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Ehrung für Abdul-Rauf: "Mir wurden meine besten Jahre genommen"

Curry vor Curry, Kaepernick vor Kaepernick

Ehrung für Abdul-Rauf: "Mir wurden meine besten Jahre genommen"

Ein Stoßgebet während der Hymne: Mahmoud Abdul-Rauf.

Ein Stoßgebet während der Hymne: Mahmoud Abdul-Rauf. picture alliance

Als der in Armut aufgewachsene Chris Jackson 1988/89 für die Louisiana State University (LSU) ein Fabel-Freshman-Year aufs Parkett zauberte (30,2 Punkte pro Spiel - Freshman-Rekord) und im inzwischen glanzvollen Orbit des US-Basketballs ein neuer Stern aufging, tat der schmächtige Guard das auf eine damals eher ungewöhnliche Weise: Die (punkt-)dominanten Emporkömmlinge dieser Ära brillierten zumeist dank physischer Überlegenheit. Jackson dagegen tänzelte mit feinster Beinarbeit um seine Gegenspieler herum, um anschließend tödlich präzise Sprungwürfe zu versenken. "Er war Steph Curry vor Steph Curry", erinnert sich LSU-Coach Will Wade.

Unbehandeltes Tourette - sein Wurf profitiert

Zehn getroffene Dreier in einem Spiel - vor 30 Jahren vermeintlich undenkbar. Doch Jackson war ein außergewöhnlicher (Spieler-)Typ, dessen unglaubliche Wurfpräzision einen tragischen Ursprung hatte. Der 1,85-Mann litt seit Kindheitstagen am Tourette-Syndrom, diagnostiziert und behandelt wurde es allerdings erst, als Jackson bereits 17 Jahre alt war. Ein Symptom seiner Krankheit, gewisse Vorgänge zwanghaft bis zur Perfektion einstudieren zu müssen, griff ihm in sportlicher Hinsicht allerdings unter die Arme. 48 Punkte, 53 Punkte, 55 Punkte - und immer wieder diese unfehlbar erscheinenden Würfe. Zwei Jahre NCAA, zwei Jahre First-Team All-American. Jacksons Aufstieg in die Eliteliga stand kurz bevor.

1990 meldete er sich zum NBA-Draft an, die Denver Nuggets wählten den besten Offensivspieler seines Jahrgangs an dritter Stelle. Nur ein Jahr später kam es jedoch zu einem Wendepunkt in der noch jungen Karriere: Jackson, der ein durchwachsenes erstes NBA-Jahr verlebte und die Ursache in grundsätzlicher Unzufriedenheit verortete, konvertierte zum Islam. Was eigentlich eine Privatangelegenheit hätte sein sollen, schien plötzlich auch Auswirkungen auf das Sportlerleben Jacksons zu haben - erst recht, als der überzeugte Muslim seinen Namen 1993 in Mahmoud Abdul-Rauf ändern ließ.

Sündenbock und Play-off-Garant

Noch im selben Jahr kam Abdul-Rauf, vom neuen Lebensstil beflügelt, als Most Improved Player auch endgültig in der NBA an - er wurde jedoch immer wieder kritisch beäugt, selbst im eigenen Lager: Als bester Scorer und Assistgeber der Nuggets musste er immer wieder als Sündenbock herhalten. Jahre später berichtete er bei NBA TV: "Das Fasten wurde zum Problem, das Beten wurde zum Problem,..." Und das "Problem" selbst wurde, wenn es sportlich nicht lief, unverhältnismäßig oft als Erstes aus dem Line-up rotiert. Der Wurfspezialist ("Ich wusste, was da abläuft") führte Denver dennoch mehrmals in die Play-offs und entwickelte sich immer mehr zu dem Spieler, den die Basketball-Welt zu LSU-Zeiten in ihm sah.

Zur Saison 1995/96 war Abdul-Rauf ("Ich wurde erwachsen") scheinbar endgültig auf den Pfad zum NBA-Topstar eingebogen: eine 51-Punkte-Gala gegen John Stockton und die Utah Jazz, Michael Jordans 72-und-zehn-Bulls eine seltene Niederlage zugefügt. Abdul-Rauf schien besser denn je - und wurde plötzlich jäh aus der Bahn geworfen.

US-Hymne und -Flagge stehen für mich für Unterdrückung und Tyrannei. Damit kann ich mich nicht identifizieren.

Mahmoud Abdul-Rauf

Im März 1996 kam es zum großen Eklat, als Abdul-Rauf - nicht zum ersten Mal, aber erstmals öffentlich wahrgenommen - am zeremoniellen Erklingen der Nationalhymne "Star Spangled Banner" nicht aufrechtstehend teilnahm. Hymne und auch die US-amerikanische Flagge stünden für ihn für "Unterdrückung und Tyrannei". Damit könne er sich nicht identifizieren. Lieber verbrachte Abdul-Rauf diese rituelle Zeitspanne noch in der Kabine, oder er machte sich bereits warm. Aufgebrachte US-Medien griffen die Thematik in einer Zeit der intensiven Patriotismus-Frage in den Staaten auf, landesweite News echauffierten sich über das neue Feindbild Abdul-Rauf.

