen; "Right to Dream" - das Recht zu träumen. All das klingt erst einmal gut. In einem idyllischen Kleinod trainieren die stets in Rot gekleideten Kinder in der Nähe von Accra auf saftig grünem Rasen, der sich geradezu paradiesisch von der Umgebung abhebt. Wenn sie nicht gerade Fußball spielen, erhalten sie Schulunterricht. So zeigen es die Marketing-Videos der Akademie. Angeblich stammen rund 70 Prozent der Stipendiaten aus Familien, die weniger als zwei US-Dollar am Tag verdienen.

Bei der Finanzierung hilft ein milliardenschweres Unternehmen. Am 20. Januar 2021 verkündete ein ägyptisches Konglomerat namens "Man Capital", eine neue, 100 Millionen Euro schwere Partnerschaft mit Right to Dream eingegangen zu sein. Der Mutterkonzern von Man Capital erwirtschaftete 2018 über sechs Milliarden Euro Umsatz, im Automobilhandel etwa, oder mit Finanzinvestments.

Der Nächstenliebe wegen investieren die Handelsleute nicht in die Akademie, das Geschäftsmodell ist klar: Man erwarte, "dass diese Kooperation zukünftige Spielerverkäufe generiert und die Grundlage für signifikante Erträge schafft". So schreibt es der FC Nordsjaelland in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 2019.

"Nordsjaelland ist ein moderner, abgebrühter Klub"

"Sie machen das nicht primär aus Spaß oder aus gesellschaftlicher Verantwortung", berichtet Troels Bager Thögersen, Chefredakteur des dänischen Fußballmagazins "Tipsbladet", dem kicker. "Sie wollen gewinnen und Geld verdienen. Der FC Nordsjaelland ist ein moderner, abgebrühter Klub. Er hat es so gut wie fast niemand in Europa verstanden, was nötig ist, um ernsthaft gut im Entwickeln von jungen Spielern zu werden."

Flemming Pedersen (57) war unter Kasper Hjulmand Co-Trainer bei Mainz 05 in der Bundesliga. Er coacht die Dänen und setzt dabei auf flache Hierarchien. Ein selbstorganisiertes Team wünscht er sich und spricht davon, dass jeder auf dem Platz ein Coach sein solle. Im Mittelfeld seines 3-4-3- oder 3-5-2-Systems setzt Pedersen auf Abu Francis (19), der auch schon auf dem Radar von Bundesligaklubs aufgetaucht sein soll. Vorne wirbelt Kamaldeen Sulemana (19), für den Bayer Leverkusen im Oktober des vergangenen Jahres sechs Millionen Euro bot.

Right To Dream Park

Sehnsuchtsort oder Zwischenstation? der Right To Dream Park in Farum. imago images

Im Kader der Männer sind genau drei Spieler älter als 24. Einer von ihnen: Johan Djourou (34). Der frühere Arsenal- und HSV-Profi schwärmt vom FCN. "Als ich herkam, habe ich nicht viel erwartet", sagt der Innenverteidiger in einem vereinseigenen Video: "Aber bei meiner Ankunft war ich hin und weg. Die Art, wie die Spieler und alle drum herum sich verhalten, wie ich trainiert werde, das alles erinnert mich unheimlich an Arsenal." An seiner Zeit in der Bundesliga lässt er kein gutes Haar: "Von Deutschland hatte ich genug. Nicht vom Fußball, sondern von den Leuten dort." Nordsjaelland hingegen sei "besonders. Für mich passt alles perfekt."

Auch im Umgang mit dem Frauenteam macht man in Farum vieles richtig. Es erhält die gleichen Trainingsmöglichkeiten wie die Männer, fast genauso viele Physios und ordentlich Präsenz auf den vereinseigenen Social-Media-Kanälen. Right to Dream und der FC Nordsjaelland gerieren sich gern als bescheiden, fair, als der andere, der menschliche, nachhaltige Klub. Mai 2018 traten die Dänen als erster Verein dem "Common Goal"-Projekt bei.

Stockschläge und Essensentzug?

Das alles ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Ehemalige Schüler der Akademie in Accra berichten etwa von Stockschlägen und Essensentzug zur Bestrafung bei Fehlverhalten, von einem skrupellosen Modell zur Profitmaximierung durch Spielerverkäufe.

