Bundesliga

Herthas Tanz auf der Rasierklinge

Im Wochentakt zwischen Absturz und Aufholjagd

Herthas Tanz auf der Rasierklinge

Applaus für die Aufholjagd: Alexander Nouri.

Applaus für die Aufholjagd: Alexander Nouri.

Ein gewonnener Punkt - oder doch eher zwei verlorene Zähler? Die Bewertung des Unentschiedens gegen den Liga-Vorletzten fiel Hertha-Kapitän Niklas Stark spürbar schwer: "Wir wollten einen Big Point landen, das haben wir nicht geschafft. Aber wenn du 0:2 zurückliegst, kannst du mit einem 2:2 nach Hause gehen. Aber es ist schon auch ein weinendes Auge dabei." Die Bilanz des Auftritts gegen Bremen fiel nicht nur bei Innenverteidiger Stark zwiespältig aus. "Wir haben wieder zwei schnelle Gegentore bekommen", sagte Mittelfeldspieler Vladimir Darida. "Dadurch war es natürlich schwierig, ins Spiel zu kommen. Aber wir haben danach erneut gut zusammengearbeitet."

Die Geschichte des Düsseldorf-Spiels (0:2 nach neun Minuten, am Ende 3:3 nach 0:3) wiederholte sich in ähnlicher Form gegen Bremen: Hertha aktivierte erst den Abwesenheits-Assistenten - und danach alle Kräfte, um die drohende Niederlage gegen einen direkten Konkurrenten abzuwehren. "Nach dem 0:2", fand Maximilian Mittelstädt, "sind wir aufgewacht, waren aggressiv und präsent und ließen Bremen kaum noch zu Torchancen kommen. Ab da haben wir ein gutes Spiel gemacht."

Ein Kraftakt lässt sich nicht beliebig oft wiederholen

Ein Kraftakt wie in Düsseldorf oder gegen Bremen wird sich indes nicht beliebig oft wiederholen lassen. "Der Start war ein Schlag ins Gesicht für uns", fand Marvin Plattenhardt. "Es ist schwierig zu sagen, ob wir da nicht wach genug sind oder nicht richtig stehen." Oder beides. Vorm ersten Bremer Tor verlor Darida in der Vorwärtsbewegung den Ball, den Leonardo Bittencourt per Hacke geschickt zu Joshua Sargent weiterleitete. Der durfte unbehelligt laufen - viele, zu viele Meter - und dann schießen, 0:1 (3.). "Werder hat das mit wenigen Kontakten gut gespielt", sagte Hertha-Coach Alexander Nouri am Sonntag. "Aber wir stellen Sargent nicht früh genug und blocken den Schuss nicht."

Beides fiel in jener Sequenz in die Zuständigkeit von Nationalspieler Stark, der sich auch in die Fehlerkette vorm 0:2 einreihte. Ein Diagonalball auf Milot Rashica, der - von Lukas Klünter ungestört - flankte. In der Mitte köpfelte Davy Klaassen, der sich von Stark wegschlich, ins Berliner Tor, das Keeper Thomas Kraft zuvor bestenfalls halbherzig verlassen hatte (6.). "Eine Spielverlagerung, und dann hat Rashica genug Zeit, sich den Ball vorzulegen", analysierte Nouri. "Da musst du schneller raustreten und versuchen, die Flanke zu verhindern."

Sicherheitsabstand ist nicht immer gut

Zu viel Abstand: Berlins Lukas Klünter im Duell mit Milot Rahica (l.).

Zu viel Abstand: Berlins Lukas Klünter im Duell mit Milot Rahica (l.). imago images

Adressiert war der Tadel an Rechtsverteidiger Klünter, der einen Sicherheitsabstand zu Rashica hielt, als habe ihm ein Virologe dazu geraten. "In der Box stehen wir dann eigentlich ordentlich, sind aber nicht eng genug am Mann und verteidigen das nicht konsequent", so Nouri. "Wenn man nach sechs Minuten 0:2 hinten liegt, ist klar, dass auch der Kopf arbeitet."

