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"Leben im Ungewissen": 56-Stunden-Woche für 7,41 Euro

Corona-Krise und Finanzsorgen der Athleten

"Leben im Ungewissen": 56-Stunden-Woche für 7,41 Euro

Athleten wie die Mittelstrecklerin Alina Reh müssen sich in Corona-Zeiten "irgendwie über Wasser halten".

Athleten wie die Mittelstrecklerin Alina Reh müssen sich in Corona-Zeiten "irgendwie über Wasser halten". picture alliance

Mittelstreckenläuferin Alina Reh macht sich in der Coronavirus-Krise nicht nur Sorgen um die Gesundheit. "Es hat eine emotionale, aber auch eine finanzielle Seite", sagte die 22-jährige deutsche Meisterin über 10.000 Meter. "Wir müssen versuchen, uns über Wasser halten." Wie der Leichtathletin aus Ulm geht es vielen deutschen Spitzensportlern: Keine Wettkämpfe, weniger Geld. "Es ist natürlich monetär schlecht", sagt die Frankfurterin Gesa Krause. "Wie das aufzufangen ist, muss man sehen", befand die WM-Zweite über 3000 Meter Hindernis.

Prämien und Startgelder fallen monatelang weg. Hinzu kommt die Befürchtung, dass Sponsoren durch die Krise in die Knie gehen und abspringen - und in der Vorbereitung auf die in das nächste Jahr verlegten Olympischen Spielen in Tokio gar kein Geld oder nur im reduzierten Umfang zahlen können. Außerdem gibt es bei zahlreichen Athleten die Sorge um den Verlust von Teilzeitjobs, ohne die Sport und Lebenserhalt nicht finanzierbar wären.

"Es wird auch für die Spitzensportler nicht einfacher werden", sagte der Kölner Sportökonom Christoph Breuer im dpa-Interview. Ein Effekt könnte sein, dass die Athleten durchschnittlich weniger verdienen und ihren Sport ein Stück weiter unter den Mindestlohn-Bedingungen ausüben müssten.

Studie: 56-Stunden-Woche, 7,41 Euro Stundenlohn

In der von Breuer mitverfassten Studie "Die Lebenssituation von Spitzensportlern in Deutschland" (Stand Oktober 2018) wurde offenbar, dass Topathleten im Schnitt eine 56-Stunden-Woche hatten und der Aufwand für Sport, Beruf und Ausbildung einem Stundenlohn von 7,41 Euro entsprach. Dies lag zum Untersuchungszeitpunkt unter dem Mindestlohn in Deutschland von 8,84 Euro (aktuell 9,35 Euro). "Die olympischen und paralympischen Leistungssportler haben, wenn man so will, ohnehin nichts zu verlieren und können deshalb gar nicht so viel verlieren", meinte Breuer nicht ohne Ironie.

Könnte dies bei vielen der rund 4000 Athleten der Leistungskader auch zur Überlegung führen, mit dem Sport aufzuhören? "Das lässt zusätzlich bei einigen die Frage aufkommen, ob sich das Ganze überhaupt lohnt", sagte Breuer. Umgekehrt könne es auch einen anderen Effekt haben und manche sagen: «Ich habe jetzt mehr Zeit, weil bei dem Arbeitgeber, bei dem ich angestellt bin und eine halbe Stelle habe, zukünftig Kurzarbeit herrscht.» Dies sei spekulativ, "doch das es nur in eine Richtung geht, glaube ich nicht".

Röhler: "Wir sind Einzelunternehmer"

Für Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler ist das eine große Folgekette. "Wir leben im Ungewissen. Wir als deutsche Athleten werden so schnell nicht in ein anderes Land reisen", erklärte der Werfer aus Jena. Dadurch würden alle große finanzielle Einbußen haben. "Wir haben keine Anstellungsverträge und sind Freiberufler beziehungsweise Einzelunternehmer", sagte Röhler dem Onlineportal "Sportbuzzer". Die Fußballer zum Beispiel seien Angestellte. Topstars wie Röhler sind finanziell "für die Krisensituation gewappnet", wenn es kein Dauerzustand werde. Essenziell sei aber auch für ihn, die Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe zu haben, die für viele Athleten ebenso eine Grundsicherung biete wie für andere die Sportstellen bei der Polizei, dem Zoll und der Bundeswehr.

Und die ist trotz Folgen der Corona-Pandemie garantiert. Die bei Bundespolizei und Zoll angestellten Spitzensportler seien "vollumfänglich abgesichert", hatte das Bundesinnenministerium dem "Spiegel" bestätigt. Auch für Sportsoldaten bei der Bundeswehr gebe es keine Einbußen durch den ruhenden Sportbetrieb.

Sporthilfe wird unverändert fortgeführt

Auch die Deutsche Sporthilfe will die Athleten wie bisher unterstützen. "Die Förderung wird für den aktuell bewilligten Zeitraum unverändert fortgeführt", sicherte Sporthilfe-Vorstand Thomas Gutekunst zu. Gefördert werden von der Stiftung rund 4000 Spitzenathleten. Auch für Zahlungen von Verdienstausfall für Training oder Wettkämpfe, die Corona-bedingt kurzfristig abgesagt seien, würden individuell flexible Regelungen getroffen.

"Die Spitzenathleten haben in den vergangenen zehn Jahren mehr an sogenannter staatlicher Sportförderung bekommen, was zu mehr Finanzstabilität geführt hat", sagte Breuer. Und des Weiteren sei auch die Finanzförderung durch die Sporthilfe angestiegen. Allerdings basiert ihre Athleten-Unterstützung auf Geld von Sponsoren und Förderern. "Da kann man auch fragen, was die Finanzkrise für die Sporthilfe bedeutet", meinte Breuer.

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dpa

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