Die Transferaktivitäten des Vereins aus Farum werden ohnehin längst mit Argusaugen verfolgt, das weiß man auch dort. Spätestens seit Ende 2018 die "Football Leaks" offenlegten, dass Nordsjaelland mit Manchester City eine verbotene Abmachung getroffen hatte: Wann immer der FCN einen Absolventen der "Right to Dream"-Akademie an einen anderen Klub verkaufen wollte, musste ManCity zunächst schriftlich zustimmen. Zusätzlich flossen 25 Prozent der Ablöse an den großen Bruder.

Ein schwer durchschaubares Geschäftsdreieck

"Third Party Ownership", kurz TPO, heißt das im Fußballjargon und ist durch die FIFA seit Mai 2015 untersagt. Dass es sich bei der Vereinbarung mit den Engländern aber genau darum handelte, gibt der Klub bereitwillig zu, wenn man ihn damit konfrontiert. Allerdings sei die Aufregung ja nur theoretischer Natur gewesen, heißt es. Nie sei ein Transfer so realisiert worden.

Den Vertrag zwischen Nordsjaelland und City unterschrieb FCN-Klubchef Tom Vernon, dafür zahlten die Citizens jährlich rund 1,3 Millionen Euro an die Akademie. Right to Dream - FC Nordsjaelland - Manchester City: ein schwer durchschaubares Dreieck. Ertragreich war die Kooperation im Übrigen nicht. Bis heute hat kein einziger Spieler aus der Akademie jemals für Manchester City gespielt.

"Wird es denn kritische Fragen geben?"

"Es gibt keine Geheimnisse", sagt der Mediendirektor am Telefon dem kicker, wenn man nach der TPO-Affäre fragt: "Die FIFA hat den Fall untersucht, es kam aber bis heute nichts heraus. Das zeigt ja, dass nichts Unsauberes im Spiel war." Ein Interview mit dem Klubmanager? Klar, das klappe. "Wird es denn kritische Fragen an ihn geben?", will der Mediendirektor wissen. Als ihm das bejaht wird, ist das Gespräch bald zu Ende. Auf weitere Kontaktversuche geht der Klub nicht ein.

Nachdem die anrüchige Vereinbarung im April 2020 auslief, wird mit Spannung erwartet, wohin die Top-Talente wechseln werden, Flügelstürmer Sulemana etwa. "Er ist wirklich gut, sehr schnell, beschleunigt unheimlich und dribbelt oft mehr als einen Gegenspieler auf einmal aus", bestätigt "Tipsbladet"-Chefredakteur Thögersen. Auch von einem 18 Jahre alten Mittelfeldmann hält er viel: "Tochi Chukwuani hat noch viel zu lernen. Aber er könnte ein absolut unglaublicher Spieler in den Top-5-Ligen werden."

Wer löst Emre Mor ab?

Den begehrten Sulemana will sein Klub ohnehin am liebsten erst im Sommer 2022 verkaufen - dann am liebsten für 15 Millionen Euro. Inzwischen mischt Ajax Amsterdam heftig mit im Werben um den Ghanaer. Bisheriger FCN-Rekordverkauf ist noch ein alter Bekannter aus der Bundesliga: Emre Mor, der 2015 für 9,5 Millionen Euro zu Borussia Dortmund ging.

Spieler des FC Nordsjaelland

Eine Boygroup, wie sie im Buche steht: Der älteste Offensivakteur im Kader ist gerade einmal 21 Jahre alt. imago images

Anders als Sulemana entschied sich Kelvin Ofori (19), als er 2019 die Right to Dream Academy verließ: Fortuna Düsseldorf statt Dänemark. Nicht ohne ein wenig Genugtuung blickt man bei Nordsjaelland auf Oforis stagnierende Entwicklung seitdem. Mohammed Kudus (20), heißt es, sei mit Ofori auf dem gleichen Level gewesen. Dann sei er - wie gewissermaßen vorgesehen - nach Dänemark gegangen. Heute ist Kudus in der erweiterten Stammelf von Ajax Amsterdam zu finden, während der Düsseldorfer Stürmer auf seinen Durchbruch wartet.

Die dänischen Fans sehen den Klub, der sich so sehr um die Förderung junger Spieler kümmert und innovative Ansätze verfolgt, zwiegespalten. "Manche sind skeptisch und fragen sich: Welches Ziel verfolgen die Klubbesitzer?", sagt Thögersen: "Wollen sie Trophäen gewinnen? Oder sind sie einfach eine praktische Plattform für talentierte Jungs aus Ghana?"

Kein Wunder, ob all der Vorgeschichten. Wie so oft liegt die Antwort wohl irgendwo in der Mitte.

(Dieser Text erschien erstmals am 2. April 2021)

Paul Bartmuß

Emre Mor war am teuersten: Nordsjaellands Exporte in die Bundesliga