Als Star der Denver Nuggets wurde Abdul-Rauf mehr oder weniger aus der NBA geekelt.

Als Star der Denver Nuggets wurde Abdul-Rauf mehr oder weniger aus der NBA geekelt. Getty Images

Zwecklose Einigung - "Es sollte kein Protest sein"

Der Vorzeigeathlet wurde in der NBA, aber auch darüber hinaus, zur "Persona non grata". Zudem verhängte Commisioner David Stern eine Ein-Spiel-Sperre. Unterstützung für den "Übeltäter"? Nur vereinzelt aus dem Spielerlager. Vielmehr alle gegen einen, kein Verständnis für Abdul-Rauf. Schließlich einigten sich Liga und der Spieler darauf, dass er während der Hymne stehen, aber mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen "für die Leidenden beten" würde.

Viel Tumult um eine Aktion, die prinzipiell "kein Protest sein sollte". Abdul-Rauf: "Ich habe angefangen, mehr zu lesen, mehr über gewisse Themen nachzudenken. Ich wollte manche Dinge nicht einfach tun, bloß weil die anderen sie tun. Ich war mit einigem nicht einverstanden und wollte mich auch so verhalten. Ich wollte aber nie für Aufmerksamkeit sorgen."

Dennoch war ein großes Tischtuch unwiderruflich zerschnitten. Es folgte eine regelrechte Ausbootung des gerade 26-Jährigen, der im Begriff war, ins beste Sportleralter zu kommen. "Was seine NBA-Karriere angeht, so sagen alle, ist er ein toter Mann", äußerte sich Mitspieler Dikembe Mutombo damals drastisch - und doch nicht übertrieben. Noch 1996 gab Denver seinen besten Spieler bereitwillig an die Sacramento Kings ab, die ihm bis zu seinem Vertragsende 1998 immer weniger Einsatzminuten zugestanden.

Danach wollte ihn kein Franchise mehr aufnehmen - Abdul-Raufs NBA-Karriere war ein Trümmerhaufen. Wie auch sein neu errichtetes Wohnhaus nahe seiner Heimatstadt Gulfport, als er 2001 kurzzeitig zu den Vancouver Grizzlies in die NBA zurückkehrte. Das Anwesen wurde abgebrannt, strafrechtlich belangt wurde niemand. Das personifizierte Image-Problem brauchte nicht auf Rückhalt seines Arbeitgebers zu hoffen.

Karriere fernab der USA - noch mit 50 Wurfspezialist

Bei Fenerbahce Istanbul startete bereits 1999 der Rest von Abdul-Raufs Laufbahn außerhalb der USA, die bis in sein 43. Lebensjahr andauern sollte. Und noch 2019 geht er auf Korbjagd, in der von Rap-Mogul Ice Cube ins Leben gerufenen Ehemaligen-Liga "Big Three" läuft er an der Seite von Rashard Lewis oder Trainer Gary Payton für die "3 Headed Monsters" auf. Seine Wurfbewegung ist nach wie vor lehrbuchreif.

Auch mit 50 noch Wurfspezialist: Abdul-Rauf (#7) in der "Big Three".

Auch mit 50 noch Wurfspezialist: Abdul-Rauf (#7) in der "Big Three". imago images

Im Juli 2019 entschied das zuständige LSU Athletic Hall of Fame Election Board nun einstimmig, dass Abdul-Raufs College-Trikot mit der Nummer 35 unter die Hallendecke gezogen und nicht mehr vergeben, also "retired" wird. Eine Ehre, die sich der 50-Jährige mit NBA-Ikonen wie Bob Pettit, Pete Maravich und Ex-Teamkollege Shaquille O'Neal ("Mahmoud war phänomenal") teilt. "Er ist einer der besten LSU-Spieler aller Zeiten und hat sich das absolut verdient", so Director of Athletics Scott Woodward.

Eine späte Ehre, die dem Jubilaren ("Ich glaube, meine besten Jahre wurden mir genommen") seine ihm gewissermaßen verwehrte Top-Karriere nicht zurückgibt. Doch nicht nur wegen der verspäteten Anerkennung ist Mahmoud Abdul-Rauf nach einem halben Jahrhundert bewegter Lebenszeit mit sich im Reinen: "Ich habe meine Erfahrungen gesammelt und bin daran gewachsen. Ich bereue nichts." Die Retirement Ceremony wird in der College-Basketball-Saison 2019/20 während eines noch nicht festgelegten LSU-Spiels im heimischen Pete Maravich Assembly Center stattfinden.

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