Bundesliga

Heynckes: "Spieler sollen sich solidarisch und partnerschaftlich zeigen"

Gastbeitrag der Trainerlegende

Heynckes: "Spieler sollen sich solidarisch und partnerschaftlich zeigen"

Jupp Heynckes richtet einen dringenden Appell an die Bundesliga-Spieler - und auch an die Gesellschaft als Ganzes.

Jupp Heynckes richtet einen dringenden Appell an die Bundesliga-Spieler - und auch an die Gesellschaft als Ganzes. imago images

Von Jupp Heynckes

Die ganze Welt befindet sich zurzeit in einer Situation, wie wir sie in unseren Generationen noch nie erlebt haben. Betroffen davon sind sämtliche Bereiche, die gesamte Gesellschaft, damit auch jede Sportart.

Ich selbst bin ein Kind des Fußballs, in dem ich groß wurde. Mein ganzes Leben habe ich im Fußball verbracht, über 50 Jahre aktiv als Spieler und Trainer. Vor diesem Hintergrund spüre ich den moralischen Drang und die Verpflichtung, an alle diesen Appell zu richten, an die gesamte Gesellschaft wie an jedes Mitglied der Fußball-Familie, die sich nun als echte Gemeinschaft erweisen muss: Wir müssen uns solidarisieren! Wir brauchen jetzt ein uneingeschränktes Mit- und Füreinander! In der Bevölkerung, auf allen Gebieten unseres Zusammenlebens, im Fußball.

Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor vielen Jahren mit Uli Hoeneß geführt habe. Er betonte damals, wie extrem wichtig es sei, dass auch die kleinen Vereine in der Liga überlebten und es ihnen wirtschaftlich gut gehe, weil der FC Bayern nicht immer gegen Borussia Dortmund antreten könne, also die großen Klubs gegeneinander. Deswegen hat er in führender Rolle beim FC Bayern München mit vielen Benefizspielen bedürftige Vereine gestützt: St. Pauli, Alemannia Aachen, 1. FC Kaiserslautern oder Borussia Dortmund. Sein Credo lautete, dass die Stärkeren im Fußball den Schwächeren zur Seite stehen müssen. Diesen Beistand muss allen, die über den Fußball ihre Existenz bestreiten - gerade die Mitarbeiter in den Klubs, der Platzwart, der Zeugwart, die Geringverdiener -, zuteilwerden.

"Es geht bei vielen um das nackte Überleben, um das tägliche Brot"

Deshalb hat Christian Seifert, der mit der DFL seit Jahren einen hervorragenden Job macht, zu Wochenbeginn zu Recht auf die Zehntausende von gefährdeten Arbeitsplätzen im Fußball hingewiesen. Dieser ungewissen ökonomischen Zukunft sehen sich unzählige Unternehmen und Beschäftigte in unserer Gesellschaft wie im Ausland ausgesetzt, da geht es um das nackte Überleben, um das tägliche Brot.

Deshalb rufe ich auch die Spieler dazu auf, sich ebenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht solidarisch und partnerschaftlich zu zeigen. Sie müssen wissen, dass sie und ihre Berater nicht mehr bestimmen, wie viel Geld sie verdienen, wenn das jetzige System zerbricht. Verträge in diesen Größenordnungen gibt es dann nicht mehr. Um das Allerschlimmste für den Fußball als Ganzes zu verhindern, sind gerade die potenten Klubs und auch die Spieler gefordert, ein absolutes Zusammengehörigkeitsgefühl vorzuleben.

Der deutsche Fußball braucht 18 oder 20 Klubs in der Bundesliga, eine ebenso stabile Zweite und Dritte Liga. Es geht hinab bis in die Kreisligen, überall braucht der Fußball den gesunden Wettbewerb. Um das bisherige, funktionierende Gefüge zu retten, ist die Rücksichtnahme auf die Interessen aller - bei den meisten handelt es sich längst schon um Nöte - elementar.

Deshalb hat Seifert die so genannten Geisterspiele als Mittel zur Fortsetzung der Saison herausgestellt. Der Fußball braucht zwar seine treuen Zuschauer und Fans, diese Emotionalität - es wäre bitter und hart, wenn sie für längere Zeit draußen bleiben müssten. Doch wenn Vernunftgründe - um die Covid-19-Erkrankung zu bremsen oder Insolvenzen zu verhindern - jede andere Entscheidung verbieten, sind diese Maßnahmen ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. DFL-Chef Seifert blickt über den Tellerrand, er weiß genau, dass zum 2. April mit Sicherheit nicht wieder normal Fußball gespielt werden kann.

"Ab sofort zweieinhalb Wochen Urlaub, dann Vorbereitung bis Anfang Mai"

Da sich die Umstände nahezu stündlich ändern, müssen verschiedene Szenarien durchgespielt werden.

Ohne dass ich mir anmaße, große Empfehlungen auszusprechen, wäre es wichtig, wenn die Bundesliga am 10. Mai wieder beginnen könnte - und sei es ohne Zuschauer. Zumindest die Saison müsste zu Ende gebracht werden. Dazu würde ich die Spieler jetzt sofort für die kommenden zweieinhalb Wochen in den Urlaub schicken. Anschließend hätte jeder Verein die gleich lange Vorbereitungszeit bis Anfang Mai, also eine identische Ausgangsposition. Die Saison 2019/20 könnte dann mit allen Wettbewerben, inklusive die Champions und die Europa League, im Mai, Juni und den halben oder gar ganzen Juli hindurch durchgezogen werden. Bis 30. Juni gültige Verträge müssten dann eben unbürokratisch verlängert werden.

Als eine mögliche Variante sehe ich - auf der Basis meiner langen Erfahrung im Fußball - dieses Modell durchaus, auch wenn mir natürlich klar ist, dass eine solche Planung ungemein komplex und kompliziert ist. Da sind tausend Faktoren zu beachten.

Generell müssen wir in der jetzigen Krise endlich damit aufhören, ständig irgendwelche Kritik zu üben. Mit den verordneten Maßnahmen soll präventiv die Verbreitung des Virus gestoppt und so der Kollaps der medizinischen Versorgung verhindert werden. Unsere Politik sowie das gesamte Gesundheitswesen - die Ärzteschaft, das Pflegepersonal, die Krankenhäuser und Praxen - leisten eine überragende Arbeit, vor der wir alle uns verneigen müssen. Mut machen mir zudem die vielen engagierten jungen Menschen, die selbstlos im täglichen Leben mithelfen. Es geht nur, wenn sich jeder einbringt: für alle!

"Halten Sie sich an die Vorgaben der Behörden"

Deshalb bitte ich Sie, sich an die Vorgaben der Behörden zu halten! Helfen Sie alle fürsorglich mit, dass wir diese äußerst schwierige Phase gemeinsam überstehen! Weisen Sie Unverbesserliche, die die Gefahr des Sars-CoV-2-Virus noch immer nicht wahrhaben wollen, auf ihre gesellschaftliche Mitverantwortung hin! Wir müssen unsere bedrohten Mitmenschen schützen.

Mit bald 75 Jahren zähle ich persönlich auch zur Risikogruppe. Dieser Tage telefonierte ich mit einem Freund, er ist 95 Jahre alt und zutiefst besorgt. Er hat den Zweiten Weltkrieg und - wie ich - die Nachkriegszeit erlebt, den Hunger, die Nöte, den Wiederaufbau und das damalige Gemeinschaftswerk. Eine solche Solidarität brauchen wir jetzt wieder.