Zum Glück - für Nouri, für Hertha - hat auch das Team gearbeitet und die nächste Heimpleite abgewendet. Nouri wirkte gegen seinen Ex-Klub an der Seitenlinie entschieden lebhafter als acht Tage zuvor in Düsseldorf, mit seinem Tempo und dem Drängen auf schnelle Spielfortsetzung überforderte er sogar manchen Balljungen im Olympiastadion. Der Mitte der ersten Halbzeit vorgenommene Systemwechsel (von 4-4-2 auf 5-3-2) stabilisierte Hertha vor allem auf den Außenbahnen.

"Die Maßnahme", sagte Nouri mit Recht, "hat gefruchtet. Wir haben die Bremer Breite dadurch besser verteidigt bekommen und kamen selbst besser ins Spiel." Ein Punkt in Düsseldorf, einer gegen Bremen - von den vier Spielen unter Jürgen Klinsmanns vormaligem Co-Trainer und jetzigem Nachfolger Nouri verlor Hertha nur eines. Trotzdem belegen elf Gegentore in diesem Zeitraum Fragilität und fehlende Balance.

Bremer Angst vorm Gewinnen

Dass das Team am Samstag zurückkam, lag an manchen Korrekturen, der herausragenden Form von Matheus Cunha, der Top-Moral - und, nicht unwesentlich, auch an Bremern, die nach dem 2:0 zeigten, wie Angst vorm Gewinnen aussieht. "Jeder Punkt", bekräftigte Nouri, "hilft uns für den Klassenerhalt. Wir nähern uns Stück für Stück dem Ziel."

Aber klar ist auch: Immer kann der Tanz auf der Rasierklinge nicht gut gehen. Manager Michael Preetz benannte am Sonntag im Gespräch mit dem kicker neben "dem individuellen Abwehrverhalten vor beiden Gegentoren" ein grundsätzliches Manko: "Wir müssen vom Anpfiff weg aktiver sein, insgesamt mehr nach vorn verteidigen. Wir sind - nicht nur zu Beginn eines Spiels - defensiv immer wieder zu sorglos."

Hertha war am Ende dem Sieg näher - aber dass Mathew Leckie in der zweiten Minute der Nachspielzeit mit einem 50-Meter-Sprint und einem geglückten Tackling gegen Klaassen die notorisch konteranfälligen Berliner vor dem möglichen GAU bewahrte, gehört auch zur Wahrheit eines Nachmittags, den Nouri am Sonntag betont positiv einordnete: "Alle haben gefightet und Druck entfacht, auch das Publikum hatte dieses Gefühl."

Derby hat oberste Priorität

Fan-Service: Hertha-Spieler in der Kurve.

Fan-Service: Hertha-Spieler in der Kurve. imago images

Die Getreuen aus der Ostkurve schworen die Profis nach dem Schlusspfiff auf das in zwei Wochen anstehende Derby-Rückspiel gegen Union ein (21. März). "Für die Fans hat dieses Spiel oberste Priorität, ist doch klar", sagte Linksaußen Mittelstädt. "Da", meinte Marvin Plattenhardt mit Blick auf die 0:1-Niederlage im Hinspiel, "haben wir noch etwas gutzumachen."

Vorher geht's zur TSG Hoffenheim, und Nouri wird abermals umstellen (müssen). Dauerläufer Darida holte sich gegen Bremen die 5. Gelbe Karte ab und ist in Sinsheim gesperrt. Da trifft es sich gut, dass Per Skjelbred, der wegen eines Infekts gegen Werder ausfiel, zu Beginn der Woche wieder ins Training einsteigen soll. Etwas vorsichtiger klingen Herthas Verantwortliche, was eine mögliche Rückkehr von Dedryck Boyata (Oberschenkelverletzung) betrifft. "Bei ihm müssen wir von Tag zu Tag entscheiden", so Nouri.

Dass die Berliner die Erfahrung und Ruhe des belgischen Nationalspielers gut gebrauchen können, versteht sich von selbst. Dass Boyata und die medizinische Abteilung angesichts der Vorgeschichte des Belgiers Vorsicht walten lassen, leuchtet aber auch ein. Ende März 2019 hatte sich Boyata, damals noch in Diensten von Celtic Glasgow, im Old Firm gegen die Rangers einen Muskelbündelriss im Oberschenkel zugezogen. Die Verletzung kostete Boyata seinerzeit den Rest der Saison - und sogar Teile der Sommer-Vorbereitung bei Hertha.

Steffen Rohr

Bilder zur Partie Hertha BSC - Werder Bremen